Süddeutsche Zeitung

Fürstenfeldbruck:Über alle Sprachbarrieren hinweg

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Bruck feiert mit Gästen aus Frankreich und Spanien 50 Jahre Städtepartnerschaft mit Livry-Gargan. Señora Rainoso Herrero und Madame Duval beweisen, dass echte Zuneigung keiner Deutschkenntnisse bedarf

Von Stefan Salger, Fürstenfeldbruck

An der Sprachbarriere sind manch himmelsstürmende Projekte gescheitert. Das Alte Testament weiß da vom Turmbau zu Babel zu berichten. Weil sich die Leute nicht verstehen, kommt der Turm nicht weit hinaus übers Fundament. Bruck hat es besser. Beim Projekt Völkerverständigung ist man gemeinsam mit der Partnerstadt Livry-Gargan weit gekommen: Das Fundament wurde bereits vor 50 Jahren gegossen. Im Laufe der Jahre wurden die französischen Bausteine ergänzt um jene aus dem spanischen Almuñécar, dem italienischen Cerveteri, dem kroatischen Zadar und dem amerikanischen Wichita Falls. Sprachbarriere? Fehlanzeige.

Bester Beleg: Der Auftritt von Carmen Rainoso Herrero beim Festessen mit französischen und spanischen Gästen am Freitagabend in Fürstenfeld. Gefeiert wird die seit 50 Jahren bestehende Partnerschaft Brucks mit Livry-Gargan. Es gibt ein Drei-Gänge-Menü nebst Wein, es gibt feierliche Ansprachen von OB Erich Raff ("Bonjour, buenas tardes, guten Abend!") sowie von Stadträtin Claudia Calabrò simultan übersetzte Grußworte von Bürgermeister Pierre-Yves Martin (der "dem Ehrisch" die Hand schüttelt und sich zur "Froooindschaft mit Bruck" bekennt) sowie seinem Stellvertreter Gérard Prudhomme, die den Geist der europäischen Einigung atmen und die Bedeutung von Städtepartnerschaften in Zeiten des zunehmenden Nationalismus' hervorheben. Urkunden werden ausgetauscht, die Gäste tragen sich ins Goldene Buch ein. Für solche Feiern bis dahin kein ungewöhnliches Programm.

Dann aber kommt der Auftritt der Señora Rainoso Herrero, die als Sozialreferentin Almuñécar vertritt. Rainoso Herrero spricht frei, ohne Manuskript. Rainoso Herrero beschwört den europäischen Gedanken. Rainoso Herrero preist die gemeinsame Partnerschaft. Rainoso Herrero umarmt mit großer Gestik die an festlich gedeckten Tischen versammelten etwa hundert geladenen Gäste, darunter der frühere OB Klaus Pleil und seine Frau Claudia. Nach einer Rede, in der die Emotionen schier endlos überschäumen, erntet sie den verdienten Applaus. Nur wenige im Saal sprechen Spanisch. Und doch hat Carmen Rainoso Herrero alle mitgerissen. Die Botschaft kommt an.

Nicht alles klappt bei diesem aufwendig vorbereiteten Empfang. Erich Raff geraten in all der feierlichen Stimmung kurzzeitig die Seiten des Redemanuskripts durcheinander. Aber der OB hat bei den Gästen schon viele Punkte gemacht - hatte er sich doch höchstselbst hinters Volant eines Busses geklemmt und die 20-köpfige Delegation aus Livry-Gargan persönlich vom Flughafen abgeholt. Voilà: ein Oberbürgermeister als Chauffeur! Mehr Freundschaftsbeweis geht kaum. Es erweist sich als glückliche Fügung, dass Raff im Besitz eines Personenbeförderungsscheins ist, karrte er doch früher seine TuS-Handballteams zu Auswärtsspielen. Stadträtin Alexa Zierl steuert etwas später noch eine völlig klimaschonende Variante bei. Sie bringt den Bürgermeister von Livry-Gargan gemeinsam mit seiner Verlobten später per Fahrradrikscha von der Innenstadt nach Fürstenfeld.

Eine glückliche Fügung ist natürlich auch das Sommerwetter. In mediterraner Atmosphäre und zu den Klängen des Jugendmusikvereins Fürstenfeldbruck wird der Nachtisch auf der Waaghäuslwiese serviert - während das Team von Fürstenfeld-Chef Norbert Leinweber Schlagwörter wie Einheit, Freundschaft oder Friede dreisprachig an die Außenwände der Häuser projiziert. Noch im Kleinen Saal waren die an die Wand projizierten zwölf Sterne von einem Akustikfeuerwerk überstrahlt worden: Bei der Ode an die Freude ("Freude schöner Götterfunken") und damit der Europahymne von Bachchor und Jugendmusikverein.

Ganz so akkurat trifft Partnerschaftsreferent Karl Danke den Ton zwar nicht, als er am Sonntag beim Partnerschafts-Bürgerfest auf dem Niederbronner Platz vor etwa 300 Zuschauern auf die Bühne gebeten wird. Gemeinsam mit Jean-Sébastien Rouchet, dem Ehemann von Stadträtin Claudia Calabrò, beweist er aber beim Pop-Mitsing-Klassiker "Aux Champs-Elysées" durchaus Stimmgewalt. Und natürlich will auch hier Carmen Rainoso Herrero ihr Temperament nicht zügeln - warum auch? " Traeme una guitarra - bringt mir eine Gitarre!" Am Rande des bunten Fests, bei dem in Holzbuden auch kleine und große Eiffeltürme, Pralinen sowie die Pariser Variante der wiederverwendbaren Brucker Recycling-Einkaufstasche feilgeboten werden, steht Annie Duval, 60. Sie gehört dem Croix Rouge von Livry-Gargan an, den französischen Partnern des Brucker Roten Kreuzes. Vor fünf Jahren war sie zum ersten Mal auf Urlaub in Bayern. Die Brucker schätzt sie als "Menschen mit einem großen Herz". Fast genauso schätzt sie Weißwürste, Kartoffelsalat, Brezen und Bier. Annie Duval revanchiert sich in ihrer kleinen Bude mit erstklassigen Crêpes. Liebe geht halt auch durch den Magen und Taten sagen mehr als Worte. Annie Duval beweist, dass Deutschkenntnisse da gar nicht so entscheidend sind.

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Quelle:
SZ vom 26.06.2017
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