Fürstenfeldbruck:Raus aus der Massenunterkunft

Syrische Familie

Auf Wohungssuche: Stadtrat Willi Dräxler (von links) mit seiner Patenfamilie Sarah, Alaa, Karima, Hala und Abdullah Shahen

(Foto: Günther Reger)

Obwohl die Mitglieder der syrischen Familie Shahen anerkannte Flüchtlinge sind, können sie nach sieben Monaten die Erstaufnahmeeinrichtung immer noch nicht verlassen. Verzweifelt suchen sie eine Wohnung

Von Gerhard Eisenkolb, Fürstenfeldbruck

Trifft man Sarah, 12, Hala, 14, Abdullah, 17, und Alaa, 19, mit ihre Mutter Karima Shahen, kommt man nicht auf die Idee, dass die fünfköpfige Familie zwölf Jahre Flucht hinter sich hat. Zweimal haben sie ihr Hab und Gut komplett verloren, dann ist auch noch der Vater und Ehemann an Krebs gestorben. Trotzdem lachen die Fünf viel, sie wirken heiter und optimistisch, überhaupt nicht bedrückt. Ganz im Gegenteil, die Kinder und Jugendliche sind aufgeweckt, interessiert , weltoffen. Und vor allem eines: sehr gut erzogen. Der Marmorkuchen auf dem Wohnzimmertisch des Paten der Flüchtlingsfamilie, dem Brucker Stadtrat Willi Dräxler (BBV), sieht zwar sehr verlockend aus. Aber es dauert einige Zeit, bis die Kinder sich trauen zuzugreifen und es sich schmecken zu lassen.

Karima Shahen aus Homs und ihre vier Kinder haben viel mitgemacht. Als sie gar keine Perspektive mehr hatten und zuletzt in Libyen fürchten mussten, in den Kämpfen rivalisierender Gruppen ihr Leben zu verlieren, flohen sie vor sieben Monaten auf einem 17 Meter langen Fischerboot mit 370 anderen Flüchtlingen nach Italien. Für Gepäck gab es keinen Platz. "Mit der Revolution fingen 2011 in Libyen die Probleme an. Schulen schlossen, es gab keine Arbeit mehr und der Vater starb", sagt die älteste der drei Töchter. Nach der Ankunft in Italien signalisierten ihnen die Behörden, doch nach Deutschland "abzuhauen", berichtet Alaa.

Seit sieben Monaten lebt die Familie nun auf engstem Raum zusammengepfercht in einem Zimmer in der Erstaufnahmeeinrichtung im Brucker Fliegerhorst. Die fünf Betten nehmen fast das ganze Zimmer ein. Die Shahens sind - wie vierzig andere Flüchtlinge auch - einfach im Fliegerhorst hängengeblieben, auch weil sie im Durcheinander der Verwaltungen verloren gingen. Und niemand weiß, wie lange diese Hängepartie noch dauern wird.

Eigentlich hätte die Familie in der Massenunterkunft nur sechs Wochen bleiben und dann einem Landkreis oder einer Stadt zugewiesen und bis zur Anerkennung des Flüchtlingsstatus in einer dezentralen Unterkunft einquartiert werden sollen. Das wäre die normale Prozedur gewesen. Und eigentlich könnten die Fünf schon seit sechs Wochen als anerkannte Flüchtlinge aus der Erstaufnahmeeinrichtung ausziehen. Nur wissen sie nicht wohin. Wer anerkannt ist, muss sich selbst eine Wohnung suchen. Nur waren die Bemühungen der Syrer trotz Unterstützung des Jobcenters und von Will Dräxler bisher nur frustrierend und erfolglos. Als der erste Vermieter, den sie aufsuchten, sah, dass sich Flüchtlinge um seine Wohnung bewarben, ließ er sie nicht mal ins Haus. Ein anderer wollte partout keine Kinder.

Dabei bezeichnet Dräxler, der sich seit 29 Jahren bei der Caritas um Migranten und Flüchtlinge kümmert und Integrationsbeauftragter des Brucker Stadtrats ist, die Shahens als "Vorzeigeflüchtlinge". Die Familie gehörte in Syrien der oberen Mittelschicht an. Der Vater war als Unternehmer in der Baubranche tätig, sowohl in Syrien als auch im Ausland. Die Mutter arbeitete als Dolmetscherin für Französisch in der Schweiz, unter anderem in Genf. Die älteste Tochter hatte in Libyen begonnen, Medizin zu studieren, bis IS-Kämpfer damit anfingen, Dozenten und Studenten ihrer Hochschule hinzurichten. Ihre Heimat in Homs mussten die Shahens 2003 verlassen, weil der liberale, an westlichen Ideen orientierte Vater gegen das Assad-Regime war und dafür mit sechs Monaten Gefängnis bestraft wurde.

Alle Kinder und die Mutter lernen fleißig Deutsch. Die beiden jüngsten Mädchen zieren sich zwar ein bisschen, die Worte auszusprechen, aber sie wissen schon, dass man sich hier unter Freunden mit "Servus" begrüßt und in Bayern "Grüß Gott" sagt. Mit der Anerkennung als Flüchtlinge sind die Shahens Fürstenfeldbrucker Bürger geworden. Sie haben sogar ein Anrecht auf eine Wohnung, deren Miete bis zu einer Höhe von tausend Euro das Sozialamt bezahlt. Nur haben Flüchtlinge mit den hier lebenden deutschen Sozialhilfeempfängern eines gemeinsam: Es fehlt an den entsprechenden Wohnungen. Eine Rückkehr in die Heimat schließt Alaa aus, weil man sich ja dort einer der Konfliktparteien anschließen müsse. Die Shahens sind zwar Moslems, aber nicht sehr religiös, wie sie behaupten. Sie fühlen sich keiner der sich bekämpfenden Religionsgruppierungen zugehörig, würden also zwischen allen Fronten stehen.

Dräxler ist von einem überzeugt: "Sarah, Hala, Alaa und Abdullah werden die Schule und den Beruf schaffen." So ehrgeizige und fleißige Kinder und Jugendliche wie die Vier seien die Zukunft Deutschlands. Damit das gelingt, brauchen sie Freunde und zwischenmenschliche Beziehungen. Das sei gegeben. Dann müssten sie die Sprache beherrschen. Hier sind sie laut ihrem Paten auf einem guten Weg. Auch die Arbeit würden sie schaffen. Fehlt nur noch eines: die eigene Wohnung. Laut Dräxler ist das momentan der wichtigste Schritt, dann hätten es die Shahens geschafft. Der Integrationsbeauftragte wendet sich mit seiner "Vorzeigefamilie" bewusst an die Öffentlichkeit. Die Wohnungssuche habe nur Erfolg, wenn es gelinge, Vorurteile abzubauen, sagt Dräxler.

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