Fürstenfeldbruck/Livry-Gargan:Aus Unbekannten werden Freunde

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Gerhard Meißner ist zwölf Jahre alt, als er 1968 am ersten Schüleraustausch teilnimmt. Der verläuft zwar enttäuschend, ist aber dennoch die Initialzündung für eine lebenslange Verbindung mit Frankreich

Von Stefan Salger, Fürstenfeldbruck/Livry-Gargan

Es gibt noch dieses alte Schwarzweiß-Foto, das am 28. Juni 1967 in der Jahnhalle aufgenommen wurde. Darauf sind die Bürgermeister von Bruck und Livry-Gargan zu sehen, mit Amtskette und Schärpe, wie sie bedächtig mit Füllfederhaltern das "Document" unterzeichnen und damit die Partnerschaft besiegeln. Deutsch-französische Freundschaft - nur gut zwei Jahrzehnte nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs keine Selbstverständlichkeit. Fast auf den Tag genau 50 Jahre ist das nun her. Aus diesem Anlass feiert die Kreisstadt gemeinsam mit Gästen bis Montag ein Fest.

Feierliche Besiegelung (von links): Bürgermeister Willy Buchauer und sein französischer Amtskollege Alfred-Marcel Vincent bei der Unterzeichnung der Partnerschaftsurkunde unter dem Blick von Kulturreferent Lorenz Lampl. (Foto: Stadt)

Gerhard Meißner, vor dem Umzug nach Türkenfeld in Bruck aufgewachsen, kann sich noch gut erinnern, wie ihm Land und Leute buchstäblich näher gekommen sind. Alles beginnt ein Jahr nach dem großen Stelldichein der wichtigen Menschen in der Brucker Turnhalle. Meißner ist damals zwölf Jahre alt. Für ihn ist Frankreich so etwas wie ein großes Versprechen. Er weiß nicht, was Voilà oder Bonjour heißt, aber ein bisschen Abenteuer in der großen weiten Welt da draußen darf schon sein. Ein Jahr nach der Besiegelung der Verbindung also nimmt Gerhard Meißner in den Sommerferien 1968 an der ersten Maßnahme teil, mit der die deutsch-französische Freundschaft mit Leben erfüllt werden soll - einem dreiwöchigen Schüleraustausch. Irgendwie hatte sich Meißner in seinen Träumen das alles ganz anders ausgemalt: ausgiebig im Meer baden, durch die Gassen von Paris ziehen, hübsche Mädchen kennen lernen ... Von Paris sehen sie nur den Bahnhof Gare de l'Est, die Gruppe wird per Bus in eine entlegene Ferienkolonie an der Atlantikküste gebracht, alles läuft strak reglementiert ab, und die französischen Kinder sind auch noch meist zwei Jahre jünger. Na ja, alles nicht so toll für einen Teenager, der das Abenteuer sucht. Hinzu kommt die Sprachbarriere. Meißner lernt, ebenso wie seine Schulkameraden, erst ein paar Jahre später am Rasso-Gymnasium Französisch. In der Ferienkolonie versuchen sich die Jugendlichen also mit Englisch durchzuschlagen. Ein deutscher Teilnehmer immerhin verfügt nach einem Schuljahr Französisch bereits über einen Grundwortschatz. Ansonsten habe oft Funkstille geherrscht. "Freiheit stellt man sich anders vor", sagt Meißner, der heute natürlich längst über die Erfahrungen bei seiner ersten Auslandsreise schmunzeln kann. Immerhin, ein paar Dinge brennen sich ins Gedächtnis des Teenagers ein: die wilde Steilküste. Der große Speisesaal der Ferienkolonie. Die ersten Anflüge der berühmten Haute Cuisine mit mehrgängigen Menüs und den Crêpes, auf deren Geschmack er bei einem Jahrmarkt kommt. Ein Tagesausflug mit dem Bus zum Mont-Saint-Michel. Dieser klapprigen Citroën-Lieferwagen, dessen Fahrer die kleine Trampergruppe ins nächste Dorf mitnimmt. Und natürlich die aufwendig verpackte Pralinenschachtel, die Gerhard Meißner beim erneuten kurzen Zwischenstopp in Livry-Gargan vor der Rückreise von einem damals für ihn noch wildfremden Ehepaar geschenkt bekommt.

