Gerät der DLR:Sensor hat ein Auge auf Rehkitze

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Xaverlines Mutter ist von einer Mähmaschine getötet worden. Ein Gerät der DLR soll derartige Unfälle künftig verhindern.

Markus Peters

Hörbach/Oberpfaffenhofen - Die Tarnung ist nahezu perfekt, nur die Ohren des drei Monate alten Rehkitzes verraten das Tier. "Xaverline!", ruft die Landwirtin Elfriede Rasch immer wieder. "Heut ist sie aber ganz extrig." Nur zaghaft wagt sich das Rehkitz aus dem hohen Gras. Beim ersten Grasschnitt in diesem Jahr war die Mutter des Kitzes von einer Mähmaschine erfasst worden, das junge Reh aber konnte Elfriede Rasch retten. Sie hat das Kitz mit der Flasche aufgezogen. Schätzungen zufolge werden in Deutschland jedes Jahr rund 100000 Rehkitze von Mähmaschinen verstümmelt oder getötet.

"Wir zwei gehören einfach zusammen": Landwirtin Elfriede Rasch und Rehkitz Xaverline. (Foto: Günther Reger)

Bei Gefahr ergreifen nur ausgewachsene Tiere die Flucht, zurück bleiben meist die frisch gesetzten Jungtiere. Sie verharren in den ersten Lebenstagen zusammengekauert auf dem Boden in der sogenannten Drückstellung. Auch Müllsäcke, die im Wind rascheln, Duftstoffe oder Jäger, die die Wiesen mit Hunden absuchen, bringen deshalb oft nicht den gewünschten Effekt. Gut getarnt im hohen Gras warten Rehkitze so oft auf ihren sicheren Tod. Rasch aber fand das Tier nach langer Suche. "Komm Xaverl, geh' ma heim!", habe sie beim Anblick des Kitzes gesagt, es vorsichtig auf den Arm genommen, nachdem das verstümmelte Muttertier durch einen Schuss von seinem Leiden erlöst worden war.

Genau drei Monate ist das her, aus dem Xaverl ist inzwischen eine Xaverline geworden. "Das was meine Tochter entdeckt hatte, war wohl die Nabelschnur", sagt Rasch. Jeden Tag um halb sechs Uhr morgens macht sich das Kitz auf zur Erkundungstour. Ins hohe Gras, das nahe Maisfeld, in den Hain auf der anderen Seite des Bächleins. Wann immer es die Arbeit auf dem Hof der Familie zulässt, sieht Rasch nach dem Tier. Xaverline ist ihr ans Herz gewachsen, oft verbringt sie bis zu drei Stunden mit dem jungen Reh. "Wir zwei gehören jetzt einfach zusammen", sagt Rasch.

Nach dem Fuchs ist die Mähmaschine der größte Feind der Rehkitze. Damit sich das ändert, forscht ein Team aus Industrie und Forschungseinrichtungen seit April 2008 an einem Wildrettungssystem. Grundlage ist der tragbare ISA Wildretter, eine sechs Meter lange Stange, bestückt mit Infrarotsensoren. Sie sollen Kitze aufgrund ihrer Körpertemperatur im hohen Gras erkennen. Das System wurde bereits 1999 entwickelt, kann aber nur zu Fuß und in den Morgenstunden eingesetzt werden, wenn der Temperaturunterschied zwischen Umgebung und Kitz ausreichend groß ist. Eine praktikablere Lösung soll durch die Kombination von Infrarot-, Mikrowellen- und Videosensoren gefunden werden. Auf einen Auslegearm am Traktor montiert, sollen sie während des Mähens den nächsten Mahdstreifen nach Wildtieren absuchen. "Ziel ist es herauszufinden, welche Sensorensysteme sich dafür überhaupt eignen", sagt Martin Israel vom Deutschen Zentrum für Luft und Raumfahrt (DLR) in Oberpfaffenhofen. Wird ein Rehkitz gefunden, bleibe genügend Zeit, um es zu bergen. Derzeit wird das System mit Attrappen erprobt, die mit warmem Wasser gefüllt sind. "Ich bin mir sicher, dass wir auf dieser Grundlage ein serienreifes Produkt entwickeln können", sagt Israel. Ende 2011 soll der Prototyp fertig sein.

Ohne ein solches System hat der Fahrer einer modernen landwirtschaftlichen Maschine meist keine Chance, im Gras versteckte Rehkitze rechtzeitig zu erkennen. Große Flächen werden mit bis zu 20 Kilometern pro Stunde gemäht, die Traktoren und Mähwerke immer breiter und leistungsfähiger. Das birgt nicht nur Gefahren für das Wild, sondern auch für die Tiere im Stall. Gelangt der Kadaver eines getöteten Tieres unbemerkt in die Silage, so können Giftstoffe entstehen, die lebensbedrohliche Vergiftungen hervorrufen. Außerdem machen schneller wachsende Grassorten und Düngereinsatz immer häufigeres Mähen möglich.

Immer wenn sie vom Hof herüber kommt, hofft die Landwirtin, dass ihr Rufen nicht vergebens ist. Der Mais wiegt sich noch im Wind, hier hält sich das Kitz oft und gerne auf. Doch das Feld wird bald abgeerntet.

© SZ vom 01.09.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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