Fürstenfeldbruck:Überpuderte Ästhetik

Der Menschenfeind

Klein erscheinen die Protagonisten angesichts überdimensionierter Requisiten in der Inszenierung von Molières "Der Menschenfeind" in Fürstenfeldbruck.

(Foto: Günther Reger)

Das Schauspiel Köln bringt eine zeitgemäße Adaption von Molières "Der Menschenfeind" auf die Bühne des Fürstenfeldbrucker Stadtsaals und legt die Oberflächlichkeit menschlichen Miteinanders offen.

Von Valentina Finger, Fürstenfeldbruck

Als Molières "Le Misanthrope" 1666 in Paris uraufgeführt wurde, war das Luxusleben am französischen Hof auf seinem Zenit. Von Saint-Germain-en-Laye aus regierte der nimmersatte Sonnenkönig, dessen feudaler Lebensstil europaweit kopiert wurde. Auch Molière verstand sich als Günstling Louis' XIV. auf Prunk. Von den zum guten Ton gehörenden Schmeicheleien der Hofgesellschaft hielt er dagegen wenig. So wenig, dass er es sich nicht nehmen ließ, ein Theaterstück über die Oberflächlichkeit im menschlichen Miteinander zu verfassen. Mag sein, dass Molières Gesellschaftskritik kaum an Aktualität eingebüßt hat. In jedem Fall kommt "Der Menschenfeind" des Schauspiels Köln im Brucker Stadtsaal so unverbraucht daher, dass lediglich jene Herren in Justaucorps daran erinnern, dass das Stück im Paris des 17. Jahrhunderts spielt.

Die beiden Barockgestalten sind die Freunde Alceste und Philinte, ersterer ein von der Heuchelkultur seiner Zeit frustriertes Ebenbild Molières, letzterer der Räsonneur, eine Repräsentationsfigur der gesellschaftlichen Norm, der in der clownesken Interpretation durch Philipp Plessmann zum Lachgaranten wird. Dass beide beim Laufen stauben, ist ein komisches Detail, gleichsam jedoch ein geschickter Verweis auf die überpuderte Ästhetik des Barock-Adels. Alceste, großartig gespielt von Benjamin Höppner, liebt Célimène. Doch auch sie gehört zu dem Freundlichkeit heuchelnden und hinterrücks Lästereien ausspeienden Menschentypus, den Alceste zum Feind erklärt hat. Dass dies für Konflikte und köstliche Momente sorgt, ist vorhersehbar - und im Grunde ist das auch schon alles, was man über die Handlung zu wissen braucht.

Ohnehin ist es nicht zentral, was in "Der Menschenfeind" passiert, sondern wie es sich abspielt. In der Inszenierung von Moritz Sostmann ist es der Vanitas-Gedanke, der stets mitschwingt. Eine überdimensional große Fischgräte dient als Wandschmuck, Alceste verbringt seiner Ablehnung der Gefallsucht anderer zum Trotz auffällig viel Zeit vor dem Spiegel und am Bühnenrand überblicken die Augenhöhlen im Totenschädel das Geschehen. Die Künstlichkeit wird noch dadurch betont, dass ein großer Teil des Ensembles nicht lebendig, sondern von Menschenhand gemacht ist: Außer Philinte und Alceste werden die übrigen Protagonisten von Puppen verkörpert, eine Kombination, die ein Markenzeichen von Regisseur Sostmann ist.

Célimène, wunderbar wie wahnsinnig gelenkt von Magda Lena Schlott, ist ein Borderline-gestörtes Partygirl, das sich bevorzugt selbst in Szene setzt und in Gesellschaft ihrer blasierten Marquis-Kumpel Acaste und Clitandre wiederholt vom Vers in den Gossenjargon fällt. Letztere benehmen sich - Dank sei ihren Puppenspielern Philipp Plessmann und Johannes Benecke - wie der von Falco besungene Rockstar-Mozart auf Heroin und landen mit Célimène und Alceste in einer Sex-Orgie aus wirr verschlungenen Menschen- und Puppenkörpern. Auch ansonsten pflegen Puppen und Schauspieler einen höchst sexualisierten Umgang. Von den Sittlichkeitsregeln, die zur Erhaltung des guten Geschmacks für das Drama der Französischen Klassik festgesetzt wurden, ist in Sostmanns Inszenierung nicht mehr viel übrig.

Es ist nun einmal so: Was damals gar nicht ging und heute nicht wegzudenken ist, ist die Präsenz von Sex und Gewalt auf der Bühne. Célimènes manierliche Freundin Éliante hoppelt auf Alcestes nacktem Bauch auf und ab, die gealterte Lästerschwester Arsinoé, beide gelenkt von Franziska Rattay, versucht, ihre verbliebenen sexuellen Reize bei Alceste auszuspielen. Doch dieser zerlegt im Eifersuchtswahn das gigantische Bühnenmobiliar, bevor er apathisch singend mit einer Axt durch das Publikum streift und sich selbst und Célimène mit Benzin übergießt. Als er letztendlich beschließt, der Menschheit den Rücken zu kehren, reibt er sich demonstrativ die weiße Schminke vom Gesicht, legt die Maske verlogener Konventionen ab und wirkt dabei doch ebenso unaufrichtig wie der Rest der Bagage.

All dies geschieht nicht in einem abgeschlossenen Bühnenraum. Durchgehend wenden sich die Figuren an die Zuschauer, erinnern mit Gesten, Blicken oder direkt gestellten Fragen an die durchbrochene vierte Wand. Sostmanns Inszenierung ist ein kurzweiliger Kommentar zum Zustand der modernen Gesellschaft und ein hintergründiges Gesamtkunstwerk, in dem Regelpoetik und Performance-Kunst, Barock-Paris und Techno-Berlin sowie Fremdkritik und Selbsttäuschung auf raffinierte Weise aufeinander treffen.

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