Fürstenfeldbruck:Wie sich das Gedenken verändert

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Zeitzeugen aus der Zeit des Nationalsozialismus werden immer seltener. Bei einem Online-Podium der Grünen wird diskutiert, wie man künftig Erinnerungsarbeit gestalten kann, vor allem mit Blick auf die Jugend

Von Florian J. Haamann, Germering

Zeitzeugen sind ein wichtiges - wenn nicht das wichtigste - Medium, um Geschichte für nachwachsende Generationen erfahrbar zu machen. Gerade in Zeiten, in denen rechtspopulistische Strömungen in ganz Europa stärker werden und von dort Forderungen nach einer "erinnerungspolitischen Wende" zu hören sind. Doch vor allem die Möglichkeiten, mit Zeitzeugen des Naziregimes ins Gespräch zu kommen, werden immer seltener. Vor diesem Hintergrund hat die Grünen-Bundestagsabgeordnete Beate Walter-Rosenheimer kürzlich bei einem Onlinepodium mit Experten die Frage diskutiert, wie Jugend künftig gedenken kann.

Eine wichtige Säule sind für Charlotte Knobloch, die Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern, die Gedenkstätten. Eine Erinnerungskultur brauche Orte, auf die sie sich beziehen könne. "Und dann brauchen wir Erziehungsbereiche, die junge Leute in die richtige Richtung erziehen. Und zwar so, dass sie sich mit der Vergangenheit befassen müssen, um in der Zukunft diese Themen nicht nur besprechen, sondern auch darstellen können", sagt Knobloch. Viel zu lange sei dieses Thema in den Schulen vernachlässigt worden, man sei froh gewesen, wenn es schnell abgehakt war. Mittlerweile habe sich das glücklicherweise geändert, Lehrer und auch Schüler zeigten viel mehr Interesse. "Sie sind interessiert und gut ausgebildet und wissen, wovon sie reden. Ich bin da sehr zufrieden, weil viel geschehen ist."

Gleichzeitig plädiert sie dafür, dass der Gesetzgeber die Rolle der politischen Bildung von jungen Menschen stärkt. "Dabei sollen die Themen der Vergangenheit sie nicht belasten, sondern es soll ihnen ermöglicht werden, darüber zu sprechen und Verantwortung für die Zukunft zu übernehmen", sagt Knobloch.

Ein eindrucksvolles Beispiel moderner Erinnerungsarbeit stellt Floriane Azoulay, Direktorin des "Arolsen Archives" am International Center on Nazi Persecution in einem Einspieler vor. Ihr Archiv stellt auf einer Webseite Aufnahmen von KZ-Dokumenten bereit, die noch nicht digitalisiert sind. Jeder der Lust hat, kann über die Seite helfen, die Dokumente zu digitalisieren, indem er sie liest und in ein Formular überträgt. "Jeder kann in wenigen Minuten dazu beitragen, ein digitales Denkmal zu errichten. Das ist eine sehr emotionale Erfahrung", sagt Azoulay.

Aus Verärgerung darüber, dass er in der Schule kaum etwas über die NS-Zeit in seiner Heimatstadt Dinkelsbühl gelernt hat, hat der 19-jährige David Schiepek ein eigenes Projekt gestartet. Entstanden ist ein einstündiger Audioguide für die Stadt, der an Erinnerungsorte führt und dort die Geschichten der Opfer des Nationalsozialismus erzählt. "Ich möchte damit junge Menschen ermutigen einfach zu machen. Wer einmal aktiv geworden ist, der bleibt auch aktiv und wachsam", sagt Schiepek.

Charlotte Knobloch (hier bei einer Gedenkveranstaltung am Fliegerhorst) betont, wie wichtig Orte wie die KZ-Gedenkstätte Dachau für die Erinnerungskultur künftig sein werden. (Foto: Günther Reger)

Ein Ansatz, den auch Knobloch unterstützt. "Junge Menschen brauchen zwei Dinge, um Verschwörungstheorien widerstehen zu können: Fakten und Selbstbewusstsein. Selbstbewusstsein, nicht alles zu glauben, was im Internet steht, und nicht jedem hinterherzulaufen." Auch Gabriele Hammermann, Leiterin der KZ-Gedenkstätte Dachau, zeigt sich von Schiepeks App begeistert. "Ich bin von der Idee beeindruckt, historische Orte erfahrbar zu machen." In der Gedenkstätte gebe es eine App, über die man vor Ort historische Fotos einspielen kann. "Das ist ein Ansatz, der die Auseinandersetzung begünstigt."

Aus ihrer eigenen Erfahrung kann sie viel über moderne Gedenkkultur erzählen und darüber, wie man Jugendliche dafür interessieren kann. "Das Wichtigste ist, die Besucherinnen und Besucher ernst zu nehmen, mit ihren Erwartungen, Ängsten und ihrem Vorwissen". Man müsse das Bedürfnis der Jugendlichen nach einer Aktualisierung der Geschichte ernst nehmen, dürfte dabei aber die historischen Bezüge nicht vernachlässigen. "Der historische Ort steht weiterhin im Zentrum unserer Vermittlungsarbeit", sagt Hammermann. Dennoch könne man aktuelle Themen wie Inklusion, Exklusion, Gerechtigkeitsfragen oder Asylpolitik diskutieren und dabei Handlungsoptionen mit den Jugendlichen erarbeiten. "Die landläufige Meinung ist, dass Jugendliche der NS-Geschichte überdrüssig sind. Aber ehrlich gesagt stellt sich das hier nicht so dar."

Zum Abschluss wendet sich Charlotte Knobloch direkt an die jungen Menschen: "Ihr müsst den Mut und die Stärke haben, etwas auf die Beine zu stellen. Wir sind da, um euch noch ein bisschen in die Zukunft hinein zu begleiten."

Eine Aufzeichnung der Veranstaltung gibt es unter: www.gruene-bundestag.de/termine/ohne-zeitzeuginnen-wie-kann-jugend-kuenftig-erinnern

© SZ vom 31.03.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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