Süddeutsche Zeitung

Kommentar:Demokratischer Protest ist gefragt

Verbote bringen wenig gegen die unangemeldeten Proteste, besser sind Kundgebungen, die sich von den Impfpflichtgegnern absetzen und eigene Kritik am Corona-Management äußern.

Von Peter Bierl, Fürstenfeldbruck

Der Brucker Landrat hat sich als der bessere Jurist erwiesen. Thomas Karmasin (CSU) hatte mehrfach gewarnt, dass ein Verbot der unangemeldeten Protestmärsche von Querdenkern und Impfgegnern juristisch auf wackligen Beinen stehe. Die Allgemeinverbote, die die Stadt München und das Landratsamt Starnberg verhängt hatten, wurden vom Verwaltungsgericht gekippt. Das präventive Verbot sei unverhältnismäßig, urteilten die Richter. In Landsberg klagte zwar niemand gegen das Landratsamt, allerdings wichen die Gegner der Corona-Schutzmaßnahmen einfach aus. Sie verlegten ihren Marsch in die Vorstadt. Am Ende ergab sich überall das gleiche Bild: Die Polizei eskortierte die Teilnehmer der unangemeldeten Versammlungen durch die Straßen.

Kaum einer hält sich an die Abstandsregeln und in den Augen dieser Leute, die nach Freiheit rufen, markiert das Tragen einer Maske den Andersdenkenden schon als Feind, den es zu jagen gilt. Der weitgehend stille Auftritt mit ein paar Kerzen und Liedern darf über das Aggressionspotential nicht hinwegtäuschen, zumal nie auszuschließen ist, dass Kader einer Neonazipartei, die für die Aufzüge in Bruck, Germering, Grafrath und Gröbenzell wirbt, mit dabei sind. Vor zwei Wochen wurde die Fotografin der Brucker SZ angegangen, diesen Montag ein Reporterteam der Augsburger Allgemeinen tätlich angegriffen. Der Staat ist nicht willens, diese Spaziergänge zu unterbinden, was vielleicht gar nicht so schlecht ist, denn das könnte Präzedenzfälle schaffen, die irgendwann gegen Bewegungen mit berechtigten Anliegen genutzt werden.

Lobenswert ist daher auch, dass die Pressesprecherin des Brucker Landratsamts klarstellte, es gehe nicht an, die Gegner der Corona-Maßnahmen mit den Teilnehmern der demokratischen Gegenkundgebungen in einen Topf zu werfen. Genau das ist jetzt gefragt, demokratischer Protest gegen Neonazis, Schwurbler und Impfgegner. Allerdings sollte die Gegenbewegung sich nicht selbst als Fußtruppe von Regierungen diskreditieren, die populistisch zwischen Lockdown und Lockerung schwanken, sondern deren Fehler klar benennen und Forderungen stellen, etwa die Patentrechte für Impfstoffe auszusetzen. Dass eine solche kritische Haltung ausblieb, etwa von den Gewerkschaften, hat erst das Vakuum für den irrationalen Auftritt der Schwurbler geschaffen.

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