Buddhistischer Lehrer:Ohne Tiefgang

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Fast tausend Besucher kommen in die Stadthalle Germering, um den Worten des buddhistischen Lehrers Lama Ole Nydahl zu lauschen. Zu hören gibt es jedoch Worthülsen statt klarer Antworten

Von Julia Bergmann, Germering

Lama Ole Nydahl braucht keine Minute, um die Ursachen des Elends auszumachen, das Tausende von Flüchtlingen nach Europa treibt: schlechtes Karma. Wer in einem früheren Leben Schlechtes getan hat, muss mit den Konsequenzen umgehen. Das erklärt der Linienhalter des Diamantweg-Buddhismus bei seinem Vortrag "Buddhismus - was er schafft und tut" in der Stadthalle Germering. Der gebürtige Däne Nydahl hat weltweit über 700 Diamantweg-Zentren aufgebaut. In den Zentren verbreitet er im Auftrag seines früheren Lehrers, des 16. Gyalwa Karmapa, die Lehre des sogenannten Diamantweg-Buddhismus in der westlichen Welt. Dieser steht in der Tradition der Karma Kagyü Linie, einer der vielen Linien des tibetischen Buddhismus, die sich teilweise stark voneinander unterscheiden. Die Zentren hat Nydahl mit großem Erfolg aufgebaut, sie gelten als die anhängerstärksten in Europa. Unumstritten sind der Däne und seine Lehren allerdings nicht. Und auch in Germering offenbart Lama Ole Nydahl ganz besondere Ansichten, etwa zu Flüchtlingen.

Atemlos: Lama Ole Nydahl muss erst einmal tief durchatmen und sich sammeln, bevor er beginnt. (Foto: Carmen Voxbrunner)

Schon bevor Nydahl die Bühne betritt, ist er in der Stadthalle Germering allgegenwärtig. Die Besucher unterhalten sich fast ausschließlich über Ole. Lama Ole sagt dies, Lama Ole sagt das. Es gibt offenbar einen regelrechten Personenkult um Ole Nydahl. Langsam füllt sich der Saal mit Publikum. Vom schillernden Nydahl, dem eine Leidenschaft für Luxus und Frauen nachgesagt wird, fehlt noch jede Spur. Aber eine Botschaft vom Lama gibt es schon. Überbracht wird sie von einem Mann, der die versammelte Lama-Ole-Fangemeinde darüber informiert, dass dieser noch im Verkehr feststecke. Sorgen müsse man sich nicht, "er fährt ein schnelles Auto aus Bayern".

Fast 1000 Besucher waren in die Stadthalle gekommen. (Foto: Carmen Voxbrunner)

Fünf Minuten später ist Ole Nydahl da, er hat ein bisschen auf die Tube gedrückt. Gelächter in den Reihen, man weiß ja um die Vorliebe des Lamas für schnittige Flitzer. Abgehetzt und kurzatmig betritt der buddhistische Lehrer das Podium. Wer einen ausgeglichenen, in sich ruhenden Guru erwartet hat, wird enttäuscht. Aber vor weltlichen Übeln und Stimmungskillern wie dem Verkehr ist offenbar selbst der Lama nicht gefeit. Schon bei der Begrüßung hat er die Sympathien des Publikums auf seiner Seite. Man findet Lama Ole gut, authentisch und humorvoll. Lama Ole beginnt über die Geschichte des Buddhismus zu erzählen, streift fragmentarisch die vier edlen Wahrheiten dieser Religion, die Ursachen des Leidens und die Frage, wie man Leid verhindern kann. Richtig in die Tiefe gehen seine Worte nicht, was vielleicht der Tatsache geschuldet ist, dass ohnehin ein Großteil des Publikums bereits Anhänger seines Münchner Zentrums sind. Er fragt, wer zu dem Zentrum gehört. Ein Großteil der Menschen im Saal zeigt auf.

