Germering:Unbesinnliches Weihnachtssingen

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Einen unterhaltsamen Abend im Roßstall-Theater bieten Katja Lisa Engel (von links), Cecilia Gagliardi und Oliver Kübrich. (Foto: Günther Reger)

Ein adventlicher Abend im Roßstall-Theater kommt ganz ohne Ehrfurcht und Getragenheit aus

Von Sonja Pawlowa, Germering

S(w)inging Christmas hieß die Adventsfeier der etwas anderen Art am Freitagabend im Roßstall. Tatsächlich war die Stimmung beschwingt und sogar heiter, denn Singen macht glücklich, sogar das Singen von Weihnachtsliedern. Damit sich das Glück einstellt, wurde von mehreren Seiten Vorsorge getroffen. Zum einen war das Vorglühen mit Feuerzangenbowle nebst Sauerkraut-Schupfnudel-Grundlage im Eintrittspreis inbegriffen. Zum anderen handelte es sich nicht um das steife Heilig-Abend-Repertoire von Oma am Christbaum. Oliver Kübrich und Cecilia Gagliardi inszenierten ein Karaoke-Fischerchor-Crossover. Das Publikum sang willig und begeistert mit. Interaktivität hat eben auch eine analoge Ausprägung.

Was wurde gesungen? Das klassische deutsche Vorweihnachts-Liedgut stand deutlich weniger im Vordergrund. Die Wahl wurde offensichtlich nach anderen Gesichtspunkten getroffen. Die Songs mussten swingen, grooven, rocken und gute Laune vermitteln. Daher war dann verhältnismäßig große Teile des Programms, etwa "White Christmas" oder "Let it snow", im englischsprachigen Sprachraum beheimatet. Als Stimmungsknaller hob sich jedoch eindeutig "Feliz Navidad" ab. Womöglich wegen des übersichtlichen Textes. Zum Abschluss, gekürt als Publikumsliebling, wurde der Hit lauthals wiederholt. Beinahe zum Tanzen verführt, warf das Publikum begeistert die Arme in die Luft und schunkelte auf den Plätzen.

"Mit Weihnachtsliedern verhält es sich wie mit McDonald's", sagt Oliver Kübrich. "Keiner mag's und alle gehen hin." Er behielt Recht. Sogar "Last Christmas" hat man geträllert, obwohl einige vorab mit Nicht-Erscheinen drohten, falls dieses Lied eingeplant würde. Wie beim Karaoke wurden die Liedtexte an eine Leinwand projiziert, doch keine einsamen Sangeshelden standen mutig auf der Bühne und kein Fremdschämen bei Versagen trübte die Sangesfreude. Gottlob sang Cecilia Gagliardi professionell, stimmgewaltig und ansteckend auf der Bühne. Die etwa vierzig Gäste spielten zugleich die Rollen Publikum und Chor. In amüsanter und musikalischer Hinsicht wurde Cecilia Gagliardi von dem himmlischen Engel Katja Lisa Engel unterstützt. Perfekt besetzt, denn Namen, Erscheinung und Stimme der jungen Schauspielerin bezauberten auch zurückhaltende Chorsänger und trieben vornehmlich die Männer zu Zwischenkommentaren und körperlichem Einsatz an.

Dem Himmel ist Katja Engel natürlich nicht entsprungen, sondern dem Pool an Nachwuchsschauspielern, den Oliver Kübrich und Cecilia Gagliardi für das Roßstall-Theater in den vergangenen Jahren in Workshops ausgebildet haben. Überhaupt blickt das Roßstall-Theater auf ein erfolgreiches Jahr zurück. So spielt Katja Engel beispielsweise derzeit auch in dem stets ausverkauften Kinderstück "Piraten in der Rumpelkammer". Gleichzeitig ist die Komödie "Venedig im Schnee" seit Monaten ausverkauft und geht nun in die Verlängerung. Das neue Jahr 2018 verspricht weitere Highlights. Schon den 12. Januar sollte man sich vormerken, denn zur Premiere des Stücks " Drei Morde, Küche, Bad" reist der Autor Carsten Golbeck selbst an. Man kann gespannt sein, denn seine Farce zum Thema Wohnungsnot und Gentrifizierung könnte aktueller nicht sein.

Auch Sing-Along-Events wie S(w)inging Christmas wird es nunmehr regelmäßig geben. Damit schwimmt das Roßstall-Theater auf einer Welle mit, die bei Veranstaltungen wie dem Go Sing Choir oder dem Münchner Kneipenchor großen Zulauf findet. Es gibt ja nicht allzu viele Gelegenheiten zu einem Gemeinschaftserlebnis, das so gesund wie das Singen ist. Hinter vorgehaltener Hand erzählte eine Dame, dass die Roßstall-Mitsing-Premiere "Spaghettata", bei der es Spaghetti mit Gesang gab, ihrer Krankenkasse sehr viel Geld gespart hat. Statt eines Klinikaufenthalts erfolgte eine Genesung, allein weil das Singen die Seele heilt. In Zukunft werden Musical, Operette und sogar Schlager gesungen. Keiner mag Schlager, aber alle singen mit.

Auch ohne Krankenkassenzuzahlung stimmt da das Preis-Leistungs-Verhältnis: Vier Stunden beste Unterhaltung, Therapie, Essen und Getränk, Plätzchen und ein erhaschter Blick auf die Plateausohlen unterm Engelsgewand. Wenn dann noch die Zugabe mit Shakin' Stevens' Evergreen "Snow is falling" wahr wird, hat man mit zwanzig Euro ein Riesenschnäppchen gemacht.

© SZ vom 19.12.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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