Süddeutsche Zeitung

Germering:Schlechte Zeiten für Straßenfußballer

Die Stadt hält ihre Bolzplätze geschlossen, weil die Einhaltung von Regeln dort nicht zu kontrollieren ist

Von Andreas Ostermeier, Germering

Gibt es im deutschen Fußball nach Meinung von Experten mal wieder zu wenig begabte Jungkicker, dann wird lamentiert, dass heutzutage eben die Straßenfußballer fehlten. Diese gelten gemeinhin als wilde und unkonventionelle, trickreiche und durchsetzungsfähige Spieler, die eine anarchische Komponente in die antrainierte Ordnung der großen weiten Fußballwelt bringen könnten. Auch der Deutsche Fußball-Bund pflegt diesen Mythos unter dem Stichwort "Bolzplatz" und gibt im Internet "Paule und seinen Fußballfreunden" Tipps. Doch so trickreich junge Straßenfußballer und Bolzplatzfreunde auch sein mögen, den momentanen Gegner können sie nicht umspielen. Dieser Gegner heißt Corona - und seinetwegen sind die Bolzplätze noch immer geschlossen.

In Germering betrifft dies zum Beispiel die Plätze in der Erikastraße und im Amselweg. Hohe Gitterzäune umgeben den Bolzplatz, am Eingangstor hängt ein Zettel, der den Platz für geschlossen erklärt. Davor stehen die Enkel von Karl Breuninger. Sie möchten zum Spaß ein bisschen kicken, doch das ist nicht möglich, obwohl doch zum Beispiel die Spielplätze seit einiger Zeit wieder zugänglich sind. Dort toben Buben und Mädchen herum, ganz ähnlich wie auf dem Bolzplatz. Nur: Die einen dürfen und die anderen dürfen nicht. Der Germeringer Karl Breuninger versteht das nicht, schließlich ist die Sehnsucht nach dem Spielen doch die gleiche.

Die Stadt Germering aber, der die Bolzplätze gehören, scheint kein Einsehen zu haben für die Freunde des vereinsfernen Kickens. Stadtsprecher Veit Gundermann nimmt zur Begründung das Wort "Rahmenhygienekonzept" in den Mund. Auf diesen Begriff hört der verwaltungsmäßige Catenaccio, der momentan die Bolzplätze - nicht nur in Germering - ebenso zuverlässig versperrt, wie einst die italienische Nationalmannschaft den Weg zum Strafraum. Die Stadt sei aber nicht die Erfinderin dieses Rahmenhygienekonzepts, sagt Gundermann, das komme vielmehr vom Freistaat und sei im Innen- und im Gesundheitsministerium ausgeheckt worden. Germering müsse die Vorgaben aber umsetzen.

Das klingt nach einer faulen Ausrede, wie sie sich so mancher Schiedsrichter anhören muss, wenn er einen Spieler bei der Anwendung unfairer Mittel erwischt hat. Doch was dahintersteht, ist tägliche Praxis in Corona-Zeiten. Überall, wo Menschen zusammenkommen, müssen sie Abstand halten, eine Maske tragen und Hygienevorschriften beachten. Nun ist es so, dass alles erlaubt werden kann, wo solche Regeln kontrolliert werden können. Also dürfen die Vereinskicker wieder ran, denn die haben einen Trainer, der die Einhaltung der Regeln beaufsichtigt.

Am Spielplatz sind die Eltern verantwortlich dafür, dass sich ihre Kinder nicht anhusten oder das Spielzeug des anderen in den Mund stecken. Straßenfußballer aber sind schon per definitionem nicht überwacht. Da stehen weder Vater noch Mutter am Spielfeldrand und haben ein Auge auf den Nachwuchs.

Wild und unkonventionell geht es da zu. Eben das aber mögen Gesundheitspolitiker momentan gar nicht. Denn das könnte - um in der Fußballsprache zu bleiben - ein Steilpass für das Virus sein. So müssen die Bolzplatzkicker also geduldig bleiben - und Fußball-Deutschland wird dann eine Erklärung dafür haben, wenn die DFB-Elf in einigen Jahren bei Turnieren nicht treffen sollte. Schuld daran ist das Coronavirus.

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Quelle:
SZ vom 27.06.2020
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