Germering:Schwimmen gegen den Schmerz

Mit 50 Jahren hat Maren Piskora gemerkt, dass sie nur im Wasser ihre Arthrose nicht spürt. Die 87-jährige Sportlerin der SSG Neptun Germering ist Weltmeisterin in ihrer Altersklasse und trainiert immer noch drei- bis viermal pro Woche

Von Annette Jäger, Germering

Auf das neongrüne Handtuch ist Maren Piskora besonders stolz. Sie wickelt es sich um die Hüften und präsentiert den Schriftzug, der an die Schwimmweltmeisterschaft in Gwangju in Südkorea 2019 erinnert. Dort ist sie Weltmeisterin über 200 Meter Brustschwimmen geworden. Mit 85 Jahren. Es war die letzte Schwimm-WM, bei der sie an den Start ging, dann kam Corona und Schwimmmeisterschaften konnten lange nicht stattfinden. Es war eine schlechte Zeit für Maren Piskora. Denn seit mehr als 30 Jahren ist die Seniorin, die für die Schwimmsportgemeinschaft (SSG) Neptun Germering schwimmt, vor allem auf eines aus: so oft wie nur möglich auf die Siegertreppchen dieser Welt zu steigen und eine Medaille für gewonnene Schwimmwettbewerbe mit nach Hause zu nehmen. Über 2000 Mal ist ihr das bis jetzt gelungen. So viele Medaillen hängen bei ihr zu Hause doppelreihig an Gardinenschienen. Und wenn es nach Maren Piskora geht, heute 87 Jahre alt, sollen es noch mehr werden.

Aber nun will sie lieber ins Wasser, denn das Stehen schmerzt. Seit einiger Zeit plagen sie immer wieder teuflische Rückenschmerzen, im Wasser sind die Schmerzen weg. Sie streift sich die blaue Badekappe über, schlüpft mit den Füßen in die orangefarbenen Flossen und zieht Bahn für Bahn im Gräfelfinger Schulschwimmbecken in der Volksschule Lochham. Hier trainiert sie drei- bis viermal die Woche.

Maren Piskora ist eine Ausnahme-Sportlerin. Im hohen Alter reist sie um die ganze Welt, um als Masterschwimmerin bei Schwimmwettbewerben an den Start zu gehen und diese üblicherweise auch zu gewinnen. Sie schwimmt immer noch Bestzeiten, im vergangenen Jahr hat sie den deutschen Rekord über 400 Meter Freistil in ihrer Altersklasse 85 bis 90 Jahre aufgestellt. Mit zunehmendem Alter wird es dünn mit der Konkurrenz. "Es ist immer wieder eine Überraschung, wer noch dabei ist und zu sehen, wie es den anderen geht", sagt Piskora. Die Masterschwimmerinnen kennen sich auf der ganzen Welt, man sei wie eine "Riesenfamilie", erzählt die Gräfelfingerin. Die Gemeinde ehrt jedes Jahr verdiente Bürger und Sportler, mit Verlässlichkeit steht Maren Piskora auf der Liste, zuletzt im Oktober. Allein sieben Platzierungen waren es im Jahr 2019 für die sie diesmal die Ehrung mit nach Hause nahm.

Im Gräfelfinger Schwimmbad genießt sie das Rückenschwimmen: die Arme lang über den Kopf gestreckt, nur die paddelnden Beine treiben sie an, Bahn um Bahn legt sie so zurück. "Ausruhschwimmen" nennt sie das, weil es so entspannend ist und sie sich im Wasser so angenehm im Brustbereich dehnen kann: "Die meisten in meinem Alter sind ja ganz krumm." Maren Piskora hingegen geht mit 87 Jahren ganz aufrecht, bewegt sich wie eine junge Frau. Mit dem Gräfelfinger Bad verbindet sie eine lange Geschichte. Hier hat sie als ausgebildete Sportlehrerin in über 30 Jahren mehr als 1000 Kindern das Schwimmen beigebracht.

Germering: "Ausruhschwimmen" nennt Maren Piskora es, wenn sie auf dem Rücken ihre Bahnen im Gräfelfinger Schwimmbad zieht.

"Ausruhschwimmen" nennt Maren Piskora es, wenn sie auf dem Rücken ihre Bahnen im Gräfelfinger Schwimmbad zieht.

