Fürstenfeldbruck:Spiel mit der Realität

Eine Ausstellung im Haus 10 in Fürstenfeld zeigt Arbeiten von vier Studenten der Münchner Kunstakademie

Von Edith Schmied, Fürstenfeldbruck

"Lass uns doch mal ordentlich hochstapeln", haben sich vier Studenten der Akademie der bildenden Künste München überlegt. Was bei diesem nicht wirklich ernst gemeinten Brainstormings herauskam, war der Titel "Superior" ihre die Ausstellung, die aktuell im Haus 10 zu sehen ist. Vier Sterne sollen die Qualität wohl humorvoll unterstreichen. Keine Frage, die Exponate der Studenten sind sehenswert.

Gleich am Eingang stellt die Buchstabeninstallation "Perfektion" von Pia Winkelstein jedoch alles in Frage. Einschusslöcher scheinen den Begriff zu sprengen. Das Material, Munitionshülsen aus Polizeibeständen, passt so gesehen perfekt ins Bild. Ein Zitat aus George Orwells Zukunftsroman 1984 hat die Studentin zu dieser Arbeit inspiriert. Die messingfarbenen, weggesprengten Hülsen rund um die Löcher kleben wie zufällig an der Wand. Deren Anordnung ist jedoch das Ergebnis eines handfesten Experiments. Seit einem Jahr beschäftigt sich Winkelstein mit dem Thema Buchstaben. Das zeigt auch die Inschrift auf dem Leporello, einem Faltbuch aus cremeweißer Zellulose, das sich ziehharmonikaartig die Wand entlang schlängelt. Eine dicke Ölschicht lässt dagegen den Schriftzug auf einem anderen Bild eher kryptisch wirken. Aus dem Rahmen fällt ein, in der Nische aufgestellter Apparat. Er erinnert an Kaugummiautomaten von früher. "Pimp the genderless smell", fordert er das Publikum auf. Gegen zwei Euro spuckt das Ding eine Plastikkugel mit zerschnittener, gebrauchter, aber gewaschener weiblicher und männlicher Unterwäsche aus. Die Botschaft: Es gibt keinen geschlechterspezifischen Geruch und Geist.

Immer wieder begegnet der Besucher in dieser Ausstellung sanften Farben, meist Grau, Braun und Beige in allen möglichen Schattierungen. Diese müden, wenn man so will "Nichtfarben", haben ihren eigenen Reiz. Besonders in den Bildern von Marile Holzner. Der unterschiedliche Farbauftrag auf mitteldichten Faserplatten ergibt teilweise eine betonartige Oberfläche. Hauptelement sind geometrische Formen, die sich in dem geschlossenen Bilderrahmen durch Fremdeinwirkung verändern. "Was passiert wenn hier ein Ball aufschlägt, wenn Ränder einklappen?", hat sich die Studentin gefragt und dies künstlerisch umgesetzt. Dabei arbeitet sie gerne mit Konstruktionsmitteln wie dem Zirkel, die Linien sind teilweise erkennbar. Besonders perspektivisch wirkt ein großes Bild. Durch die Schnittflächen werden unterschiedliche Ebenen erkenn- beinahe erfühlbar.

Die Kohlezeichnungen von Steffen Kern wirken auf den ersten Blick wie Fotografien, mitunter leicht verschwommen. Ein Handlauf aus den Siebzigern, ein Lichtband, ein Fenster mit Vorhang. Visuelle Erfahrungen lösen bei Kern Schaffensprozesse aus. Die Grenzen zwischen Realität und virtuellem Bild lösen sich auf. Existiert da überhaupt ein Unterschied? Der Student akzeptiert die dadurch entstehenden Zweifel beim Betrachter. Er geht sogar soweit, dass er sich selbst fragt, "bin ich nun Fotograf oder Zeichner". Ein am Boden liegender schwarzer Stuhl soll den Besucher gedanklich beschäftigen. Fragen wie, "ist der neu, was hat der erlebt" sind überflüssig. Die Übermalung hat die Gebrauchsspuren und die Geschichte des Stuhls ausgelöscht.

Perspektivische, optische Täuschungen beherrscht Melanie Siegel aus der Zeit beim Theater. Es ist das Grundprinzip der Kulissenmalerei. Das Licht- und Schattenspiel unter einer Brücke würde auch als Bühnenbild durchgehen. Die Realität ist bei Siegel nicht Dokument sondern ein illusionistisches Wechselspiel zwischen Menschenwerk, Landschaft und Technik. Was auf den ersten Blick real wirkt, ist eigentlich ein Neuentwurf. Die Spiegelung eines Zaunes im Wasser scheint Grenzen zu überwinden. Ein plastischer Heuballen hebt sich vom unrealistischen Hintergrund ab. Die dunstige Farbigkeit der Gewächshäuser erweckt den Eindruck von dichten Fotos. Siegel hat eine Vorliebe für die in sich abgeschlossene Welt des Glashauses. Sie sieht es als, "einen künstlichen Rahmen für die domestizierte Natur".

Fürstenfeldbruck: Das Werk von Steffen Kern.

Das Werk von Steffen Kern.

(Foto: Carmen Voxbrunner)

Die vier Meisterschüler aus der Klasse von Karin Kneffel reflektieren die Auseinandersetzung mit der Realität von Fotos, Natur oder geometrischen, strengen Formen auf unterschiedliche Weise und doch strömen die Exponate eine spannende harmonische Zusammengehörigkeit aus.

Ausstellung "Superior" im Haus 10, Vernissage am Freitag 19. Juni, 19.30 Uhr. Zu sehen vom 20. Juni bis zum 5. Juli, jeweils Freitags, Samstags und Sonntags.

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