Fürstenfeldbruck:Schreckliche Erinnerungen

Fürstenfeldbruck: Skender Munishi wurde in Kosovo geboren und in Augsburg zum Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie ausgebildet.

Skender Munishi wurde in Kosovo geboren und in Augsburg zum Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie ausgebildet.

(Foto: Voxbrunner)

Für Flüchtlinge können lautstarke Feiern zum Jahreswechsel zur Belastung werden

Von Felix Sommerfeld, Fürstenfeldbruck

Für Skender Munishi ist es der Beleg, wie schnell schreckliche Erlebnisse vergangener Jahre wieder präsent sein können - ausgelöst durch ein harmloses Geräusch. Zu einer Gruppentherapie sind vier Frauen in eine Praxis des Psychiaters gekommen, die vor und während ihrer Flucht nach Deutschland sexuellen Missbrauch und Gewalt erlitten haben. Als der Postbote ein schweres Kuvert durch den Briefschlitz steckt und dieses auf den Boden fällt, löst das bei einer der Frauen eine Panikattacke aus. Sie weint und ist kaum zu beruhigen.

Zu Munishi kommen auch Bewohner der Asyl-Erstaufnahmestelle am Fliegerhorst. Viele stammen aus Ländern wie Syrien, Irak oder Eritrea, in denen Gewalt, Repression, Folter oder auch blanker Terror zum Alltag gehören. Für manche wird die Nacht auf den 1. Januar böse Erinnerungen wecken. Denn viele sind traumatisiert und verbinden mit lautem Knallen oder Blitzen am Himmel schreckliche Erinnerungen an tödliche Geschosse und Bomben. An Silvester aber werden die Brucker aller Voraussicht nach wieder sehr lautstark das neue Jahr begrüßen. Es muss ordentlich zischen, heulen, pfeifen, knallen. Raketen und Böller gehören zur Feier wie das Anstoßen mit einem Glas Sekt um Mitternacht.

Für Menschen mit einer posttraumatischen Belastungsstörung wird das zu einer Belastungsprobe. Bekannt wurde dieses Krankheitsbild durch Soldaten der US-Armee oder der Bundeswehr, die nach kriegerischen Auslandseinsätzen in Irak oder Afghanistan heimkehrten, aber kaum in ein normales Leben zurückfanden. Die psychische Belastung kann eine physische Gefährdung auslösen. Munishi erklärt das so: Wird das Panik-System des Traumatisierten durch einen sogenannten Trigger stimuliert, kann er durch muskuläres Erstarren und andere körperliche Überreaktionen in Lebensgefahr geraten. Der Trigger beschreibt einen Schlüsselreiz oder eine Sinneserfahrung. Er weckt Erinnerungen an erlebte Ereignisse in einer Intensität, dass der Traumatisierte das Gefühl hat, dieses Ereignis gerade noch einmal zu durchleben. Daher reagieren Flüchtlinge aus Kriegsgebieten auch in einer sicheren Umgebung oft sehr sensibel auf laute, knallende Geräusche. An Silvester lasse sich dies freilich nicht vermeiden, räumt Munishi ein. Er appelliert an das Sicherheitspersonal von Asyl-Unterkünften, in schweren Fällen auch die Alarmierung des Notarztes nicht zu scheuen.

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