Fürstenfeldbruck:Schlagen und posten

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Grüne warnen vor Zunahme von Neonazi-Aktivitäten auf der Straße und im Internet

Von Peter Bierl, Fürstenfeldbruck

Die Neonazis in Bayern werden immer gewalttätiger. Sie organisieren Aufmärsche, greifen Menschen an und sind im Internet aktiv. Das berichteten die Landtagsabgeordnete Katharina Schulze (Grüne) und Sebastian Binder von der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung auf einer Veranstaltung des Kreisverbandes der Grünen am Dienstag im Mehrgenerationenhaus in Bruck. Dabei stoßen die Rechten durchaus auf Resonanz. Etwa 33 Prozent der Bevölkerung im Freistaat haben laut der Mitte-Studie der Universität Leipzig rassistische Ansichten. Das ist der höchste Wert in einem Bundesland. "Der Rechtsextremismus ist längst in der Mitte der Gesellschaft angekommen", folgerte Schulze. Schuld seien Spitzenpolitiker, die Obergrenzen für Flüchtlinge, deren schnellere Abschiebung oder den Einsatz der Bundeswehr im Inneren fordern. "Wenn Herr Seehofer und Herr Gabriel mal vier Wochen lang nicht in jedes Mikro blöken würden, wäre es ruhiger in diesem Land", sagte die Grünen-Politikerin.

Inzwischen finden laut Schulze in Bayern flächendeckend Aktionen der rechten Szene statt. Die Zahl der rassistisch motivierten Kampagnen lag zwischen 2007 und 2013 bei insgesamt 56, allein im Jahr 2014 waren es 99 solcher Aktionen. In diese Kategorie fällt etwa die Flugblattaktion der Partei "Dritter Weg" bei der Bürgerversammlung in Puchheim. Im vergangenen Jahr gab es 68 Angriffe auf Flüchtlingsheime in Bayern, fast dreimal so viele wie im Jahr zuvor. Die Zahl der Gewalttaten von rechts nahm ebenfalls zu, dabei wurden allein im ersten Halbjahr 2015 60 Menschen verletzt.

"Der Rechtsextremismus ist längst in der Mitte der Gesellschaft angekommen". (Foto: Carmen Voxbrunner)

Zu den Spitzenreitern zählen Bayern und Nordrhein-Westfalen in der Kategorie der untergetauchten Nazis, gegen die ein Haftbefehl vorliegt. Die Zahl stieg von 14 auf 76, berichtete Schulze, die sich auf Angaben aus dem bayerischen Innenministerium bezog. Dabei betonte sie, dass offizielle Angaben, etwa zu Übergriffen und Hasskriminalität, zu niedrig seien. Die Dunkelziffer liege höher, weil nicht jede Attacke angezeigt oder von den Behörden richtig registriert werde. Am Beispiel der Immobilien, die Neonazis besitzen und für politische Zwecke nutzen, demonstrierte die Abgeordnete, dass die Sicherheitsbehörden auch nach der Mordserie des NSU nicht effektiv miteinander kommunizieren. Das Bundesinnenministerium meldete 26 solcher Immobilien im Freistaat, die bayerischen Behörden nur zwei. Schulze verwies darüber hinaus auf die Ludendorff-Villa in Tutzing und die Redaktionsräume der Nationalzeitung in Pasing. "Das sind schon zwei, von denen der bayerische Verfassungsschutz anscheinend keine Ahnung hat", spottete sie.

Die Mitte-Studie zeigt, wie stark rassistische und antisemitische Einstellungen in der Bevölkerung verbreitet sind. Dazu komme ein hoher Anteil von Befragten, die sich unentschieden äußern. "Ein weiteres Potenzial für Rechtsextremisten", warnte die Landtagsabgeordnete der Grünen. Sie forderte sowohl eine "starke Polizei", die gegen rechte Täter vorgeht, als auch Prävention in Form von Erziehung zu Demokratie und Toleranz, eine Opferberatung und eine Antidiskriminierungsstelle in Bayern.

Ein Zuhörer hielt ihr entgegen, dass der Staat doch den Rechtsextremismus fördere, wie man an den V-Leute des Verfassungsschutzes sehe, die Nazi-Strukturen aufgebaut und finanziert hätten. Die Erziehung zum Nationalismus sei allgegenwärtig und werde etwa in Schulen und Medien betrieben. Mehrere Zuhörer berichteten von "Sieg Heil"-Gegröle beim Public-Viewing von Spielen der Fußballnationalmannschaft.

Mit dem Auftritt der Rechten im Internet beschäftigt sich Felix Binder seit geraumer Zeit. Seinen Angaben zufolge gab es 2014 mehr als 1400 Websites mit rechtsextremen Inhalten, die meisten stammten von der NPD und ihrem Umfeld. Dazu gibt es Seiten von rechtspopulistischen Gruppen wie Politically Incorrect sowie Online-Shops und ein rechtes Pendant zu Wikipedia, das auf dem Index steht und über Suchmaschinen nicht zu finden ist. Auch jede Menge hasserfüllter Nazimusik kann man sich aus dem Internet holen. "Größter unfreiwilliger Anbieter ist Youtube", berichtete Binder. Auf Facebook sind die Rechten ebenfalls vertreten. Keine Partei könne so viele "Likes" verbuchen, wie die Seite des Bundesverbandes der NPD, sagte der Mitarbeiter der Ebert-Stiftung. Mitunter werde offen zum Mord aufgerufen, etwa auf der Seite eines "Volkstribunals", das die Bundeskanzlerin wegen "Hochverrats" zum Tod durch den Strang verurteilt habe. Dazu kommen Hass-Kommentare auf den Seiten politischer Gegner. "Die Facebookseite von Angela Merkel ist ein einziger Shitstorm", sagte Binder.

Er rief dazu auf, rechte Beiträge auf Youtube und Facebook den Unternehmen zu melden, verbunden mit der Aufforderung, diese zu löschen, auch wenn die Inhalte in der Regel schnell wieder auftauchen. Binder führte vor, was man wo anklicken muss, um solche Meldungen zu machen. Außerdem präsentierte er einige satirische Seiten gegen Nazis, wie etwa die Hogesa, die "Hooligans gegen Satzbau", die sich über mangelnde Deutschkenntnisse lustig machen, die auf rechten Seiten und in Kommentaren zu finden sind. Ziemlich viele Rassisten würden bei Sprachtests durchfallen, was auf eine ziemlich missglückte Integration schließen lässt.

© SZ vom 22.01.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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