Fürstenfeldbruck:Weihnachten in der neuen Heimat

Lesezeit: 4 min

Symbol fürs frohe Fest: Entwanit Senjer mit Julian und Mkhail Daboul sowie Plastik-Bäumchen. (Foto: Günther Reger)

Eine aus Syrien geflohene Familie muss sich kaum umstellen: Sie feiert in Fürstenfeldbruck fast wie früher in Damaskus - nur in kleinerem Kreis. Zwei Asylbewerber aus Eritrea brauchen derweil noch Geduld, denn für die orthodoxen Christen ist der Heilige Abend erst Anfang Januar

Von Stefan Salger, Fürstenfeldbruck

Ein kleiner Tannenbaum steht auf dem Fensterbrett. Geschmückt ist er mit roten Glöckchen und goldfarbenen Schleifen. "Der ist nicht echt", räumt die 53 Jahre alte Entwanit Senjer lächelnd ein. Früher war das ähnlich, auch wenn der Kunststoff-Tannenbaum damals viel größer war und im Treppenhaus stand. Das war in der syrischen Hauptstadt Damaskus. Die Bilder von den Weihnachtsfeiern hat Senjers Sohn, der 16-jährige Julian, auf dem Computer gespeichert. Darauf sind viele Familienmitglieder zu sehen, die gemeinsam feiern. Sie zeigen vieles, was auch in ihrer neuen Heimat zum Heiligen Abend gehört. Weihnachten wird von den Christen in Syrien, die mit 16 Prozent eine Minderheit in dem muslimisch geprägten Land ausmachen, ähnlich gefeiert wie in Deutschland.

Gemeinsam mit ihrem Mann Mkhail Daboul und ihren drei Söhnen ist die 53-jährige gelernte Friseurin vor drei Jahren vor dem Bürgerkrieg geflohen. Ihr Heimatdorf Malula, das nahe der Hauptstadt liegt und in dem die überwiegend christlichen Einwohner noch Aramäisch sprechen, ist mittlerweile von den IS-Terroristen zerstört worden. Nach einem Umweg über Grafrath gelangten sie im April 2014 nach Fürstenfeldbruck, wo die Eltern mit Julian in einer Wohnung im Westen der Stadt leben. Der Vater arbeitet in einem Metallbaubetrieb, der Sohn besucht die zehnte Klasse der Wittelsbacherschule in Germering. Seine beiden 24 und 28 Jahre alten Brüder leben in Warschau.

Mkhail Daboul erinnert sich gerne, wie sie in ihrem Heimatland Weihnachten gefeiert haben. Seine fünf Brüder und zwei Schwestern brachten dann ihre Familien mit - einmal drängten sich 25 Personen im Wohnzimmer. Da war das mit Lametta, Christbaumkugeln und bunten Lichterketten geschmückte Haus voll. Draußen zogen die Menschen durch die Straßen, sangen und feierten. Es muss wohl 2008 gewesen sein, als sich Julian an einem 24. Dezember im roten Kostüm und mit Nikolausmütze einreihte in eine endlose Prozession aus jungen Pfadfindern. Zu den Fanfaren der Trompeten wurden Fahnen geschwungen und Transparente, auf denen "Halleluja" stand - natürlich auf Arabisch. Auf dem Gabentisch des damals Neunjährigen lagen eine Gitarre, ein kleiner Roboter und ein Spielzeugauto. Auf den Gottesdienst an Heiligabend folgt ein weiterer am Morgen des ersten Feiertags, gefolgt wiederum von einem Festessen. Zu den Klängen von Merry Christmas und arabischen Weihnachtsliedern werden gegrilltes Hühnchen, Reis sowie Salat serviert - und natürlich Mamoul, das typische und sehr süße syrische Weihnachtsgebäck, oder das ebenso süße Baklava.

Etwas Wehmut überkommt Entwanit Senjer schon, wenn sie Mann und Sohn dabei zuhört, wie die beiden von früher erzählen. Und sie denkt an ihren kranken Vater, der noch in Malula lebt. Vor allem auf eines freut sie sich nun: Fady, der "mittlere" Sohn, wird über die Festtage nach Bruck kommen und einen Freund mitbringen. Sie werden also zu fünft feiern. Am ersten Weihnachtsfeiertag wird Mkhail beim internationalen Gottesdienst der Freien Evangelischen Gemeinde übersetzen. Gerd Ballon ist dort Pastor, und dessen Frau Annegret hilft der syrischen Familie, seit sie diese vor drei Jahren in der Container-Unterkunft im Brucker Gewerbegebiet kennen gelernt hat.

