Germering:So frei ist Jazz

Christof Thewes und Band scheren sich nicht um Stilarten

Von Jörg Konrad, Germering

Er hat während seiner bisherigen Karriere wohl in jeder nur erdenklichen Besetzung gespielt. In orchestralen Großformationen, in Quintetten, Quartetten, Duos und sogar in einem eigenen Posaunen-Trio (!), zusammen mit dem vor wenigen Wochen viel zu früh verstorbenen Johannes Bauer. Wer all diese verschiedenen Besetzungen nachhören will, der konnte am Freitag Christof Thewes' gesammelte Werke unter dem Titel "Complete I" nach seinem Konzert in der Germeringer Stadthalle erwerben. Zwölf CDs kompakt in einer Box! Übrigens hat den Begleittext zu dieser editorischen Kostbarkeit Hans-Jürgen Schaal geschrieben, der die erfolgreiche Reihe "Jazz It!" nun genau neun Jahre künstlerisch betreut und dementsprechend auch Christof Thewes in den Amadeussaal der Stadthalle geholt hat.

Mit seinem Undertone-Project präsentiert Thewes fast zwei Stunden Musik, die jeden stilistischen Rahmen sprengt. In einer nicht alltäglichen Besetzungen (Posaune, Mandoline, Bass und Schlagzeug), lässt das Quartett eindrückliche musikalische Momente entstehen, die in ihrer Frische und Vielseitigkeit beeindrucken. Die Kompositionen des Posaunisten gehen weit über die Beschäftigung mit Swing und Bop und Cool hinaus. Thewes arbeitet mit klassischen Strukturen, lässt auch Rock- und Funkanleihen einfließen und deutet damit an, wie frei Jazz sein kann, ohne Freejazz zu sein. So segelt seine Band durch all die Randbereiche und Zwielichtzonen unterschiedlichster Stilarten. Der klangliche Ausdruck reichte von akademisch anspruchsvoll, bis hemdsärmelig fulminant, von asketischer Diszipliniertheit bis zu kollektiver Spontanität.

Martin Schmidt zupft auf der Mandoline gegenläufige, manchmal kauzige Figuren, greift dann wieder zum elektrischen Bass, um gemeinsam mit Jan Oestreich am akustischen Bass groovende Fundamente zu schmieden, die selbst einem James Brown schonungslos in die alten Knochen fahren würden. Dirk-Peter Kölsch hält am Schlagzeug alle Wechsel und Leidenschaften trommelnd zusammen, forciert das Tempo oder steigert die Dynamik mit zusätzlichen verqueren rhythmischen Attacken. Christoph Thewes zeigt sich an der Posaune als ein schwerstarbeitender Feingeist, der die Themen mit Martin Schmidt häufig unisono vorträgt, um dann auszubrechen, in die freie Welt der Improvisation. Hier lotet er die Möglichkeiten seines Instrumentes aus, immer im Kontext des notierten Grundgerüsts. Ausgelassen, übermütig, anarchisch. Plötzliche Wendungen und Brüche bringen das Quartett in neue musikalische Bereiche, lassen bisher Eingängiges sperrig erscheinen - und umgekehrt. Musik, die aus den Gegensätzen schöpft und dabei zeigt, dass es wenig Gegensätzliches gibt.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: