Süddeutsche Zeitung

Germering:So dolle es geht

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Jazzquintett "Die Enttäuschung" überzeugt in Germering

Von Jörg Konrad, Germering

Was ist Jazz? Eine Frage, an der sich auch so manche Fachleute die Zähne ausbeißen. Eine allgemeingültige Definition dieses Musikphänomens gibt es nicht - oder nur schwer. Und auch dies ist eines der vielleicht typischsten Wesensmerkmale dieser Musik.

"Jazz ist der äußere Ausdruck der Freiheit", "Jazz ist international und universell", "Jazz ist die Musik des Augenblicks". Diese drei kurzen Aspekte hat die aus Chicago stammende Sängerin Inez Cacanaugh bereits im Jahr 1963 für die schwedische Zeitschrift "Estrad" zusammengefasst. Wenn in ihnen auch das musikwissenschaftliche Fundament nicht ganz zum Zuge kommt, sind diese Feststellungen jedoch bis in unsere Gegenwart hinein gültig. Sie sind, wie man heute sagen würde, für den Jazz inhaltlich und nachhaltig zutreffend.

Das trifft auf die Musik eben jener Inez Cacanaugh ebenso zu, wie auf das verwegene Spiel des Berliner Quintetts "Die Enttäuschung", das nun in der Germeringer Stadthalle aufspielte. Ein Verbund von Instrumentalisten, deren eines Charakteristikum die freie Improvisation ist, was aber noch lange nicht bedeutet, dass Rudi Mahall (Bassklarinette und Klarinette), Axel Dörner (Trompete), Christof Thewes (Posaune), Jan Roder (Bass) und Michael Griener (Schlagzeug) Free Jazz im klassischen Sinn präsentierten.

"Wir machen Musik, so dolle wir können", sagte der vielleicht meist beschäftigste der Band, Rudi Mahall vor kurzem in einem Interview. Und sie können gewaltig "dolle"! Zudem beherrschen sie die Tradition aus dem Effeff und verlinken diese schonungslos mit der Moderne. So ermöglichen sie aus einem Konglomerat von Vergangenen und Gegenwärtigen einen musikalischen Blick in die Zukunft. Zumindest, wie sie klingen könnte.

In Germering gelingt dem Quintett das Spontane perfekt. "Die Band funktioniert nur, weil keiner der Chef ist und alle gleichberechtigt sind, selbst die Frauen, obwohl gar keine mitspielen", ist noch so ein Bonmont des Bassklarinettisten mit Tiefgang. Aber eben diese Gleichberechtigung, dieses Agieren auf Augenhöhe, egal ob notiert oder frei assoziierend, schafft eine Balance in der Musik. Dabei bewegt sich die Band zwischen den Strudeln improvisatorischer Einsilbigkeit geschickt hindurch.

Die Befreiung aus den harmonischen Fesseln mag dabei manchmal herausfordernd klingen, die Brüche ein wenig übermütig wirken und für den (ungeübten) Zuhörer eventuell auch ein wenig anstrengend klingen. Aber letztendlich bieten "Die Enttäuschung" jazzmusikalische Verbindlichkeiten, auch weil sie auf dem Gruppenerleben aufbauen und dadurch erfrischend und in formaler Stringenz ins Abenteuerland der zeitgenössischen Musik aufbrechen. Die Ecken und Kanten schrecken auf, die klaren Strukturen geben die Richtung vor. Hier ist kreative Ursprünglichkeit am Werk.

Und dann ist der heute allseits anzutreffende Quiz-Gedanke auch bei den Enttäuschten angekommen. Doch ganz so leicht machen sie es den Gästen im Amadeussaal nicht. Schließlich wird der Preis dann nicht eingelöst - macht aber nichts. Wichtig ist das nächste Stück, wie alle überhaupt: Kurz und prägnant, organisiert und von einem universellen Selbstverständnis geprägt.

Und um dem Ganzen noch die theoretische Würze zu geben, haben die einzelnen Kompositionen so humorvolle Titelnamen wie "Jazz als Hobby", "Reich durch Jazz", oder "So tun als ob". Letzteres ist zugleich Rudi Mahalls Lebensmotto - erzählt er zumindest augenzwinkernd dem Publikum zum Schluss.

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Quelle:
SZ vom 29.10.2019
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