Süddeutsche Zeitung

Uralte Tradition:Mit Krawumm ins neue Jahr

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Wer bei den Unterpfaffenhofener Böllerschützen mitmachen will, braucht nicht nur Ohrenstöpsel.

Von Christian Hufnagel, Germering

Nicht jeder braucht diesen Brauch mehr. Aber Carmen Sturz ist es ein Herzensanliegen, "diese alte Tradition aufrecht zu erhalten". "Trotz der heutigen Widrigkeiten", wie die 54-Jährige die schwindende Akzeptanz in der Gesellschaft beschreibt: der Krach, der Feinstaub, die armen Tiere. Das bekommt sie von Kritikern zu hören. Deshalb haben sich die Auftritte auch reduziert. Früher trug die Gruppe zu vielerlei Festivitäten ihren bedeutsamen Teil bei, Hochzeiten, Maibaumfeiern, Volksfeste. Aber nun seien nur noch die Geburtstage der Mitglieder übrig geblieben und - nach zwei Jahren Corona-Pause - die publikumswirksame Vorführung am 1. Januar. Da wollen die Böllerschützen des Schützenvereins "Gemütlichkeit" Unterpfaffenhofen wieder "die Geister des Winters mit viel Rauch und Lärm" vertreiben. Das hehre Unterfangen beginnt um 14 Uhr. Als Ort des Neujahrsböllern wurde die Lichtung oberhalb des Parkplatzes am Germeringer See gewählt.

Jeder hat acht Schuss vorbereitet

Carmen Sturz wird wieder den Ton angeben. Sie ist die Schussmeisterin: "Ich sage an, wie geschossen wird." Jeder Böllerschütze wird für diesen Tag acht Schuss vorbereitet und dabei haben. Was die Zuschauer und Zuhörer erwartet, sind verschiedene Reihen- und damit Krachfolgen. Beim Salut schießen alle gleichzeitig. Beim Doppelschlag feuern zwei Schützen direkt nacheinander ab, dann wird etwas gewartet, bis die nächsten beiden drankommen. Dann gibt es das "Rad", bei dem mit zunehmender Geschwindigkeit geschossen wird, bis die letzten zwei bis drei Schützen schon fast gleichzeitig abdrücken.

Ablauf und Dramaturgie werden nun nicht in wöchentlichen Trainings eingeübt, wie man vielleicht annehmen könnte. Zwar treffe man sich einmal im Monat, so Sturz, aber nur zur Geselligkeit. Das Zwischenmenschliche war für sie auch ausschlaggebend, dass sie sich 2007 den Böllerschützen anschloss: "Die Truppe war wirklich lustig." 18 Mitglieder sind es derzeit, was fehlt ist allerdings der Nachwuchs: "Meine Schwester und ich sind die Jüngsten."

Paragraph 27

Mit dem Schießen und dem Schützenverein hat Sturz bis dahin nichts zu tun gehabt. Danach musste sie sich allerdings schon mit dem Metier auseinandersetzen. Denn wer Krach mit dem Abbrennen von Schwarzpulver machen will, muss dafür nach dem Sprengstoffgesetz (Paragraph 27) eine Erlaubnis erwerben und einen Kurs absolvieren, dazu natürlich auch ein sauberes Führungszeugnis aufweisen. Und es muss für jeden einzelnen Böller eine Beschussbescheinigung vorliegen, zudem werden die Böllergeräte alle fünf Jahre geprüft.

"Der Böller ist keine Waffe, sondern ein Schussgerät", ergänzt die Schussmeisterin. Heißt: Einen Hand- oder Standböller kann sich jeder kaufen. Diese fallen nicht unter das Waffengesetz. Nur schießen darf man erst mit der entsprechenden Bescheinigung. Früher wurde für jedes Böllerschießen eine Genehmigung von der Gemeinde benötigt, außerdem musste man das Schießen bei der örtlichen Polizei anmelden. Es war nicht erlaubt, auch nicht an Silvester, ohne Erlaubnis zu böllern. Heute ist es ausreichend, die Polizei oder die Gemeinde zu informieren.

Damit alles bei einem Auftritt klappt, nehmen die Unterpfaffenhofener Böllerschützen zweimal im Jahr am "Gausicherheitsschießen" in Oberweikertshofen teil: "Da üben wir einfach und probieren die unterschiedlichen Schussfolgen", so Sturz. Und natürlich auch die Kommandos: Das Einfüllen des Schwarzpulvers; dessen Verdämmen mit Hilfe von Korken, Hammer und Ladestock; das Setzen des Zünders und schließlich das Abfeuern.

Und dann wird es gefährlich? "Es kracht, es ist laut, mehr passiert nicht", sagt Sturz, die betont: Wenn sich alle an die Regeln hielten, sei das Böllerschießen nicht gefährlich. Wenn nicht, kann es aber zu schwerwiegenden Unfällen kommen. So wurde 2012 in Hamm einem Mann die rechte Hand abgerissen, als sich beim Nachladen Schwarzpulver entzündete. Und in Leverkusen wurde ein Mann beim Zünden einer Kanone von der Schwarzpulverladung im Gesicht getroffen und schwer verletzt.

Die Unterpfaffenhofener Böllerschützen blieben in ihrer Geschichte von derartigem Unheil verschont. Und auch der buchstäblich ohrenbetäubende Lärm kann ihnen nichts anhaben: "Wir tragen alle Ohrenstöpsel", erzählt die Schussmeisterin, womit dem uralten Brauch nichts mehr im Weg stehen dürfte, die Germeringer wieder mit einem ordentlichen Krawumm ins neue Jahr zu bringen.

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