In jener Container-Unterkunft warten zwei Männer aus Eritrea noch auf das Ende ihres Asylverfahrens. Ghedrehanns Tekea, 35, der seinen Namen mit "Johannes" übersetzt, und sein Zimmernachbar Yosief Gedrehewet, 25, alias Josef steigen am Dienstagabend etwas außer Atem von ihren Fahrrädern und über die Außentreppe hinauf in den von Neonröhren beleuchteten kahlen Gang des zweiten Stocks. Auf dem Tisch des schmalen Zweibett-Zimmers Nummer 27 steht ein kleiner Fernseher. Aus einer Vase ranken Weihnachtssterne, daneben, auf einem roten Deckchen, stehen ein Teddy und ein Plüsch-Rentier mit Nikolausmütze. An der Decke hängen Lichterketten, Christbaumkugeln, Luftballons, an einer Wand eine Fahne des FC-Bayern. Über dem Vereinsemblem ist mit Tesafilm ein Bild geklebt, das ebenso wie das Poster an der anderen Wand und die Vase die Jungfrau Maria mit Jesuskind zeigt.

Johannes lebt seit zehn Monaten in Fürstenfeldbruck, Josef seit 14 Monaten. Beide stammen aus dem Land, das wegen seines repressiven Regimes manchmal als Nordkorea Afrikas bezeichnet wird. Johannes hat bei einem Betrieb in Emmering mit der Ausbildung zum Anlagenmechaniker für Sanitär-, Heizungs- und Klimatechnik begonnen, Josef lernt bei einem Schöngeisinger Betrieb Elektriker. Auf Heiligabend angesprochen, lachen die Freunde herzlich. Am 24. Dezember haben sie streng genommen nichts zu feiern: Johannes und Josef gehören zwar der christlichen Bevölkerungshälfte an - die andere Hälfte besteht aus sunnitischen Muslimen. Sie gehören aber der orthodoxen Glaubensrichtung an. "Wir feiern erst am 6. und 7. Januar, dann ist für uns Weihnachten", erklärt Johannes, der es sich auf der kleinen Couch bequem gemacht hat.

In ihrem Heimatland, das den großen Nachbarn Äthiopien vom Roten Meer trennt, wird vor den Festtagen im Kreis der ganzen Familie ein Schaf oder eine Ziege geschlachtet. Als Abschluss einer Fastenzeit, in der keine tierischen Produkte auf dem Speiseplan stehen dürfen, wird das Fleisch zusammen mit der Injera, dem weichen, gesäuerten Fladenbrot aus Teff-Mehl, gereicht. Dazu wird selbst gemachte Schoa ausgeschenkt - ein vergorenes Getränk, das ähnliche Wirkung entfalten kann wie Glühwein. Anders als in Deutschland gebe es aber "zu Hause weder Tannenbaum noch Geschenke", sagt Josef. Der 6. Januar beginnt mit einem frühmorgendlichen Gottesdienst, bei dem christliche Lieder gesungen werden. Fern der Heimat werde er an solchen Tagen schon sentimental, räumt Josef ein, der vor sechs Jahren Eritrea verlassen hat und nur etwa einmal im Monat per Telefon Kontakt zu seiner Familie aufnehmen kann. Am 24. Dezember wird ihr Deutsch-Nachhilfelehrer sie ins Schwimmbad mitnehmen. Anschließend wird vielleicht wieder mit den Asylhelfern gefeiert, so wie vergangenes Jahr. Ganz sicher werden Johannes und Josef aber gemeinsam mit Freunden und Landsleuten am Abend des 6. Januar ihre orthodoxe Kirche in München besuchen. Bis Mitternacht wird der Gottesdienst dauern. Er werde auch versuchen, in seiner Heimatstadt Keren anzurufen, sagt Josef. "Aber an solchen Tagen brechen regelmäßig die Verbindungen zusammen, weil da alle ihre Familien anrufen wollen."

Ebenso wie für die beiden Männer aus Eritrea ist jener 6. Januar auch für die syrische Familie Daboul/Senjer ein ganz besonderer Termin. Dann feiern sie die Taufe Jesu und versprengen nach einem frühmorgendlichen Kirchenbesuch im ganzen Haus Weihwasser.

© SZ vom 24.12.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: