Süddeutsche Zeitung

Fürstenfeldbruck/Papeete:Schiffbruch im Paradies

Lesezeit: 4 min

In stockdunkler Nacht kracht das Boot des Einhandseglers Stefan Blasberg mitten in der Südsee gegen ein Riff. Der Fürstenfeldbrucker rettet sich auf der leck geschlagenen Abraxas noch 500 Kilometer bis nach Tahiti

Von Stefan Salger, Fürstenfeldbruck /Papeete

Es sind dramatische Stunden, die der Weltumsegler Stefan Blasberg im vergangenen Sommer am anderen Ende der Erde durchlebt - nur gut ein halbes Jahr, nachdem er mit seiner Segelyacht Abraxas nahe der Robinsoninsel gekentert war. Der 48 Jahre alte Fürstenfeldbrucker aber weiß, dass Erfahrung keinen Pfifferling wert ist, wenn einem der Schutzengel abhanden kommt. Allein um die Welt zu segeln ist ein großer Traum - der von einer Sekunde auf die andere zum Albtraum werden kann.

In jener Nacht bricht um 4 Uhr in der Früh das Inferno herein - auf der Fahrt von Makemo nach Tahanea, zwei winzigen Atollen des zu Französisch-Polynesien gehörenden Tuamotu-Archipels. Hinter Blasberg liegen drei Jahre Reise und ganz frisch eine wunderbare Zeit inmitten des Ringatolls von Amanu: planschen im glasklaren Wasser, palmengesäumte Strände, Schwarzspitzenhaien dabei zusehen, wie sie sich die Fische von der Harpune schnappen, Grillen überm Lagerfeuer, frische Kokosnüsse als Nachspeise. Kein Internet, kein Telefon, dafür glückliche Menschen, gastfreundliche Fischer und überall Musik. Der einzige Luxus ist kaltes Bier im kleinen Bordkühlschrank. Ein Ausflug zum Atoll Raroia führt zu einer Gedenktafel. Sie markiert die Stelle, an der Thor Heyerdahl ziemlich genau 80 Jahre zuvor mit seiner Kon-Tiki, einem Floß aus Balsaholz, nach 101 Tagen und 3800 Seemeilen auf ein Riff gelaufen ist. Für den Norweger und seine Crew ist es das Ende der Reise.

Es erscheint fast wie ein böses Omen, denn Blasberg ereilt auf dem Weg ins nahe Tahanea fast das selbe Schicksal. Er segelt unter schwierigen Bedingungen. Die Gegend ist tückisch, es gibt Untiefen. Zudem begleitet ihn ein scheußlicher Sturm. Nachts stellt er sich jede halbe Stunde den Wecker, um nach Hindernissen Ausschau zu halten und den Kurs zu überprüfen. Ansonsten muss er sich auf den mechanischen Windpiloten verlassen und auf die automatische Funk-Schiffserkennung. Radar und Autopilot? Zu teuer. Das beste Instrument ist ohnehin der Bauch: "Wenn das Boot um zehn Grad den Kurs wechselt, wache ich auf", sagt Blasberg. Auf dem Weg zu den Osterinseln wäre er dennoch einmal fast einem Tanker in die Quere gekommen und vor Brasilien Fischerbooten und einer Bohrinsel. Aber rund um die Uhr Wache schieben geht nicht. Auch Einhandsegler müssen mal schlafen.

Sonne, azurblaues Wasser und Kokospalmen: Wenn Stefan Blasberg an feinen Sandstränden wie dem des Raroia-Atolls sitzt, dann genießt er jeden Augenblick.

Auf dem Trockendock: Am Rumpf der 48 Jahre alten Segelyacht Abraxas sind noch deutliche Kratzspuren zu erkennen, die Lecks wurden aber bereits abgedichtet und das Ruder repariert.

Schwarzspitzenhaie warten darauf, dass ihnen Taucher harpunierte Fische servieren.

Stefan Blasberg (ganz links) beim Picknick mit Freunden.

