Fürstenfeldbruck:Vertreibung aus dem Paradies

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Die Agenda 21 bemüht sich seit 20 Jahren, Wege zu einem nachhaltigeren Lebensstil aufzuzeigen. Das gelingt jedoch nur in kleinen Schritten. Kritiker bemängeln, dass die Politik zu wenig tut

Von Heike A. Batzer, Fürstenfeldbruck

Klimawandel, Treibhausgase, Abholzung der Regenwälder, überdüngte Äcker, Pestizide in Lebensmitteln, Nitrat im Grundwasser, Verlust von Lebensräumen für Flora und Fauna, Artensterben, Armut - die Liste der vom Menschen gemachten Verfehlungen zu Lasten seiner Umwelt ist lang. Doch solange der Mensch "nicht wirklich bedroht ist und es ihm nicht an den Geldbeutel geht", sehe er keine Notwendigkeit, seinen Lebensstil zu ändern, ist Maria Leitenstern-Gulden überzeugt. Denn: "Uns geht es wahnsinnig gut. Wir leben ja wie im Paradies."

Die Grafratherin gehört zu jenen etwa 80 Gästen, die im Landratsamt das 20-jährige Bestehen der Agenda 21 feiern. Mit der Agenda 21 begann die Einsicht zu reifen, dass die Ressourcen der Erde begrenzt sind und Lebensstil und Wirtschaftsweise überdacht werden müssen. Bei der Feierstunde wird erst die Agenda-Beauftragte des Landkreises, Michaela Bock, mit einer Vorführung gewürdigt, dann werden die Gäste mit einem Mitmachspiel bei Laune gehalten. Dabei müssen sie umwelt- und landkreisspezifisches Fachwissen beweisen. Welche war die erste Fairtrade-Gemeinde im Landkreis? Gröbenzell. Welche Vögel kann man vom Beobachtungsturm in Kottgeisering aus sehen? Kornweihen. Derart aufgelockert geht es ans Büffet.

Dass dies der richtige Zeitpunkt für ein paar Häppchen ist, zeigt sich hernach im großen Sitzungssaal, wo aus dem Jubiläumsabend ein richtiger Workshop wird. Thomas Ködelpeter von der Ökologischen Akademie Linden, als Referent zum Thema "Neue Nachhaltigkeitsstrategien für den Landkreis Fürstenfeldbruck" angeheuert, fordert seine Zuhörer erst zum Diskutieren in kleinen Gruppen, dann zur Präsentation ihrer Ergebnisse auf. So entstehen lebhafte Beiträge und ein Stimmungsbild, das zeigt, dass der Agenda-Prozess noch lange nicht am Ziel ist, dass viele Aktive dies aber auch dem bisweilen kontraproduktiven Verhalten übergeordneter politischer Ebenen vorwerfen. Helma Dreher aus Kottgeisering, die von Anfang an dabei ist, bringt es auf den Punkt: "Das ist alles eine Farce", solange Dinge passierten wie bei der Windkraft, als im Landkreis zunächst viel Geld ausgegeben worden sei und "Seehofer dann alles im Handstreich" fortgewischt habe. Auch Michael Dippold von Brucker Land kritisiert, regelmäßig an Grenzen zu stoßen, die von den Rahmenbedingungen auf Bundes- und europäischer Ebene ausgingen, etwa in der Agrarpolitik: "Da gibt es Dinge, mit denen wir überhaupt nicht einverstanden sind, die wir aber überhaupt nicht ändern können." Walter Ulbricht vom Nord-Süd-Forum fordert deshalb, nicht nur in den Kommunen zu diskutieren, sondern sich stärker in Landes- und Bundespolitik einzubringen: "Wir müssen lernen, global zu denken."

Auch im Landkreis wurden in den vergangenen 20 Jahren viele Maßnahmen hin zu einer nachhaltigeren Lebensweise eingeleitet. Ausstellungstafeln im Landratsamt zeigen einen Querschnitt der Projekte: regional, saisonal und biologisch angebaute und fair gehandelte Produkte erwerben - auf Bauernmarkt und Sonnenäckern, durch urbanes Gärtnern in der "essbaren Stadt" Puchheim oder auf dem Fürstenacker. Oder Dinge reparieren und wiederverwenden über Flohmärkte, Wertstoffbörse und Repair Cafés. Sich klimafreundlich fortbewegen mit Bus oder Bahn. Oder die Energiewende gestalten mit zwei Windrädern, 18 Bürgersolardächern und zehn Freiflächen-Fotovoltaikanlagen. Oder das Klimaschutzkonzept mit Bauleitplanung zur energetischen Optimierung und Stromfresser-Tauschaktionen.

Kleine Schritte zwar, doch Max Keil, Umweltreferent im Kreistag, bemüht sich, daran zu erinnern, was bereits alles auf den Weg gebracht ist. Lokal geschehe zu wenig, sagt indes Jürgen Wrede, der viele Jahre Stadtrat in Germering war und dem Umweltbeirat angehört. Dort habe man immer wieder Beschlüsse gefasst, wie die Stadt vorgehen könnte: "Aber da ist nie was geschehen." Wrede empfiehlt, die Bürgermeister bei ihren Dienstbesprechungen in die Pflicht zu nehmen, und fordert prompt die Gegenrede von Gröbenzells Bürgermeister Martin Schäfer heraus, der neben seinen Kollegen Joseph Schäffler (Moorenweis), Michael Raith (Adelshofen) und Peter Münster (Eichenau) zur Agenda-Feier gekommen ist. "Es geht halt nicht alles auf einmal", betont Schäfer.

Aus den im Landkreis vorhandenen Potenzialen müsse ein Gesamtkonzept werden, fordert Thomas Ködelpeter. Allzu oft sei im Rahmen der Agenda-Arbeit aber der Fehler gemacht worden, die Umsetzung "nicht zielorientiert mit der Politik versucht zu haben". Als Beispiel führte Ködelpeter den Leitsatz der Agenda 21 für den Landkreis Fürstenfeldbruck an. Der lautet: "Wir wollen die Lebensqualität im Landkreis erhalten und weiter verbessern. Dabei sind wir uns unserer Verantwortung gegenüber nachfolgenden Generationen und anderen Völkern bewusst". Die Formulierung beinhalte keine präzisen Ziele und auch kein Umsetzungskonzept, bemängelt Ködelpeter: "Das bewirkt nichts." Um die Formulierungen aus der Agenda 21 in die neue Agenda 2030, die quasi eine Fortschreibung darstellt, zu überführen, empfiehlt er dem Brucker Kreistag, als ersten Schritt eine entsprechende Resolution für eine Nachhaltigkeitsstrategie zu unterzeichnen. "Notwendig", sagt Ködelpeter, "ist ein drastischer Umbau der Produktionsweise und unseres Lebensstils".

© SZ vom 08.04.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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