Gericht:Erziehung statt Strafe

Das Urteil gegen eine Fahranfängerin nach einem Unfall mit Todesfolge löst eine rege Debatte aus. Viele finden es zu milde. Ein Jurist erklärt, wie ein Richter zu einer solchen Entscheidung findet

Von Ariane Lindenbach, Fürstenfeldbruck

Amtsgericht FFB

Lesen als erzieherische Maßnahme hält das Amtsgericht Fürstenfeldbruck für angemessen.

(Foto: Günther Reger)

"Unfassbar", "zu milde Strafe", aber auch Unverständnis für den Ruf nach einer härteren Bestrafung: Die Reaktionen auf Facebook zum Urteil des Jugendgerichts in Fürstenfeldbruck über einen Verkehrsunfall auf der B 2 bei Germering, bei dem eine Dreijährige starb und ihr jüngerer Bruder sowie die Mutter schwer verletzt wurden, zeigen, dass das Thema die Menschen bewegt und polarisiert. Und dass manche von ihnen nicht verstehen können, weshalb ein junger Mensch, der solch einen Unfall verursacht und damit das Leben einer ganzen Familie für immer dramatisch verändert hat, lediglich mit einer richterlichen Weisung in Form von einer Teilnahme an einem Leseprojekt "davonkommt".

Die Beiträge auf Facebook zeigen auch, dass einige Kommentatoren von dem Gerichtsurteil eine Art Sühne für das Geschehene erwarten würden. Etwa in dem Tenor: Die Unfallfahrerin hat einen Menschen getötet, zwei andere schwer verletzt - und jetzt muss sie nur ein Buch lesen? Andere würden unfallfrei rote Ampeln überfahren und würden dafür mit Fahrverbot und Punkten in Flensburg bestraft.

Doch wie ein Sprecher des Amtsgerichts erläutert, kommt es insbesondere im Jugendstrafrecht überhaupt nicht darauf an, ob mit der richterlichen Entscheidung das Geschehene in irgendeiner Weise verrechnet" werden könnte. "Im Jugendstrafrecht geht es um den Erziehungscharakter", dort stehe der Angeklagte mit seiner Lebenssituation im Vordergrund nicht die Tat, sowie eine für das Vergehen möglichst adäquate Bestrafung.

90-Grad-Kurve

In Folge des Unfalls geriet die Zufahrt zur B 2 in den Fokus und damit die lange, gerade Zufahrt und der unvermittelt im rechten Winkel abknickende Beschleunigungsstreifen - der vor allem bei Dunkelheit wegen fehlender Warnschilder schwer zu erkennen war. Angefacht wurde die Sicherheitsdebatte durch zahlreiche kritische Wortmeldungen von SZ-Lesern. Nach einer Verkehrsschau, an der auch Vertreter von Stadt und Polizei teilnahmen, zeigte sich das Straßenbauamt Freising einsichtig und kündigte eine Entschärfung der Kurve an. Behördensprecherin Carola Hetzenecker sicherte als Sofortmaßnahme das Aufstellen von Warnschildern an. slg

Bei der Urteilsfindung bewertet das Gericht, wie groß das Verschulden des Angeklagten war. Bei dem Unfall in Germering lag es im untersten Bereich. Die 18 Jahre alte Unfallverursacherin hatte damals einen Monat Fahrpraxis, war nach eigenen Angaben ein Mal die umstrittene Auffahrt entlanggefahren. Wie der Gerichtssprecher erläutert, war das einzige Verschulden der jungen Frau ihre mit 45 Stundenkilometern leicht erhöhte Geschwindigkeit. Doch auch das müsse im Zusammenhang mit ihrer Unerfahrenheit gesehen werden, ein erfahrener Fahrer hätte das anders gehandhabt. "Es gab da wohl damals keinerlei Geschwindigkeitsbegrenzung", gibt der Jurist zu Bedenken. Bereits direkt nach der Kollision war es zu einer Beitragsflut in den sozialen Medien gekommen: Etliche kritisierten die Auffahrt auf die Bundesstraße als viel zu gefährlich. Inzwischen hat das Straßenbauamt die Beschilderung verbessert (siehe Stichwort).

Des weiteren fließt in die richterliche Entscheidung auch immer der Hintergrund des Angeklagten mit ein, im Jugendstrafrecht bekommt dieser Punkt noch einmal besonderes Gewicht. Bei beiden, Erwachsenen wie Jugendlichen, geht es um bisherige Vorstrafen: je mehr, desto höher wird die nächste Strafe sein. Bei jungen Menschen bis 21 Jahre, die vor dem Jugendgericht landen, kommen weitere Fragen dazu: Wie ist sein bisheriges Leben verlaufen? Geradlinig mit Schulabschluss, Studium, Lehre? Oder gab es Brüche wie etwa viele Umzüge, Schulwechsel, Scheidung? Auch in dem Punkt hat die 18-Jährige, die mit einem Abischnitt von 1,7 nun ihr Studium begonnen hat, Positives vorzuweisen: "Eine gut situierte Dame, die aus geordneten Verhältnissen stammt", da dürften die Prozessbeteiligten wohl kaum den Eindruck gewonnen haben, die Angeklagte bedürfe noch vieler Erziehungsmaßnahmen.

Neue Schilder B2

Die rot-weißen Warnzeichen und eine Begrenzung der Geschwindigkeit auf der langen Geraden davor sind erst nach dem tödlichen Unfall angebracht worden.

(Foto: Günther Reger)

Schließlich kommt die persönliche Betroffenheit mit ins Spiel, also die Frage, wie sehr leidet die Angeklagte unter dem von ihr verursachten Unglück. Die 18-Jährige jedenfalls wirkte so, als werde sie diesen Unfall nicht mehr zu vergessen.

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