Fürstenfeldbruck:Zwischen Geburt und Tod

Nirgends im Krankenhaus liegen Beginn und Ende des Lebens näher beieinander als in der Gynäkologie. Die Brucker Abteilung hat einen Schwerpunkt auf der Onkologie; dort soll bald die Möglichkeit zur Strahlentherapie aufgebaut werden

Von Julia Bergmann, Fürstenfeldbruck

Den Knoten in ihrer Brust hat Gerlinde Bauer (Name von der Redaktion geändert) bei ihren täglichen Gymnastikübungen entdeckt. Eine kurze Berührung - plötzlich war da diese harte Stelle. Die ältere Dame sitzt in einem Sprechzimmer der Gynäkologie im Kreisklinikum Fürstenfeldbruck. Ihr Mann hat sie begleitet und hört aufmerksam zu, was im Behandlungszimmer besprochen wird. Beide wirken gefasst, dennoch erkennt man in ihren Augen die Sorge und auf seinen verschlossenen Lippen liegen unausgesprochene Fragen. Zwischen medizinischen Plakaten und Behältern mit kleinen Röhrchen zur Blutentnahme kann man die Anspannung des Ehepaars fast greifen.

Hier hat Gerlinde Bauer vor wenigen Tagen die Diagnose bekommen. Brustkrebs. Der Knoten muss raus und durch ihren Kopf schießen sorgenvolle Gedanken. "Ich kenne in meinem Umfeld elf Frauen, die Brustkrebs hatten und bei jeder war es anders. Eine hat mir gesagt, ich soll auf keinen Fall die Hormontherapie machen. Sie hatte damals mit den Nebenwirkungen zu kämpfen", erzählt sie der Ärztin. Christine Nökel ist Oberärztin in der Gynäkologie der Kreisklinik in FÜrstenfeldbruck. Sie weiß um die Ängste ihrer Patienten und versucht, darauf einzugehen. "Es kann zu Nebenwirkungen kommen. Aber bevor wir über die Therapiemaßnahmen sprechen, müssen wir schauen, wie schnell ihr Tumor wächst, wie aggressiv er ist und ob er Hormonrezeptoren hat", erklärt sie dem Ehepaar. Erst wenn diese Dinge geklärt seien, könne man sich überlegen, welche Therapieform die richtige ist. "Jeder Krebs ist anders", sagt Nökel. Die Behandlung erfolgt individuell.

Die gynäkologische Onkologie ist innerhalb der gynäkologischen Abteilung ein Schwerpunkt des Klinikums. Demnächst soll vor Ort auch eine eigene Strahlentherapie aufgebaut werden. "Wir haben hier das ganze Spektrum der Onkologie. Von der Stanze bis hin zu Chemotherapie wird alles vor Ort gemacht", erklärt Nökel, eine Ärztin, die ihren Beruf mit Leidenschaft ausübt. Es sei vor allem die Vielfalt der Gynäkologie, die ihren Beruf für sie zu etwas Besonderem mache.

Nökel klopft an eine Türe, nicht weit von dem Zimmer entfernt, in dem Gerlinde Bauer von einer anderen Ärztin über die einzelnen Schritte ihrer Brustkrebsoperation aufgeklärt wird. Sie öffnet die Türe mit einem Lächeln im Gesicht. In dem großen weißen Krankenhausbett liegt neben seiner Mutter, friedlich schlafend, ein Baby. Zwischen der Geburt und dem Moment, in dem wir feststellen, dass wir gebrechlich sind und mit Krankheit konfrontiert werden, liegen oft Jahrzehnte. Auf der Gynäkologie liegen diese Momente nur wenige Meter voneinander entfernt.

Nökel gratuliert ihrer Patientin zur Geburt ihres zweiten Kindes. Die Mutter lächelt, ihr Blick fällt auf das Neugeborene, das an ihrer Seite liegt. "Wie klappt das Stillen?", will Nökel wissen. Alles Bestens. Die Schmerzen vom Dammschnitt seien auch auszuhalten, sagt die Patientin. "Die Rückbildung ist gut", erklärt Nökel, während sie den Bauch der Mutter abtastet. Diese hat keine weiteren Fragen und so schließt die Ärztin nach wenigen Minuten die Tür. Für den Fall, dass es bei einer Patientin einmal mit dem Stillen nicht klappen sollte, gibt es an der Kreisklinik einen Laktationsberater. Er kann Tipps zu verschiedenen Anlage- und Stimulationstechniken für das Neugeborene zeigen.

Die Visite geht weiter. Klopfen, kurz warten, eintreten. "Wie geht es Ihnen?" Die erste Frage ist immer die gleiche, die Patienten die antworten, könnten unterschiedlicher nicht sein. Etwa die Frau im mittleren Alter, die nach mehreren Ausschabungen Gebärmutter und Eierstöcke entfernt bekommen hat, und auf ihrem großen, weißen Bett etwas verloren wirkt. Oder die junge, stille Mutter, die die Fragen der Ärztin etwas schüchtern beantwortet. Oder die rothaarige Patientin, die nach ihrer beidseitigen Brustreduktion heute das Krankenhaus verlassen darf.

Wie viel Zeit sie sich pro Patienten nehmen könne? "Es ist sehr schwierig. Gerade bei Karzinompatienten muss man sich die nötige Zeit einfach nehmen, man ist ständig am abwägen. Und es kommt auch darauf an, wie informationsbedürftig der einzelne Patient ist", sagt die 38-jährige Gynäkologin. Während sie den Flur entlang zur nächsten Untersuchung läuft, vorbei an Stillzimmer, Wickel- und Baderaum und Behandlungszimmern, wird sie immer wieder von Patienten angesprochen. Christine Nökel nimmt sich für sie Zeit, auch wenn sie auf der Visite von Zimmer zu Zimmer zieht, Verbände wechselt, Fragen beantwortet, Untersuchungen vornimmt und zwischendurch Notfallpatienten aufnimmt. "Der Patient kommt in der Regel schon mit Sorgen zu uns. Wenn wir da auch noch patzig reagieren würden, weil wir viel zu tun haben, wäre das für den Patienten schlimm", sagt sie. Freundlich zu sein ist oberste Prämisse, auch wenn gerade einer dieser Tage ist, an denen alles aufeinander trifft. Reguläre Sprechstunde, Visite, Notfälle, Entlassungen und Geburten.

Die nächste Türe geht auf. Dahinter sitzt in einem Behandlungszimmer die rothaarige Patientin, die heute am sechsten Tag nach ihrer OP das Klinikum verlassen darf. Nur noch ein Verbandswechsel trennt sie von Zuhause. "Ich bin eigentliche ein sehr aktiver Mensch", sagt die Patientin, "aber in letzter Zeit hatte ich Schwierigkeiten beim Atmen, einen Druck auf der Brust." Nökel entfernt die Kompressen von der Brust der Patientin. Darauf zeigen sich sämtliche Farben des Regenbogens - Rötungen, blaue Flecken, an manchen Stellen dunkelviolett, an anderen gelblich. "Schön bunt", sagt die Patientin. "Die Schwellungen und Schnitte verheilen bald. Danach wird fast nichts mehr zu sehen sein", sagt Nökel. Das sei eine Frage, die Patientinnen meist stellen. "Das ist alles völlig nebensächlich, mir war nur wichtig, dass ich wieder atmen kann", sagt die Patientin. Nach der OP ist sie erleichtert.

Wie die Patienten eine Brustreduktion oder auch eine Entfernung der Gebärmutter verkraften, sei völlig unterschiedlich. Es gebe einige, die nach einer OP erleichtert seien und wieder andere, denen der Schritt sehr schwer fällt. Denn er ist eng mit der Frage nach Weiblichkeit verbunden und mit dem, worüber man sich als Frau definiert. Nökel drückt auf einen Schalter an der Wand, eine große blaugerahmte Türe öffnet sich. Der Eintritt zum Kreißsaal. Heute ist es hier still. Die einzige Besucherin ist eine Schwangere, die zur Erstvorstellung gekommen ist, um sich die Räume zeigen und Fragen vom Anästhesisten beantworten zu lassen.

"Die meisten Frauen wollen im Bett entbinden", sagt die Gynäkologin. Aber es gibt auch andere Möglichkeiten, etwa die Geburtswanne, die bei den Besichtigungen auf großes Interesse stößt. Die Besucherin nimmt probeweise auf dem Geburtshocker platz, der mit seiner U-förmigen, schmalen Sitzfläche nicht besonders bequem aussieht. Das Urteil der werdenden Mutter fällt anders aus. "Gemütlich", sagt sie.

Vor der Geburt etwas nervös zu sein, sei völlig normal, erklärt die Ärztin bei der Kreißsaalbesichtigung. "Wir können viele Fragen bei der Erstbesichtigung klären und haben für Zuhause eine Infobroschüre zusammengestellt", sagt sie. So können die werdenden Eltern in Ruhe nachlesen, was es etwa mit der Saugglocke oder Mikroblutuntersuchung auf sich hat. "Wenn man das während der Geburt hört und nicht weiß, was es bedeutet, macht einen das nur unnötig Angst", sagt sie. Dass man eine Mikroblutuntersuchung durchführen müsse, käme ab und an vor. Dabei wird ein Tropfen Blut vom Köpfchen des Kindes entnommen und untersucht. "Wir können dann den pH-Wert und Sauerstoffsättigung im Blut des Kindes überprüfen und wissen, wie es ihm während der Geburt geht.

Sollte ein Ernstfall eintreten, könnte in wenigen Minuten ein Kaiserschnitt vorgenommen werden. Dafür steht alles bereit. Doch notwendig ist das nur in den seltensten Fällen. "Wir haben die zweitniedrigste Sectiorate in ganz Bayern. Das führen wir auf die enge Betreuung unserer Patienten zurück", erklärt Nökel. Mögliche Infektionen oder Vorerkrankungen die zu einem Kaiserschnitt führen könnten, werden dadurch früh erkannt.

Die Ärztin, die bereits als ausgebildete Krankenschwester gearbeitet hat, bevor sie sich für das Medizinstudium entschieden hatte, hat in ihrem Berufsleben schon etliche Entbindungen miterlebt. So viele, dass sie irgendwann aufgehört hat mitzuzählen. "Jede Geburt ist etwas besonderes, daran kann man sich nicht gewöhnen", findet sie. Besonders in Erinnerung geblieben sind ihr aber zwei Geburten. Nämlich diejenigen, bei denen sie an ihrem eigenen Geburtstag als Ärztin im Kreißsaal stand. "Ich finde es schön, dass ich als Gynäkologin an einem so wichtigen Moment im Leben der Patienten teilnehmen darf", sagt sie, bevor sie zur Untersuchung einer neuen Patientin gerufen wird.

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