Fürstenfeldbruck:Rasante Orgie

Gastspiel des Staatsschauspiels Dresden lässt in Horváths "Geschichten aus dem Wienerwald" eine heillos verdummte Gesellschaft agieren

Von Florian J. Haamann, Fürstenfeldbruck

Der Grat zwischen Trash-Theater, das einfach nur große Kunst ist, und Trash-Theater, das einfach nur großer Trash ist, ist schmal und bröckelig. Die Regisseurin Barbara Bürk hat sich entschieden, Horváths "Geschichten aus dem Wiener Wald" genau dort spielen zu lassen. Aber ihre Inszenierung tänzelt leichtfüßig wie eine Primaballerina durch dieses gefährliche Terrain und erzählt dabei mit brutaler Wucht Horvárts Anti-Volkstheater über die unendliche menschliche Dummheit und Selbstsucht. Und auch wenn zur Pause mehr Besucher als gewöhnlich den Heimweg antraten, war diese Inszenierung des Staatsschauspiels Dresden ein absolut erfrischendes Theatererlebnis.

Mehr ordinäre Orgie als klassisches Theater, legte die Inszenierung die Schwächen aller Charaktere schonungslos offen. Da wäre beispielsweise der Rittmeister, gespielt von Thomas Eisen, als Stellvertreter für das alte Österreich-Ungarn, der jede Dame mit "Küss die Hand" begrüßt, nur um ihr gleichzeitig wahlweise an Busen oder Po zu grapschen. Aber auch die Männer verschont er nicht: Oskar, der reiche, unglücklich Verliebte, bekommt von ihm liebevoll das Gesicht abgeschleckt. Überhaupt fällt hier jeder über jeden her -und vor allem alle über Tabakverkäuferin Valerie (Rosa Enskat). Der einzige, der sich weitgehend zurückhält, ist der apathische Oskar (Christian Erdmann). Während der Verlobungsfeier mit Marianne (Yohanna Schwertfeger), brennt diese mit dem verantwortungslosen Hallodri Alfred (André Kaczmarczyk) durch. Der will eigentlich nur Mariannes Körper, bekommt sie aber nur als Gesamtpaket Lebenspartnerin und obendrauf kriegen die beiden auch noch ein Kind. Die Leidenschaft verfliegt schnell und Alfred lässt Marianne sitzen, das Kind schiebt er zu seiner Großmutter ab.

Schauspiel Dresden

Aussichtslos: Marianne (rechts) will aus der verstaubten Welt ausbrechen, in der ihr Vater (Mitte) und der Rittmeister (links) nur zu gerne leben.

(Foto: Günther Reger)

Permanent mit Musik untermalt, vom Wiener Walzer über Madonna bis zu Puccinis "La Bohème", ist die Inszenierung absolut rasant. Immer wieder streut Bürk unterhaltsame Episoden ein, wie beispielsweise eine Männerbademoden-Schau während der Verlobungsfeier an der Donau, die die ganze Banalität des Lebens der Figuren unterstreichen. Der Ausflug der Gesellschaft ins Nachtlokal "Maxim" wird zur schrillen Show, in der Thomas Eisen zur aufgedrehten Stripperin in Baumwollunterhose mit schwarzen Strapsen wird. Mitten in diesem Klamauk kippt die Stimmung innerhalb weniger Augenblicke. Der lüsterne Zauberkönig (Torsten Ranft), Mariannes Vater, stürzt sich auf die halb nackte zweite Stripperin, zieht ungestüm an ihren Haaren und damit die Perücke vom Kopf - und erblickt seine eigene Tochter, die nach der Trennung von Alfred den kompletten sozialen Absturz durchlaufen hat. "Dass du dich nicht schämst", brüllt er sie an. "Das kann ich mir nicht leisten", ist ihre Antwort. Denn die ernste und gesellschaftskritische Seite in Horváths Stück konzentriert sich auf eben diese Marianne. Sie ist der einzige reflektierte Mensch, will aus den patriarchalen Strukturen der Gesellschaft ausbrechen. Sie nimmt alle Rückschläge in Kauf, in der Hoffnung Freiheit zu erlangen. Und gerade, als sie sich von allem erholt hat, die Versöhnung mit dem Vater ist nah, stirbt ihr Sohn, fahrlässig von der Großmutter getötet. Es gibt kein Happy-End in dieser Gesellschaft, in der Lüsternheit gepaart mit Verantwortungslosigkeit und Einfältigkeit das Leben regiert.

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