(Foto: Stephan Rumpf)

Piskora sammelt Erfolge. Ihren Flur hat sie zu einer Ruhmeshalle dekoriert. Von der Decke baumeln die Medaillen, an den Wänden hängen Urkunden, Zeitungsartikel, die von ihren Erfolgen erzählen, und eine große Landkarte, auf der sie jedes Land mit einem Fähnchen markiert, das sie schon besucht hat - als Schwimmerin oder als Reisende, ihre andere Leidenschaft. Ihre Schwimmzeiten auf Wettkämpfen hat sie handschriftlich in Tabellen notiert und in Klarsichtfolien abgeheftet. Wenn es ihr körperlich nicht so gut geht, stellt sie sich in ihren Flur und spornt sich selbst an: "Stell dich nicht so an, das hast du schon gekonnt." Sie ist eine Kämpferin - sie kämpft um ihre Gesundheit und früher sich selbst auch durchs Leben.

Piskora hat ihre Schwimmkarriere spät begonnen, da war sie schon Anfang 50. Seit Jahren war sie von schmerzender Arthrose in der Hüfte und in beiden Knien geplagt und konnte kaum laufen. Damals fuhr sie ihre eigenen Kinder zum Schwimmtraining ins Germeringer Schwimmbad. Dort wurde sie vom Trainer angesprochen, ob sie es nicht selbst mal versuchen wolle. Das tat sie und stellte fest, dass Wasser der einzige Ort war, wo sie schmerzfrei war. Sie trainierte fortan im Germeringer Bad, wurde Mitglied im Schwimmverein SSG Neptun, für den sie heute noch bei Wettbewerben antritt. Der Sport wurde ihr Motor. "Das schaffst du auch noch!", war schon längst ihr Lebensmotto. Immer weiter, nur nicht stehen bleiben.

Mit Widerständen fertig zu werden, ist sie gewohnt. Vier Kinder hat sie großgezogen, die jüngsten sind Zwillinge, den Haushalt hat sie alleine geführt und obendrein dem Ehemann in der Arztpraxis tagein tagaus zur Seite gestanden. Dazu kamen die körperlichen Beschwerden, oftmals auch Migräne, und sie erlitt einen schweren Autounfall. Es gab immer viele Pflichten, oft auch Überlastung und dabei wenig Anerkennung. Die holt sie sich jetzt im Sport. Früher hat es immer geheißen: "Du musst dies und du musst jenes." Heute genießt sie, dass sie gar nichts mehr muss, nur noch das, was sie sich selbst auferlegt.

Germering: Auf das Handtuch von der Schwimm-WM in Korea ist Piskora besonders stolz.

Auf das Handtuch von der Schwimm-WM in Korea ist Piskora besonders stolz.

(Foto: Stephan Rumpf)

Als Corona kam, war das eine schwere Zeit für sie, die Schwimmbäder waren geschlossen. Piskora setzte sich stattdessen aufs Fahrrad und radelte täglich zehn Kilometer. Außerdem begann sie mit dem Eisbaden. Bei null Grad tauchte sie nur kurz ein, bei vier Grad konnte sie sogar ein wenig schwimmen. "Ich brauche die Verbindung mit dem Wasser", sagt sie. Über den Verein gelang es, dass sie noch im hohen Alter aufgrund ihrer besonderen Leistungen zur bayerischen Kaderschwimmerin ernannt wurde. Damit durfte sie wieder trainieren: "Das war eine Euphorie."

Eine Bremse spürt sie heute doch. Vor drei Jahren sind ihr drei Rückenwirbel förmlich "zusammengebrochen", wie sie sagt - Osteoporose. Sie musste operiert werden, Wirbel wurden zum Teil einzementiert. Ein Jahr nach der Operation hat sie bei der WM in Südkorea dann aber die Goldmedaille geholt. Die Schmerzen im Rücken kommen allerdings immer wieder, vor ein paar Wochen ganz heftig, so dass sie das Training abbrechen musste. Erstmals kam ihr der Gedanke, dass die Beschwerden nicht mehr besser werden, dass sie dagegen nicht mehr anschwimmen kann. Diese Erkenntnis belaste sie mental mehr als die Schmerzen selbst. "Vielleicht sagt mein Rücken mir auch, dass es mit 87 Jahren zu viel ist", sagt die Gräfelfingerin. Sich damit abzufinden, falle ihr sehr schwer.

Die Wettkampftermine für das Jahr 2022 sind gesetzt, darunter die Weltmeisterschaft in Tokio. Erstmals muss Piskora offenlassen, ob sie antreten kann. Vorerst trainiert sie weiter im Gräfelfinger Bad. Ihr Trainingspensum hat sie etwas heruntergeschraubt, statt 1000 Meter schwimmt sie nun 800 Meter. "Aufgeben gibt's nicht für mich" - mit der Einstellung hat sie die Medaille in Südkorea geholt. Vielleicht führt sie auch nach Tokio.

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