Fürstenfeldbruck:Wider den Verfall der Sitten

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Als 1953 die Sparkassenräume im Klosterrichterhaus Fürstenfeldbruck eingeweiht wurden, war nur ein katholischer Geistlicher dabei, Pfarrer Dr. Mayr (ganz rechts). Von ökumenischen Gedanken war die katholische Kirche noch weit entfernt. (Foto: Stadtarchiv)

Katholische Priester im Landkreis versuchten in den Nachkriegsjahren mit großem Einsatz, moderne Ideen aufzuhalten. Eine Dokumentation zeigt, wie rückwärtsgewandt die Kleriker zwischen 1946 und 1957 agierten

Von Peter Bierl, Fürstenfeldbruck

Die katholische Kirche führte auch in Bayern ein langes Rückzugsgefecht gegen säkulare Tendenzen und den modernen Staat. Ungebrochenes Sendungsbewusstsein der Priester im Landkreis in Bezug auf Lebensführung und Erziehung der Menschen dokumentieren die Pastoralkonferenzen der Nachkriegszeit. Die Pfarrer rügten, Mädchen und Frauen würden durch Zeitungen, Radio und Film "übererotisiert", sodass ihre "keusche Scheu" schwinde. Sie wollten Katholiken und Protestanten von "Mischehen" abhalten und verhindern, dass Kinder unterschiedlicher Konfessionen zusammen die Schulbank drücken.

Der Brucker Stadtarchivar Gerhard Neumeier hat erstmals die Unterlagen der Pastoralkonferenzen von 1946 bis 1957 ausgewertet, die im Archiv des Erzbistums München und Freising lagern. Der Beitrag der kleinen, informativen Schrift, die daraus entstand, liegt darin, dass Neumeier die Mentalität, das Selbstverständnis, aber auch den Anspruch der Priester, das Leben ihrer Gemeinde zu bestimmen, exemplarisch herausarbeitet. Der konservative Klerus leistete an der Basis seinen Beitrag zu einer muffig-restaurativen Ära, in der Frauen an den Herd geschickt, Homosexuelle verfolgt und eingesperrt wurden und an Schulen die Prügelstrafe pädagogischer Standard war.

So wandte sich Kaplan Thomas Führer aus Olching auf der Schuldekanskonferenz vom Oktober 1946 strikt gegen jede Koedukation von katholischen und evangelischen Kindern. Katholische Kinder müssten katholische Schulen besuchen, alle Einrichtungen unter der "mütterlichen Aufsicht der Kirche" stehen. Er pochte auf "zwei Jahrtausende der pädagogischen Erfahrung", darum habe die Kirche "das vornehmste Recht auf Erziehung auf Grund ihrer Lehrautorität". Er wandte sich damit nicht nur gegen die Versuche der Nationalsozialisten, eine Einheitsschule zu schaffen, sondern auch gegen das teilweise pluralistische Schulsystem der Weimarer Republik, wie Neumeier erklärt. Schon den Eltern müsse man "die erhabene Idee vom königlichen Priestertum" in die Seelen pflanzen, forderte Führer.

Die Kirche hatte damit lange Erfolg. Die Bekenntnisschule hielt sich in Bayern, Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen bis in die späten 1960er-Jahre. Selbst in vielen Dörfern lernten die Kinder nach Konfessionen getrennt in zwei Schulen das ABC. In Bayern wurde diese Segregation schließlich durch Volksbegehren und Volksentscheid beendet.

Ein weiteres Ärgernis waren aus Sicht der Priester die Kirchenfremden. Unter diesem Begriff wurden Ausgetretene und Ungetaufte, aber auch "Häretiker, Schismatiker, Bigamisten, bloß Zivilgetraute, in Mischehe Lebende, Konkubinarier, Indifferente" zusammengefasst, wie der Rede von Pfarrer August Lindner auf der zweiten Pastoralkonferenz 1948 zu entnehmen ist. Er forderte seine Amtsbrüder auf, "in pastoral kluger Weise" gegen konfessionell gemischte Ehen zu wirken und den katholischen Teil die "Gefahr der Verführung" bewusst zu machen, dabei aber keinen Druck aufzubauen.

Der Sündenfall habe mit Luther begonnen, dozierte Johann Unterholzer, Direktor des Landerziehungsheim Grunertshofen, im September 1952 in seinem Referat wider Scheidung und Mischehe, weil der die Ehe zum "weltlich Ding" erklärt habe. Es folgten die Lehren des Individualismus und Liberalismus, die Ehegesetzgebung des Kaiserreiches, das Zivilehe und Zivilscheidung vorsah und der Nationalsozialismus, der eugenische Gründe für die Trennung hinzufügte. Allerdings betonte Unterholzer, dass die Gesetzgebung der Praxis breiter Schichten folgte, dazu hätten Krieg und Nachkriegszeit viele Ehen zerrüttet. Als zentralen Faktor sah der Schuldirektor jedoch einen allgemeinen Einstellungswandel, den er kulturpessimistisch als "Gier nach Ausleben" deutete, und wofür er die Medien geißelte.

Der Nationalsozialismus wurde als Häresie und Blasphemie verurteilt, der "schwere religiös-sittliche Schäden auch im katholischen Volke verursacht" habe, wie Kurat Otto Stauss aus Eichenau auf einer Konferenz in Maisach im Juni 1946 erklärte. Der Nationalsozialismus sei die "letzte Konsequenz vom Übermenschentum Nietzsches" gewesen, dem Barmherzigkeit als Schwäche galt, und endete im Judenmord sowie der Zwangssterilisierung und Tötung von Kranken. Eine selbstkritische Auseinandersetzung mit der eigenen Rolle, dem Antisemitismus, dem Konkordat oder der Unterstützung beim Überfall auf die Sowjetunion, fehlte.

Differenzierter fiel die Beschäftigung mit den Flüchtlingen aus. Einerseits wähnten die Pfarrer ihre Gemeinden durch die vielen Andersgläubigen in Gefahr und weil ein "erheblicher Teil der Neuzugezogenen religiös ganz kalt ist und dem kirchlichen Leben fernsteht", wie Pfarrer Anton Müller aus Unteralting sagte. Andererseits war ihnen deren Notlage bewusst und sie forderten Hilfe und Unterstützung. Müller berichtete, manche Flüchtlinge begründeten ihre kirchliche Absenz mit der Ablehnung durch die Einheimischen und klagten, "dass es im katholischen Bayern so wenig echtes Christentum gebe". Müller forderte, die alte Kirchenstuhlordnung abzuschaffen. Demnach zahlte der Gläubige eine Jahresgebühr für einen festen Sitzplatz, die Neuen mussten stehen. Setzte sich ein Flüchtling auf einen solchen Stuhl, war Streit im Gotteshaus programmiert.

Gerhard Neumeier, Pastoralkonferenzen nach dem Zweiten Weltkrieg im Landkreis Fürstenfeldbruck. In: Beiträge zur altbayerischen Kirchengeschichte, Sonderdruck aus Band 58, 2018

© SZ vom 22.08.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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