Als das Boot in jener stockdunklen Nacht gegen das Riff prallt und leckschlägt, schießen Blasberg alle möglichen Gedanken durch den Kopf. War's das? Muss er endgültig in die Heimat zurückkehren, noch bevor er das Südseeparadies Tahiti erreicht hat? Er klettert aus der Koje. Sein Boot liegt auf der Seite, mit gebrochenem Ruder. Brecher lassen den Polyesterrumpf immer wieder mit einem schauderhaften Kratzen gegen den Fels schlagen. Das 1969 gebaute Segelboot ächzt und stöhnt. Blasberg schafft es irgendwie, das Segel einzuholen, den kleinen Motor anzulassen. Als eine Welle das Boot hochhebt, legt er den Rückwärtsgang ein und gibt Vollgas. Dann wirft er die Bilgenpumpe an, um das Wasser aus dem Boot zu bekommen. Er sieht die Hand vor Augen nicht, alles läuft wie ferngesteuert. Als es dämmert, schnappt sich Blasberg eine Taucherbrille und begutachtet die Schäden unter der Wasserlinie. "Es sah nicht gut aus", erzählt er.

Es ist Dezember, als Stefan Blasberg die Ereignisse schildert. Da ist er auf Heimaturlaub im winterlichen Fürstenfeldbruck. Er besucht seinen Vater Gert und Verwandte in Berlin. Am 10. Februar wird er zurückfliegen nach Tahiti, wo sein Boot in einem kleinen Hafen vor Anker liegt. Das Abenteuer kann weitergehen. Denn die Sache mit dem Schiffbruch ging noch mal gut. Und im Rückblick, mit der nötigen Distanz, kann Blasberg ihm sogar gute Seiten abgewinnen. Denn sonst hätte er vielleicht diese wunderbaren Menschen auf Tahiti nicht so gut kennen gelernt. Menschen, die fast immer gut drauf sind, für die Geld und Konsum und Zukunftsängste keine große Rolle spielen. Hätte er sein Boot nicht reparieren müssen, wäre er vielleicht nicht diese drei Monate "Zwangsaufenthalt" im Paradies geblieben, sondern dem Ruf gefolgt, dem sich kaum ein Weltreisender auf Dauer verschließen kann: Auf zu neuen Ufern, auf zum nächsten Hafen, immer in Bewegung bleiben.

Nach dem Schiffbruch war es ihm gelungen, das Boot wieder halbwegs flott zu bekommen und in drei Tagen die 500 Kilometer bis Tahiti zurückzulegen. Alle zehn Minuten läuft die Bilgenpumpe. Zwei Monate nehmen die Reparaturarbeiten in Anspruch, Der versierte Schreiner und Bootsbauer flext den Rumpf auf, biegt gerade, laminiert und hilft anderen bei Reparaturen, um sich ein wenig Geld zu verdienen. Einen Monat lang besucht ihn Helena, eine gute Freundin aus Gröbenzell. Während das ramponierte Boot auf dem Trockenen sitzt, erkunden beide die Insel.

Mittlerweile ist die Abraxas wieder fit für neue Herausforderungen. Und Stefan Blasberg macht das, was er eigentlich nur fern des Südseeparadieses macht: er denkt über die Zukunft nach. Das Geld wird knapp, deshalb rechnet er damit, in etwa einem Jahr heimzukehren - nachdem sein langjähriger Reisegefährte Aleko Stephan sich mit seinem Segelboot bereits im August auf die Heimreise nach Griechenland gemacht hat. Stefan Blasberg wird der Abschied von Tahiti schwer fallen. Gleichwohl freut er sich auf Australien und Neuseeland. Noch weiß er nicht, ob er die Passage über den Golf von Aden und den Sueskanal wagen wird. Die politische Lage ist unsicher. Und in den Gewässern rund ums Horn von Afrika tummeln sich Piraten.

Die SZ berichtet in lockerer Folge über die Weltreise von Stefan Blasberg. Teil 1 ("Auf einer Nussschale um die Welt"): 13. April 2015; Teil 2 ("Kokosnüsse, Kolonialkirchen, Kriminelle"): 29. Juli 2015; Teil 3 ("An der Schwelle zum Pazifik"): 16. Februar 2016; Teil 4 ("Wendemanöver am Ende der Welt": 1. September 2016; Teil 5 ("Robinson Blasberg"): 5. Januar 2017; Teil 6 ("Vor dem Sprung in den übernächsten Tag"): 14. Juni 2017; Reiseblog und weitere Informationen, auch über Möglichkeiten des Reise-Sponsorings, unter www.alekistan.com

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Quelle:
SZ vom 06.02.2018
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