Germering:Beschwerlicher Weg durchs Behördendickicht

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Alltägliche Hürde: Auf dem Weg zur Arbeit muss Simone Hochfilzer erst einmal die Treppe hinunter. (Foto: Günther Reger)

Simone Hochfilzer ist berufstätig, hat zwei Kinder und sitzt im Rollstuhl. Auf der Suche nach Hilfe trifft sie auf viele Hindernisse

Von Andreas Ostermeier, Germering

Simone Hochfilzer sitzt im Rollstuhl, ihre Beine sind gelähmt. Ein solches Leben ist anstrengend und kostet viel Kraft. Doch die 48-Jährige will sich nicht unterkriegen lassen. Nicht von ihrer Krankheit und nicht von Ämtern und Versicherungen. Die Germeringerin erzieht allein zwei Kinder, der Sohn ist 18, die Tochter sieben Jahre alt. Beide gehen noch zur Schule. 16 Stunden in der Woche arbeitet Hochfilzer zudem im Büro der Schülerhilfe in Germering. Sie kümmert sich um Nachhilfe für Kinder oder Gespräche mit Eltern. Simone Hochfilzer sagt, sie liebe ihren Beruf und möchte nicht ohne ihn sein. Sie macht es sich nicht leicht, und ihr wird es nicht leicht gemacht.

Da ist zum Beispiel die Sache mit ihrem Auto. Trotz der Behinderung kann Hochfilzer Auto fahren. Sie hat den Wagen auch so umbauen lassen, dass das Fahren mit gelähmten Beinen möglich ist. Die Germeringerin würde gerne ihren Wagen für den Arbeitsweg nutzen. Zudem könnte sie an den Wochenenden mit ihren Kindern etwas unternehmen. Doch am Wochenende sitzt die 48-Jährige oft zu Hause. Mit dem Auto wegfahren, das geht nicht. Denn Hochfilzer hat einen Rollstuhl, der nicht ins Auto passt. Die Rentenversicherung hat ihr den Umbau des Wagens finanziert. Jetzt zahlt sie die Taxikosten für den Weg ins Büro.

Der Rollstuhl passt aber auch nicht zu Hochfilzers Krankheit - sagt die Universitäts- und Rehabilitationsklinik in Ulm (RKU), in der die Germeringerin vor einem Jahr gewesen ist, weil die Lähmung ihrer Beine immer stärker wurde und sie schließlich nicht mehr gehen konnte. Die Klinik moniert die hohe Lehne des Rollstuhls, den die Germeringerin von der Krankenkasse bekommen hat. Sie versinke in dem Stuhl, sagt Hochfilzer. Für ihre Wirbelsäule sei das ganz schlecht. Der täte eine knappe Lehne gut, die zur Mobilisation der Rückenmuskeln und zur Aktivität anregt. Das passt auch viel besser zu Simone Hochfilzer.

Doch einen solchen Rollstuhl hat sie nicht bekommen - noch nicht. Demnächst soll sie Besuch von einem Gutachter der Krankenkasse erhalten. Der will sich ihre Situation ansehen. Die Verzögerung begründet Stefan Wandel, Pressesprecher der DAK in München, damit, dass Hochfilzer zunächst keine medizinischen Gründe für einen anderen Rollstuhl angegeben habe. Die Germeringerin müsse freilich mit ihrem Rollstuhl "etwas anfangen können", konzediert Wandel. Doch die Krankenkasse zahle nur, wenn medizinische Gründe für einen neuen Rollstuhl vorlägen. Andernfalls seien die Renten- oder die Pflegekasse zuständig, sagt der DAK-Sprecher.

So geht es Hochfilzer auch bei anderen Anliegen. Sie wünscht sich, als berufstätige Mutter in ihren Aktivitäten unterstützt zu werden. Doch der Eindruck ist: Im Dickicht von zuständigen und nicht zuständigen Ämtern und Versicherungen erschöpft sich der Elan der Frau. Sie fühle sich in eine Ecke gedrängt, in die sie nicht möchte, sagt Hochfilzer und erzählt von der Haushaltshilfe, die sie nötig habe. Immerhin: Einmal in der Woche kommt eine Helferin aus München, kocht, wäscht und putzt. Doch sie bleibt nur dreieinhalb Stunden. Mehr kann die Germeringerin von ihrem Lohn aus 16 Wochenstunden Arbeit nicht bezahlen. Dass jemand dreimal in der Woche bei ihr vorbeischaue, das wünscht sich die Frau im Rollstuhl. Dafür muss sie Sozialhilfe beantragen. Die gibt es aber nur, wenn die Krankenkasse einen Antrag auf Unterstützung für die Haushaltshilfe ablehnt. Eine Menge Papierkram. Hochfilzer hat eine solche Ablehnung jetzt erhalten. Nun hofft sie, dass das Landratsamt nicht gerichtlich gegen die Ablehnung vorgeht. Sonst wartet sie weitere Monate auf Geld und Hilfe.

Die 48-Jährige ist erschöpft, sie brauche rasche Hilfe, sagt sie, auch weil die beiden Kinder nicht länger unter der Situation leiden sollen, die ihre Krankheit hervorgerufen hat. Schon seit Jahren geht es der Germeringerin nicht gut. Erst hatte sie Probleme mit dem Gehen, Lähmungen. Dann benötigte sie Krücken. Schließlich gehorchten ihr die Beine gar nicht mehr. Ein Schlaganfall im Rückenmark ist wohl die Ursache für ihre Leiden. Ärzte hätten dort eine Narbe festgestellt, erzählt sie. Die Signale aus dem Gehirn kommen nicht mehr in den Beinen an. Ein solcher Infarkt ist sehr selten, schon gar bei einer Frau in den Vierzigern. Doch Hochfilzer will nicht aufgeben. Sie sei zu jung, um sich schicksalsergeben in einen Rollstuhl zu setzen, sagt sie und hat noch Hoffnung, dass die Lähmung wieder zurückgeht. Möglich ist das. Deshalb will sie weiterkämpfen. Das aber ist anstrengend, nicht nur für sie, auch für Sohn und Tochter. Die Kinder täten, was ihnen möglich sei, sagt die Mutter. Der Sohn kauft ein, kümmert sich um die Wäsche, bereitet Mahlzeiten zu. Aber er muss sich auch auf die Berufsschule konzentrieren. Ein Jahr hat er bereits verloren, weil ihre Lage im vergangenen Jahr für die ganze Familie so deprimierend gewesen sei, sagt Hochfilzer.

Unterstützung braucht sie auch bei der Suche nach einer neuen Wohnung. Sie und ihre Kinder wohnen im ersten Stock eines Hauses an der Dorfstraße. Hochfilzer sucht eine Wohnung im Erdgeschoss. Dann müsste sie nicht täglich den Arbeitsweg damit beginnen, auf dem Hosenboden die Stufen ins Erdgeschoss hinunter zu rutschen, wenn das Taxi für die Arbeit vorfährt, weil an der Treppenkehre zu wenig Platz für den Rollstuhl ist. Doch eine solche Wohnung zu einem bezahlbaren Mietpreis zu finden, ist schwer. Sie hat es bereits im Internet versucht. Bislang noch ohne Erfolg. Die Stadt Germering helfe ihr bei der Wohnungssuche, sagt Sozialreferent Herbert Sedlmeier. Doch bislang konnte die Stadt keine barrierefreie Wohnung zur Verfügung stellen. Hochfilzer kann das nicht verstehen: Einer Mutter im Rollstuhl, der müsse doch rasch geholfen werden, sagt sie.

© SZ vom 12.11.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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