Süddeutsche Zeitung

Fürstenfeldbruck/München:Sozialstunden statt Gefängnis

Eine allein erziehende Mutter erreicht in Berufung, dass ihr sechs Monate Haft für einen Ladendiebstahl erspart bleiben

Von Andreas Salch, Fürstenfeldbruck/München

Für die Angeklagte geht um alles. Schickt sie die Richterin ins Gefängnis, käme das Kind der alleinerziehenden Mutter in eine Pflegefamilie. Sie selbst würde ihren Job und ihre Wohnung verlieren. Seine Mandantin werde aus ihrem bisherigem Leben "rausgerissen" und nach der Haft "in die Obdachlosigkeit gezwungen", sagt ihr Verteidiger, Rechtsanwalt Vincent Burgert, in der Verhandlung vor dem Landgericht München II. Die Angeklagte arbeitet als Verkäuferin für eine Straßenzeitung und ist vorbestraft. Sechs Mal wegen Diebstahls, einmal wegen Schwarzfahrens in der S-Bahn. Sie saß auch schon in Haft. Und nun droht ihr wieder Gefängnis. Sechs Monate.

Am 4. Juli des vergangenen Jahres wurde die Frau von einem Ladendetektiv in einem Drogeriemarkt am Kurt-Huber-Ring in Fürstenfeldbruck bei einem Diebstahl ertappt. Die Beute: Ein Eau de Toilette, eine Nagelfeile und andere Toilettenartikel. Auf die Frage des Ladendetektivs, warum sie die Dinge gestohlen habe, soll die 40-Jährige geantwortet haben: "Ich bin eine arme Frau und Mutter." Vor der Tat in dem Drogeriemarkt hatte die Verkäuferin noch in zwei anderen Geschäften am Kurt-Huber-Ring Bekleidungsstücke im Wert von insgesamt 77,97 Euro gestohlen. Sie wurden bei ihr gefunden, als sie ihre Taschen in der Drogerie öffnen musste.

In erster Instanz hatte das Amtsgericht Fürstenfeldbruck sechs Monate Haft verhängt. Die Strafe habe nicht mehr zur Bewährung ausgesetzt werden können, so das Gericht. Denn die Angeklagte sei "nicht gewillt, straffrei zu leben." Zwar sei sie für ein Kind verantwortlich, das habe sie aber nicht davon abgehalten, sich erneut strafbar zu machen, lautet die Urteilsbegründung des Amtsgerichts.

Gegen ihre Verurteilung legte die Verkäuferin vor dem Landgericht München II Berufung ein. Sie wolle eine Bewährungsstrafe. Das bat die Frau die Vorsitzende Richterin der 8. Strafkammer - "wenn es möglich ist", fügte sie den Tränen nahe hinzu. "Wieso braucht man Eau Toilette, wenn man kein Geld hat", will die Richterin wissen. Es sollte ein Geschenk sein, erwidert die Angeklagte. Den Schaden hat die 40-Jährige inzwischen wieder gutgemacht. Den aus den beiden anderen Diebstählen jedoch nicht. Sie habe von den Geschäften noch kein Schreiben bekommen, erklärt die Angeklagte und wird von der Richterin zurechtgewiesen. Es gebe keinen Grund, auf ein Schreiben zu warten. "Wenn Sie zum Stehlen gehen, wissen Sie auch, wo Sie hin müssen", hält die Richterin der Verkäuferin vor.

Seine Mandantin werde nicht wieder stehlen, schaltet sich der Verteidiger ein. Sie habe selbst gemerkt, dass es nicht fünf vor zwölf, sondern wohl eher schon fünf nach zwölf sei. Die Angeklagte habe auch schon gestohlen, als ihr Kind da gewesen sei, "für mich ist das nicht nachvollziehbar", entgegnet die Vorsitzende. Der Anwalt versucht es erneut: Seine Mandantin wolle sich in Zukunft an die Fürstenfeldbrucker Tafel wenden, wenn sie Lebensmittel und Kleider für sich und ihr Kind brauche. Sie habe einen Deutsch-Kurs begonnen und wolle eine Berufsausbildung machen, als Kassiererin.

Die Angeklagte wolle ein "normales Leben starten", so Rechtsanwalt Burgert in seinem Plädoyer. Es gebe eine bessere Möglichkeit als eine Haftstrafe, so der Verteidiger - Sozialstunden. Die Vertreterin der Staatsanwaltschaft beharrt auf die vom Amtsgericht verhängte Strafe und meint: "Belehrbarkeit bei der Angeklagten ist nicht zu erkennen." Dann die Urteilsverkündung.

Es bleibt beim Urteil des Amtsgerichts. Allerdings setzt das Gericht die Strafe doch noch einmal zur Bewährung aus. Die Verkäuferin ist den Tränen nahe. Die Kammer habe sich die Entscheidung nicht leicht gemacht, sagte die Vorsitzende Richterin. Das Urteil sei die "letzte Warnung". Sollte noch einmal etwas vorkommen, werde die Bewährung widerrufen. Selbst beim Diebstahl einer Semmel. Binnen der nächsten zwei Jahre muss die Verkäuferin 160 Soziale Dienste leisten. Die Bewährungszeit beträgt fünf Jahre. Das Urteil ist rechtskräftig.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.3356822
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 31.01.2017
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.