Germering/Berlin:Wie auf Klassenfahrt

Germering/Berlin: Ihren Platz im Bundestag gefunden hat Carmen Wegge.

Ihren Platz im Bundestag gefunden hat Carmen Wegge.

(Foto: Privat/oh)

Die SPD-Abgeordnete Carmen Wegge, die in Olching aufgewachsen und jetzt auch für Germering zuständig ist, erlebt ihre ersten Tage im Bundestag

Von Jessica Schober, Germering/Berlin

Der allererste Tag im Bundestag? "War wild", sagt Carmen Wegge. Eine Frau des forschen Wortes ist für den Wahlkreis Starnberg-Landsberg in den Bundestag eingezogen, und sie macht keinen Hehl daraus, wie sehr sie ihr Mandat begeistert. Mit gerade 32 Jahren hat es die Juristin und Poetry-Slammerin auf Listenplatz 20 der Bayern-SPD ins Parlament geschafft. Bis spät in die Wahlnacht hinein hatte sie gebibbert, ob es für den Einzug reicht. Doch schon am Montag drauf steigt sie in den Zug nach Berlin, checkt in ein Hotel in Reichstagsnähe ein und beginnt ihren neuen Job als Abgeordnete. Neuer Laptop, neue E-Mail-Adresse, schnell ein Fahrstuhl-Selfie, schon ruft jemand auf dem Flur: "Hey, du auch hier!?"

Auf ihrem Instagram-Account zeigt Wegge Selfies mit Weggefährten aus ihrer Zeit als bayerische Juso-Vizevorsitzende, staunt über die Laufbänder, die die Abgeordneten schneller zur Sitzung bringen ("Wie am Flughafen!"), und will "einmal noch albern und ab dann zu 100 Prozent seriös sein", wie sie unter ein Foto von sich mit Partyhütchen schreibt. "Wir fahren nach Berlin", steht da, dazwischen Bilder vom Bahnhof, als stünde ihr ein großer Aufbruch bevor. Wegge hat ein wenig das Gefühl, auf einer großen Klassenfahrt in die Hauptstadt gelandet zu sein.

Wie es ist, sich auf dem politischen Parkett zu bewegen, hat Wegge bei den Jusos gelernt, bei denen sie schon als 24-Jährige mitmischte. "Mich kann in der parlamentarischen Arbeit nicht mehr so viel überraschen", sagt sie selbstbewusst. Trotzdem muss sie sich erst an die Aufmerksamkeit gewöhnen, die ihr nun zuteil wird. Dass ihr sogar die Polizeiinspektion Landsberg zum Einzug in den Bundestag gratulierte, hat sie gefreut.

Von den 206 Mandatsträgern der SPD-Fraktion sind 104 Abgeordnete das erste Mal im Bundestag, erzählt Wegge. Für die Neulinge gibt es Einführungsveranstaltungen. Als Wegge zum Gruppenfoto mit den Genossen antritt, steht sie mittendrin. Alle bis auf Karl Lauterbach setzen ihre Maske ab - das SPD-Fraktionsbild wird sofort kritisiert. Wegge relativiert, dass freilich alle Masken im Bundestag trügen und sie nur kurz fürs Foto abgenommen hätten. Doch kaum ist das Bild draußen, schreibt ihre Schwester: "Du hast ja schon deinen ersten Maskenskandal!"

Wegge will im Innenausschuss oder im Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz mitarbeiten. "Das wäre auch für den Wahlkreis interessant, denn dort wird wohl über den Mietendeckel verhandelt werden." Neben den Landkreisen Starnberg und Landsberg am Lec h gehört auch die Stadt Germering zum Wahlkreis.

Wer in welchem Ausschuss arbeitet, wird aber erst nach den Koalitionsverhandlungen entschieden. Bei den Sondierungsgesprächen habe sie nicht so sehr "ein Ohr an der Schiene", sagt Wegge, dafür sei sie momentan noch zu überwältigt von all dem Neuen. Bloß als sie einen ebenfalls neu eingezogenen FDP-Abgeordneten trifft, den sie noch als Juli-Vorsitzenden aus Bayern kennt, ruft sie ihm keck zu: "Na, wie sieht's aus?" Natürlich wünscht Wegge sich eine Ampel-Koalition mit Olaf Scholz als Kanzler.

Sie hat sich viel vorgenommen: "Ich will auf jede E-Mail antworten, auch wenn ich nicht selbst zuständig für das Thema bin." Bei Anliegen wie Flugaufkommen und Lärmschutz könne sie sich vorstellen, den Kontakt zum Sonderflughafen Oberpfaffenhofen herzustellen. "Ich habe Demut vor der Aufgabe und davor, dass ich jetzt 83 Millionen Menschen vertrete." Wo genau sie ein Wahlkreisbüro eröffnen wird, weiß Wegge, die in Olching aufgewachsen ist, noch nicht. Womöglich werden es auch zwei Anlaufstellen, weil der Wahlkreis so groß ist. Einen festen Wohnsitz in Berlin will sie sich zunächst nicht zulegen, auch wenn sie von einer "Rote-Socken-WG" träumt. Abgesehen von den Sitzungstagen will sie im Wahlkreis bleiben - auch bei ihrer Familie. "Das ist eine Herausforderung für meinen Mann, sich in den Plenarwochen vier Tage allein um unsere neunmonatige Tochter zu kümmern - aber er schafft das", sagt Wegge.

Jetzt muss die neue Parlamentarierin erst mal eine erfahrene Büroleitung in Berlin finden, sie führt schon Bewerbungsgespräche. Eine ungewohnte Erfahrung, dass sie nun selbst Menschen anstellen wird und nicht mehr um Zustimmung kämpfen muss. Überrascht war Wegge auch von einem Kunstprojekt im Reichstagsgebäude; in einem kleinen Innenhof sammeln alle Abgeordneten Heimaterde aus ihren Wahlkreisen. Wegge wird also demnächst ein Schäufelchen Erde nach Berlin nehmen - am liebsten von der Gilchinger "Glatze", wo Wohnungen für 2000 Menschen entstehen sollen.

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