Gerhard Meißner (ganz rechts) besucht mit seiner Familie und der Gastfamilie Gerbert 1971 Versailles. (Foto: Gerhard Meißner/oh)

Richtig interessant wird es erst im Laufe der folgenden Jahre. Es gibt einen regen Austausch zwischen der Familie in Bruck und der französischen Gastfamilie. Irgendwann lernt Meißner natürlich auch Paris und die Umgebung kennen und kann sich gut verständigen. Vor der Abiturprüfung büffelt er in den Sommerferien noch einmal bei den Freunden in Frankreich und schreibt prompt eine Zwei in der Fremdsprache. Immer wieder kommt auch die französische Gastfamilie nach Deutschland, die Verbindung besteht bis heute. Die Partnerschaft damals und der folgende Schüleraustausch mit all seinen Anlaufschwierigkeiten, das sei doch so etwas "wie eine Initialzündung" für seine dauerhafte Beziehung zu Frankreich gewesen, sagt Gerhard Meißner rückblickend.

Das Bild zeigt Gerhard Meißner und seine Frau Irmgard (hinten am Tisch) beim Besuch im Mai 2016 in Aubignan (vorne links Gastmutter Marèse Gerbert). (Foto: Gerhard Meißner/oh)

Genau diese persönlichen Kontakte würden viele Brucker Politiker gerne stärker fördern, denn auf offiziell-formaler Basis lässt sich keine Partnerschaft dauerhaft am Leben halten. Auch das anstehende Fest soll Interesse wecken. Es soll zudem Gelegenheit sein für einen Blick zurück voller Stolz - ist Livry-Gargan doch die Stadt, mit der Fürstenfeldbruck die längste Zeit verbrüdert ist. Erst 1973 folgte das italienische Cerveteri, 1985 das US-amerikanische Wichita Falls, 1989 das kroatische Zadar und 2005 schließlich das spanische Almuñécar.

Der Bundeskanzler und der französische Staatspräsident hatten Anfang der Sechzigerjahre den formalen Grundstein für erste Partnerschaften gelegt: 1963 setzten Konrad Adenauer und Charles de Gaulle im Pariser Elysée-Palast ihre Unterschriften unter den Vertrag über die deutsch-französische Zusammenarbeit. Bereits Jahre zuvor hatten sich deutsche und französische Kommunen freilich mit ihren Bürgern auf den Weg zu einer Wiederannäherung, Aussöhnung und letztlich einer Freundschaft gemacht. Fürstenfeldbruck pflegte in Form eines ersten Schüleraustauschs bereits im selben Jahr Kontakte zu Frankreich. Ein Jahr später entwickelte sich aus einem Gastspiel des evangelischen Jugendchors unter Leitung des Kirchenmusikers Horst Stegemann ein reger Austausch, der in die offizielle Städtepartnerschaft mündete. Die Sängerinnen und Sänger hatten wohlwollend vermerkt, dass sie in dem Pariser Vorort Livry-Gargan sehr freundlich aufgenommen worden waren.

Mit dem dortigen Bürgermeister Alfred-Marcel Vincent wurde ein Wiedersehen vereinbart. Diese freundschaftlichen Beziehungen waren die Grundlage für die spätere offizielle Besiegelung der Städtepartnerschaft. Am 28. Juni 1967 also wurde alles schriftlich fixiert, "in der Erkenntnis, daß die Freundschaft zwischen dem deutschen und dem französischen Volke nicht allein auf der Bühne der internationalen Politik geschaffen und erhalten werden kann, sondern, daß diese nur dann von Dauer sein wird, wenn die Bürger beider Länder sich im Bewußtsein ihrer Verpflichtung, in persönlicher Wertschätzung und tiefer Verbundenheit zusammenfinden". Es folgten Treffen von Delegationen ebenso wie der Austausch von Vereinen auf kultureller und sportlicher Ebene. Vor allem bei den Mitarbeiterinnen der Stadtverwaltung, Ursula Nitsche, Hannelore Harant und Eva Trischler (seit 2014) liefen in Bruck die Fäden zusammen. Viele Jugendliche nutzen hier bis heute die Gelegenheit, die Fremdsprache Französisch endlich einmal praktisch anwenden zu können, ohne dass kleine Fehler in Vokabular oder Grammatik irgendjemanden stören würden.

Was sich noch so alles aus Städtepartnerschaften entwickeln kann, das zeigt das Beispiel der Brucker SPD-Stadträtin Claudia Calabrò. Seit 2014 ist sie mit Jean-Sébastien Rouchet, Stadtrat aus Livry-Gargan, verheiratet. Lassen sich politische und persönliche Ebene auf diese Weise in Einklang bringen und 800 Kilometer überbrücken, dann kann man das wohl getrost als Beleg für eine vitale und stabile Städtepartnerschaft werten.

© SZ vom 23.06.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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