Nach der Einführung, die es nicht so recht vermag, Uneingeweihten tatsächlich zu vermitteln, was Buddhismus schafft und was er tut, eröffnet Nydahl die Fragerunde. Und irgendwann kommen sie, die Fragen nach der Flüchtlingskrise. Ein Mann will wissen, wie er den Flüchtlingen gegenübertreten, was er für sie empfinden solle. Dabei betont er, dass er vom Islam natürlich auch nicht begeistert sei, wie Lama Ole selbst. Nydahl ist in der Vergangenheit immer wieder durch islamfeindliche Äußerungen aufgefallen. Die Kritik ging auch unter Vertretern verschiedener buddhistischer Linien so weit, dass sie etwa 1997 zur Spaltung des österreichischen Kagyü-Ordens führten. Was die Flüchtlinge angehe, so antwortet Lama Ole, sei das einfach Karma. Dass Nydahl, der geistige Führer, das Konzept des Karmas im Buddhismus völlig unreflektiert und vereinfacht wiedergibt, scheint keinen seiner Anhänger zu stören. Nydahl ist noch nicht fertig. Die Flüchtlinge seien in Ordnung, so lange sie unsere Werte annehmen und einsehen, dass sie bestraft werden, wenn sie Frauen und Kinder schlagen, und so lange sie gezeigt bekommen, wie bei uns gespielt wird. "Aber ich denke, es wird sehr schwierig sein, für sie unsere Kultur zu verstehen", sagt der Mann, der nach drei Jahren Lehrzeit in Indien begonnen hat, eine ihm zuvor völlig fremde Religion und Kultur in Europa zu verbreiten.

Viele Besucher bitten Nydahl in der Fragerunde um Rat. Wie geht man im Leben am besten mit Enttäuschungen um? "Ich denke, man kehrt es am besten um", sagt Nydahl. Von dem Glück, das man selbst empfinde, solle man wünschen, dass es jeder andere auch empfinde. Klare Antworten bekommt an diesem Abend kaum ein Ratsuchender zu hören. Eine Frau möchte wissen, wie sie mit einem bereits seit Jahren andauernden Rechtsstreit in der Familie umgehen soll. Bevor Nydahl antwortet, reißt er erst mal einen Witz. "Das können die Deutschen. Das mit dem Rechtsstreit", sagt er. Dann rät er: "Krieg das Beste, was du hast, und lass die anderen streiten." Die Frau stutzt, ringt mit sich und fragt ob der vagen Worte doch noch nach, was Nydahl damit meine. "Geh mit einem guten Vorschlag rein, lass die anderen machen und werde erleuchtet", sagt der Lama. Ohne genau zu wissen, was die Frau bewegt, kann er sich nicht verkneifen, ihr mitzuteilen, dass man auch in einem kleinen Auto glücklich sein könne und man nicht immer einen Mercedes haben müsse. Zustimmendes Lachen aus den Reihen. Dann muss Nydahl noch etwas loswerden, denn die schlechten Gefühle solle die Frau freilich einfach loslassen. "Wenn es aber um Dinge wie Mitgefühl geht, dann halte fest!", sagt er. Applaus. "Ich werde immer ganz gerührt, wenn ich so etwas sage", meint Nydahl. Bescheidenheit zählt offenbar nicht zu den Stärken des Dänen. Auch an Konzentration scheint es ihm zu mangeln. Bei der Meditation liest Nydahl Absätze aus einem kleinen Heftchen vor, in denen es um Energiefluss und strahlendes Licht geht. Während der Saal rhythmisch atmet und die Meditierenden ihre Augen geschlossen halten, kruscht Lama Ole Nydahl auf dem Tischchen herum, bis er den Süßstoffspender findet und zwei kleine Tabletten in die Tasse fallen lässt. Als die Besucher ihren Meditationsgesang anstimmen und ein dröhnendes Om den Saal erfüllt, versucht Nydahl sein monströses Gähnen hinter dem Meditationsheftchen zu verbergen. Dann schaut er plötzlich, wie aus einem Traum gerissen ins Publikum und strafft sich. Als die Meditation vorüber ist, blicken sich die Menschen ganz beseelt um. Das Beste aber steht den glühendsten der Lama-Ole-Anhänger noch bevor: der Segen des Lamas, der ein Amulett voller Reliquien aller 16 Karmapas auf die Hinterköpfe seiner Anhänger drückt um deren Energiefluss anzuregen. Grüppchenweise drängen die Menschen aus der Stadthalle. Eine Besucherin geht still neben ihrem Begleiter her. Irgendwann findet sie ihre Worte wieder. "Buddhismus habe ich mir ganz anders vorgestellt", sagt sie.

© SZ vom 22.10.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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