Süddeutsche Zeitung

Asylbewerber:Zwei Klassen von Geflüchteten

Den Asylsuchenden aus Afrika, Afghanistan und anderswo ist verwehrt, was den Kriegsflüchtlingen aus der Ukraine nun gewährt wird.

Kommentar von Peter Bierl, Fürstenfeldbruck

Die Solidarität der Fürstenfeldbrucker mit den Opfern von Putins Angriffskrieg ist groß. Es begann mit Kleidung, Decken, Schlafsäcken, Medikamenten, Hygieneartikeln und Nahrung, die gespendet und von Freiwilligen an die ukrainische Grenze transportiert wurden, und zeigt sich nun in der Bereitschaft, Geflüchtete zu unterstützen und in den eigenen vier Wänden aufzunehmen. Viele fühlen sich an das Jahr 2015 erinnert, als die Solidarität der Menschen hierzulande ebenfalls Lücken ausfüllte, die die bürokratische Maschinerie des Staatsapparates offenbarte. "Wir schaffen das", lautet das Motto der Freiwilligen heute und damals.

Es gibt jedoch Unterschiede. Lokale AfD-Politiker hätten damals weder gespendet noch Asylhelfer beglückwünscht, sondern irgendwelchen Quark mit "Umvolkung" von sich gegeben. Kein Landrat warnt heute vor einer Menschenschlange von Fürstenfeldbruck bis Charkiw oder rügt sogenannte Pull-Faktoren, etwa dass man mit Gratis-Tickets bei der Bahn noch mehr Ukrainer anlocken könnte.

Ukrainer dürfen über die Grenze und werden versorgt, während Geflüchtete aus Afrika und Asien im Mittelmeer ertrinken und vor der polnischen Grenze erfroren. Ukrainer dürfen sich frei bewegen und sich eine Wohnung suchen, sonst mussten Asylbewerber in Unterkünften hausen und eine Genehmigung einholen, bevor sie den Kreis verlassen durften. Die Regierung verlegt Geflüchtete aus vielen Nationen aus dem "Ankerzentrum" Fürstenfeldbruck, die Kontakte geknüpft haben, Sprachkurse besuchen, vielleicht Jobs und Freunde gefunden haben, in Unterkünfte etwa nach Waldkraiburg, um in Fürstenfeldbruck Platz zu schaffen, statt die neu ankommenden Ukrainer dorthin zu schicken.

Warum ist das so? Waren nicht etliche Geflüchtete aus Syrien, die in Fürstenfeldbruck anlangten, ebenfalls Opfer von Putins Machtpolitik? Was den Ukrainern gegönnt sei in ihrer Not, hätte Geflüchteten aus anderen Ländern nie verwehrt werden dürfen, sollte man meinen. Aber so ist es nicht, es gibt Flüchtlinge erster und zweiter Klasse, fein sortiert nach der Herkunft. Die unterschiedliche Behandlung markiert den rassistischen Charakter europäischer und deutscher Flüchtlingspolitik.

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