Gedenken:Gegen das Vergessen

Gedenken: Etwa 100 Besucher gedenken mit einer Schweigeminute am Mahnmal in Fürstenfeldbruck der Opfer des Todesmarsches am Ende des Zweiten Weltkriegs.

Etwa 100 Besucher gedenken mit einer Schweigeminute am Mahnmal in Fürstenfeldbruck der Opfer des Todesmarsches am Ende des Zweiten Weltkriegs.

(Foto: Carmen Voxbrunner)

Zum 70. Jahrestag der Befreiung von Auschwitz versammeln sich Bürger an den Mahnmalen. Der Sozialpsychologe Volker Gold appelliert an die Jugend, die Erinnerung an die Verbrechen der Nationalsozialisten wachzuhalten.

Von Peter Bierl, Fürstenfeldbruck

Mehr als 150 Menschen haben an den Mahnmalen in Fürstenfeldbruck und Gröbenzell am Dienstag der Opfer des Nationalsozialismus gedacht. In Gröbenzell legte Bürgermeister Martin Schäfer (UWG) einen Kranz nieder. In Fürstenfeldbruck erinnerte der Sozialpsychologe Volker Gold an die KZ-Außenlager bei Landsberg und die Todesmärsche. "Wir müssen nach vorne schauen, aber auch die Erinnerung an die Vergangenheit ist wichtig. Denn so etwas darf nicht mehr geschehen und geschieht doch weltweit", sagte Gold.

Auf dem Brucker Rathaus wehten die Fahnen auf Halbmast, als die Gedenkveranstaltung gegen Mittag begann. Unter den Teilnehmern waren Kommunalpolitiker aus dem ganzen Landkreis, darunter etliche Bürgermeister, Vertreter von öffentlichen Einrichtungen sowie Schüler aus Bruck und Germering. Als Überlebender des Todesmarsches war Karl Rom gekommen. Julia Zieglmeier vom Arbeitskreis Mahnmal verwies auf eine aktuelle Studie, wonach etwa 80 Prozent der Deutschen einen Schlussstrich unter die braune Vergangenheit ziehen wollen. "Allzu viele vollen vergessen", kritisierte sie.

Katharina Stadlmayer und Luca Koukounakis vom Stadtjugendrat lasen aus dem Tagebuch von Max Mannheimer die Passage über die Ankunft in Auschwitz-Birkenau 1943 vor. Mannheimer und seine beiden Brüder sollten als junge Männer als Arbeitssklaven geschunden werden, die Eltern, die Schwester und seine Frau wurden an der Rampe ausgesondert und sofort ermordet. "Die gehen durch den Kamin" erklärte ihm am Abend nach der Ankunft ein erfahrener Häftling. Die Bedeutung dieser Worte begriff Mannheimer erst später.

Gold erinnerte an die Tragödie von Schwabhausen, wo die Deutschen an einem der letzten Kriegstage Waggons mit kranken Häftlingen aus Landsberg quasi als menschliches Schutzschild neben einem Zug mit Flakgeschützen abstellten. Alliierte Flieger töten bei einem Luftangriff versehentlich etwa 130 NS-Opfer. Einigen Überlebenden gelang es, in dem Durcheinander in die Wälder zu fliehen, andere erlagen im Lazarett in St. Ottilien ihren Verletzungen. Gold zeigte ein Bild der Familie Herzl mit ihren fünf Kindern. Bis auf den jüngsten Sohn wurden alle ermordet. Der knapp 20-jährige Joshua Herzl starb in Schwabhausen, er sei der einzige dessen Name an dem Massengrab aufgeführt ist.

Gedenken: Bei Schneetreiben legen der Bildhauer Johannes Götz (links) und Bürgermeister Martin Schäfer am Mahnmal in Gröbenzell einen Kranz nieder.

Bei Schneetreiben legen der Bildhauer Johannes Götz (links) und Bürgermeister Martin Schäfer am Mahnmal in Gröbenzell einen Kranz nieder.

(Foto: Carmen Voxbrunner)

"Solche Ereignisse müssen erinnert werden", mahnte der Sozialpsychologe. Zu seinen frühesten Kindheitserinnerungen gehöre, dass er als Dreijähriger den Vorbeimarsch französischer Truppen erlebte. "Aufgewachsen bin ich in einem Klima der Verleugnung", erzählte er. Gold forderte vor allem die Jugendlichen auf, das Gedenken an die Verbrechen des Nationalsozialismus wachzuhalten, auch mit Blick auf die Kriege, Bürgerkriege und Gräuel in aller Welt heute. Nach 1933 wurden die jüdischen Bürger in Deutschland ausgegrenzt und verfolgt. Heute fliehen weltweit Millionen Menschen vor Mord und Totschlag.

Es sei unvorstellbar, dass sich solche Ereignisse hier abgespielt hätten, sagte Chelsea Laam, eine 16 Jahre alte Schülerin des Brucker Rasso-Gymnasiums, hinterher der SZ. "Man kann nicht nur die Zukunft sehen, sonst besteht die Gefahr, die Vergangenheit zu wiederholen", meinte ihre Klassenkameradin Julia Hartung. "Schade, dass viele Jugendliche so tun, als ginge sie das nichts an und sogar darüber lachen", sagte Lucie Hosbach. Die 13-Jährige wird zusammen mit zwei anderen Schülern aus dem Carl-Spitzweg-Gymnasium in Germering in der Schülerzeitung über das Gedenken berichten.

Die Veranstaltung in Bruck gibt es seit 1994. Damals wurde das Mahnmal für die Opfer des Todesmarsches auf Initiative von Barbara Thierfelder von der Eichenauer Friedensinitiative an der Ecke Dachauer und Augsburger Straße aufgestellt. Im April 1945 war eine Kolonne halb verhungerter jüdischer Zwangsarbeiter, getrieben von ihren Wachen, auf dem Weg von den Landsberger Außenlagern ins KZ Dachau durch die Kreisstadt gezogen.

In Gröbenzell versammelten sich Bürger und Vertreter der Gemeinde am Nachmittag am Mahnmal vor der Post. Schülersprecher des Gymnasiums trugen Auszüge aus dem Buch "Das andere Leben. Kindheit im Holocaust" von Solly Ganor vor. Er überlebte als 17-Jähriger den Todesmarsch und wurde von amerikanischen Soldaten am 2. Mai 1945 in einem verschneiten Wald bei Waakirchen entdeckt.

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