Süddeutsche Zeitung

Fürstenfeldbruck:Und am Ende bleibt nichts übrig

Warum immer mehr Menschen im Rentenalter weiter erwerbstätig sein müssen, um der Armut zu entgehen

Von Johanna Haas, Fürstenfeldbruck

Arbeiten auch im Alter, das ist in Deutschland und auch im Landkreis keine Seltenheit mehr. Allein in Fürstenfeldbruck gibt es 2074 Menschen, die 65 Jahre oder älter sind und immer noch sozialversicherungspflichtig beschäftigt sind. 2008 waren es erst 248 Menschen - der Wert hat sich also fast verachtfacht. Die Zahlen zeigen: Die Lage der älteren Menschen auf dem Arbeitsmarkt hat sich erheblich gewandelt.

Das stellt auch eine Studie des Statistischen Bundesamts fest. Mehr als eine Million Menschen, die älter sind als 67 gehen noch regelmäßig arbeiten, 600 000 von ihnen sind sogar älter als 70. Von ihnen sind sehr viele Selbstständige - Ärzte, Rechtsanwälte, Ladenbesitzer und vor allem Solo-Selbstständige wie eben Zahntechniker mit einem kleinen Labor.

Die wenigsten Älteren arbeiten freiwillig weiter. "Die gesetzliche Rente schafft wegen des niedrigen Rentenniveaus für viele einfach keine ausreichende Lebensgrundlage", erklärt Bettina Schubarth, Mitarbeiterin des Sozialverbands VdK. Gerade während der Pandemie sei dies sichtbar geworden. "Als die Minijobs massenhaft wegbrachen, konnten sie mit der kargen Rente nicht über die Runden kommen, viele mussten Grundsicherung beantragen" erklärt sie. Tatsächlich ist die Zahl an geringfügig Beschäftigten im Vergleich zum vorigen Jahr in Fürstenfeldbruck stark gesunken ist. Von den über 65-Jährigen übten im März 2021 noch 2639 einen Minijob aus. Das sind 127 weniger als noch 2020.

Manche wollen länger berufstätig sein, um weiter aktiv am gesellschaftlichen Leben teilzuhaben. Andere müssen länger arbeiten, um einer drohenden Altersarmut entgegen zu wirken. Denn für viele ist das längere Arbeiten nötig, um überhaupt weiter angemessen wohnen, essen und leben zu können. Die wenige Rente reicht bei vielen nicht, um die steigenden medizinischen Kosten, die hohe Miete und das Auto finanzieren zu können. Gerade ein eigener Wagen ist laut Barbara Mechler von der Caritas manchmal auch notwendig, um den sozialen Anschluss nicht zu verlieren.

Also suchen sich die Leute einen Nebenverdienst. Dem ehemaligen VdK-Kreisgeschäftsführer und jetzigen Bezirksgeschäftsführer Robert Otto zufolge arbeiten Männer ganz oft als Hausmeister an ihrem Wohnort. Frauen gehen putzen oder arbeiten in einer Wäscherei. "Das sind alles keine Jobs mit großer gesellschaftlicher Anerkennung", sagt Otto. Bis sich die Betroffenen bei einer Beratungsstelle Hilfe suchten, vergehe viel Zeit. "Viele schämen sich, weil sie jetzt plötzlich merken, dass sie kein Geld mehr haben und auf Hilfe angewiesen sind", erklärt der Bezirksgeschäftsführer. Das sei eine starke psychische Belastung.

Was müsste sich ändern, damit weniger Leute in die Altersarmut rutschen? "Am wichtigsten ist die Stärkung der gesetzlichen Rentenversicherung. Rente ist kein Gnadenbrot, sondern Lohn für Lebensleistung", betont Bettina Schubarth. Ihr zufolge ist die Altersarmut gerade in Bayern erschreckend hoch. Mit 22 Prozent aller über 65-Jährigen ist die Armutsquote dort im Bundesländervergleich sogar am höchsten. Es gäbe richtige, politische Ansätze, wie die neue Grundrente, doch es seien zu viele Hürden eingebaut worden, sodass zu wenig Betroffene davon profitieren können. Um Altersarmut in der Zukunft zu vermeiden, müsse man jetzt präventiv tätig sein. "Armutsbekämpfung muss schon im Kindesalter beginnen", fordert Schubarth. Denn Bildung sei die beste Armutsprävention. Doch in kaum einem Land hingen Bildungserfolg und Herkunft so eng zusammen wie in Deutschland. "Deshalb wird Armut vererbt", sagt die VdK-Mitarbeiterin.

Robert Otto findet außerdem: Es müsste ein Mindestlohn von 13 Euro geben. Denn laut Faustformel muss der Stundenlohn bei einer Vollzeitstelle so hoch sein, dass er für eine Rente oberhalb der Grundsicherung reicht. "Der in Aussicht gestellte Mindestlohn von zwölf Euro reicht da einfach nicht", sagt Otto. Außerdem müsse unbedingt bezahlbarer Wohnraum geschaffen werden - gerade in und um München. Zudem müssten Frauen vermehrt erwerbstätig sein. Viele hätten sich früher um den Haushalt und die Kinder gekümmert und höchstens mal in Teilzeit gearbeitet. Wenn es dann - vielleicht erst im Alter - zu einer Scheidung kommt oder der Ehemann stirbt, rutschten Frauen häufig in die Altersarmut.

Auch Solo-Selbstständige können wegen ihres geringen Verdienstes oft nicht ausreichend für das Alter vorsorgen. Im Gegensatz zu allen anderen Erwerbstätigen über 65 Jahren sei der Anteil an Selbstständigen an der Gruppe, die im Alter zu wenig Geld hat, mehr als dreimal so hoch, sagt Otto. Ein Grund dafür: Für Selbstständige existiert keine Rentenversicherungspflicht. Wenn sie also nicht freiwillig in die Rentenkasse einzahlen, erhalten sie im Alter auch keine gesetzliche Rente. Dann sind sie auf eigene Rücklagen oder eine Lebensversicherung angewiesen. Wenn beides nicht existiert, arbeiten sie weiter so lange es eben geht.

Die Anzahl an Beschäftigung im Alter wird noch zunehmen, sagen die Experten. Arme, alte Menschen prägen schon jetzt das Bild an den Lebensmitteltafeln, die zum Symbol für die voranschreitende Altersarmut geworden sind. "Die Politik muss handeln, damit sich was ändert. Sonst wird die Altersarmut weiter steigen", sagt Robert Otto.

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SZ vom 30.10.2021
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