Anfang 2024 soll es passiert sein, in ihrem Hau in Germering: eine zweite Runde Sex, die sie nicht wollte. Etwa vier Wochen später erstattete die 37-jährige bei der Polizei Anzeige gegen ihren damaligen Liebhaber wegen Vergewaltigung. Jetzt traf sich das ehemalige Liebespaar wieder vor dem Schöffengericht am Amtsgericht in Fürstenfeldbruck. Nach sieben Stunden Verhandlung sprachen die Richter den 32-jährigen Münchner frei. Sie kamen nach der Vernehmung der Zeugen laut dem Vorsitzenden Richter Martin Ramsauer zu dem Ergebnis, „dass es so eine Tat nicht gegeben hat“.
„Nach Auffassung des Gerichts war der gesamte Fall mit vielen Fragezeichen von Seiten der Geschädigten versehen“, begründet er das Urteil, das er mit zwei Laienrichtern beiden Geschlechts gefällt hat. So hatte die junge Frau auch nach eigener Aussage die Beziehung zu dem Münchner weiter aufrechterhalten, Sex inklusive. Es gab zudem ein Wochenende, das die beiden in Salzburg in einem Hotelzimmer verbrachten. Dieses Verhalten ist nach Auffassung des Gerichts nicht nachvollziehbar, wenn ihr der Mann vorher Gewalt angetan hat. Überdies schrieb sie danach noch liebevolle Nachrichten an den Angeklagten, mehrere Tage lang schickte sie ihm ein Foto ihrer Hand mit einem Verlobungsring.
„Das war ein Witz“, erklärt die Germeringerin. Wie die alleinerziehende Mutter von zwei Kindern mit türkischen Wurzeln erläutert, waren ihre emanzipierte Lebensweise und der Fakt, dass sie auch zu anderen Männern Kontakt hatte, von Anfang an ein Streitpunkt in ihrer On-Off-Beziehung gewesen. Deshalb habe er sie auch nie seinen ebenfalls aus der Türkei stammenden Eltern vorstellen wollen: Eine ältere Frau mit Kindern von einem anderen Mann sei für diese als Partnerin undenkbar gewesen.
Ihr widersprüchliches Verhalten, etwa die Fahrt nach Salzburg oder ihr Versuch, die Strafanzeige nach einigen Wochen wieder zurückzunehmen, begründet die 37-jährige vor Gericht mit Angst. Nach dem erzwungenen Geschlechtsverkehr habe sie eine Weile gebraucht, um zu realisieren, was überhaupt passiert war. Als sie sich dann von dem Münchner lösen wollte, habe der sie gestalkt und mittels Drohung zu dem gemeinsamen Wochenende und zur Anzeigenrücknahme bewegt. Andere Widersprüchlichkeiten wie den freiwilligen Geschlechtsverkehr und liebevolle Textnachrichten kann die Germeringerin selber nicht erklären.
Der Polizeibeamte, der damals die Anzeige aufgenommen hatte, sowie seine Kollegin von der Kripo schildern die junge Frau als überaus glaubwürdig. Das gemeinsame Wochenende habe die 37-Jährige von Anfang an erwähnt, „das war ihr sehr unangenehm“, berichtet die Beamtin. Ihr hatte die Geschädigte jedoch erzählt, dass sie das Ganze zu einem gütlichen Ende bringen und dem Angeklagten nicht schaden wolle; damit hatte sie auch den Versuch erklärt, ihre Anzeige wieder zurückzunehmen. Ein gemeinsamer Bekannter der beiden wiederum, der den Angeklagten schon länger kennt, sagt über ihre Beziehung: „Der Angeklagte wollte ja nichts mehr von ihr, aber sie wollte ihn unbedingt zurück, das weiß ich ganz sicher.“ Schon vor dem Plädoyer unterstreicht der Vorsitzende, dass „nach Auffassung des Gerichts kein Tatnachweis erbracht worden ist“. Die Staatsanwältin indes befindet die Aussage der Germeringerin „umfassend, glaubhaft und auch glaubwürdig“, das Kerngeschehen habe sie von Anfang an immer wieder gleich geschildert. Sie beantragt, den bislang nicht vorbestraften Münchner wegen eines sexuellen Übergriffs in einem besonders schweren Fall, einer Vergewaltigung, zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und drei Monaten zu verurteilen.
Die Verteidigung sieht das naturgemäß ganz anders. „Wer schreibt seinem Vergewaltiger Liebesnachrichten?“ Die Germeringerin sei eine „wahnsinnig gute Schauspielerin, die ihre weiblichen Reize einsetzt, wie sie es gerade braucht.“ Wichtige Details, etwa, dass er sie während der Tat gewürgt habe, hätte sie heute nicht mehr erwähnt, resümiert der Jurist und fordert einen Freispruch.
Auch für die Richter sind nach der Beweisaufnahme für einen Schuldspruch zu viele Fragen offen. Sie sprechen den Münchner frei. „Wer fährt freiwillig mit seinem Sexualstraftäter ins Wochenende?“, beendet der Vorsitzende den Prozess.