Fürstenfeldbruck:Mehr als nur eine Wohngemeinschaft

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Wohnen für Hilfe: Rike Strohmeyer (links) und Verena Bauer stellen im Landratsamt das Projekt vor (Foto: Günther Reger)

Studenten wohnen bei Senioren und greifen den Älteren im Alltag unter die Arme. Das Landratsamt fördert das Projekt "Wohnen für Hilfe"

Veronika Linker erzählt von Davit. Wie er ihr unter die Arme greift, wenn sie Hilfe im Alltag braucht, wie er ihren Mann zur Krankengymnastik bringt, wie sie gemeinsam zu Abend essen, Ausflüge unternehmen und Spaß haben. Es klingt fast nach Familienidyll, obwohl Davit, streng genommen, nicht zur Familie gehört. Vor drei Jahren ist Davit Kvaratskhelia von Georgien nach Deutschland gezogen, vor zwei Jahren kam er über das Modell "Wohnen für Hilfe" zu den Linkers nach Puchheim. Das Modell sieht vor, dass junge Menschen, etwa Studenten oder Auszubildende, bei Senioren leben und ihnen anstatt Miete zu zahlen, im Alltag zur Hand gehen. Eine Stunde Hilfe pro Quadratmeter Wohnfläche lautet die Faustregel. Das Projekt, das es in vielen deutschen Städten schon seit Jahren gibt, soll nun auch im Landkreis etabliert werden. Eine eigene Stelle wurde dafür beim Landratsamt bereits eingerichtet.

Bei einer Informationsveranstaltung im Landratsamt wurde das Projekt Anfang Mai der Öffentlichkeit vorgestellt. Dort sprechen auch Veronika Linker und Davit Kvaratskhelia über ihre Erfahrungen. Dabei wird schnell klar, dass es bei Wohnen für Hilfe nicht um die Vermittlung reiner Zweckgemeinschaften geht. Als Linker ihren Vortrag beendet, ergreift Kvaratskheli das Wort. Mit dem Blick auf sie gerichtet sagt er: "Sie hat gesagt, es ist selbstverständlich, dass wir uns zum Abendessen zusammen hinsetzen", sagt er. "Aber das bedeutet schon sehr viel, dass man nicht so verloren ist im fremden Land. Dass jemand da ist, der sich um einen kümmert."

Die Familie Linker und Kvaratskheli wurden über die Vermittlungsstelle Wohnen für Hilfe des Seniorentreffs Münchee-Neuhausen zusammengebracht. Eine Anlaufstelle speziell für den Landkreis gab es vor zwei Jahren noch nicht. Dass es eine solche Einrichtung nun gebe, darüber ist Marion Schwarz, die Geschäftsführerin des Seniorentreffs Neuhausen froh: "Wir hatten immer wieder Anfragen aus Fürstenfeldbruck", sagt sie. Verantwortlich für die Vermittlung von Wohnpartnerschaften wird im Landkreis künftig Verena Bauer sein. Bisher war Bauer mit Vorarbeiten beschäftigt, unter anderem damit, das Projekt öffentlich bekannt zu machen und sich mit potenziellen Partnerorganisationen und Institutionen zu vernetzen.

In Zukunft können sich sowohl Senioren, die Wohnraum bereitstellen wollen, als auch Studenten oder Auszubildende, die Wohnraum suchen und Hilfe leisten möchten, bei Bauer melden. Anschließend werden Fragebögen ausgefüllt, etwa um Wünsche, Gewohnheiten und Erwartungen an das Projekt abzuklären. Auch Hausbesuche wird es geben, denn, das erklärt wiederum Schwarz: "Es kann passieren, dass man sagt, da kann man niemanden hinschicken." Vermüllte Zimmer, düstere Kellerräume ohne Fenster oder eine Wohnung voll mit Tieren - habe es alles schon gegeben. Das sei nicht im Sinne des Projekts. Dass sich beide Parteien wohlfühlen können sei wichtig, und deswegen werden Wohnpartnerschaften von der Vermittlungsstelle auf Dauer begleitet. Regelmäßig wird sowohl bei Wohnraumgebern, als auch bei Wohnraumnehmern abgefragt, ob alles in Ordnung ist.

Ganz wichtig im Vermittlungsprozess sei es , die Erwartungen der Teilnehmer abzufragen, das betont Schwarz immer wieder. Das bedeutet etwa, man sollte sich darüber im Klaren sein, welche Art von Hilfe man von dem neuen Mitbewohner erwarte und auch erwarten könne. Und das sollte schließlich auch klar in einem Vertrag festhalten werden, so dass es ein Dokument gibt, dass im Streitfall zu Rate gezogen werden kann. Genauso rät sie Senioren über erbrachte Leitungen Buch zu führen. Während der Gespräche mit Wohnraumgebern stelle sich häufig heraus, dass der Hilfsbedarf sehr groß ist und manchmal gar in den Bereich der Altenpflege gehe, sagt Schwarz. "Es ist oft nicht einfach zu vermitteln, dass das ein junger Mensch nicht leisten kann", sagt sie. Diese müssten schließlich am nächsten Tag fit für Studium oder Ausbildung sein. Auch Anfragen von Familien oder Asylhelferkreisen - derlei Anrufe nehmen zu - könnten nicht berücksichtig werden. "Vieles geht über Wohnen für Hilfe nicht", betont Schwarz. Und ein Problem für die Vermittler sei auch, dass es viel mehr Nachfragen von Studenten gebe, als von Senioren, die bereit sind, einen jungen Menschen bei sich aufzunehmen.

Findet sich aber Wohnraumgeber und -nehmer, die zusammmen passen, werden sie einander schließlich vorgestellt. Es gibt ein persönliches Kennenlernen, danach können sich beide entscheiden, ob sie eine Wohnpartnerschaft eingehen. Kommt sie zustande, muss sie sich während einer vier Wochen dauernde Probezeit, bewähren. So lange diese gilt, können beide Parteien jederzeit die Wohnpartnerschaft beenden.

Das bestätigt auch eine der Besucherinnen, die von schlechten Erfahrungen berichtet. Sie erzählt von einer jungen Frau, die bei ihr wohnt und sich nicht an vorher getroffene Abmachungen hält. Schwarz rät ihr, Regelungen immer vertraglich festzuhalten und Aufgaben, auch wenn man sich gut versteht und es nicht für nötig hält, schriftlich als erledigt festzuhalten. "Oft geht es, wenn es Konflikte gibt, darum, dass man sich nicht mehr sicher ist, ob Hilfeleistungen wie vereinbart erledigt worden sind", sagt sie.

Eine andere Besucherin möchte wissen, welche steuerrechtlichen Auswirkungen eine solche Partnerschaft auf den Wohnungsgeber hat. Schwarz empfiehlt, die Sache mit dem Steuerberater abzuklären Bei allen anderen Fragen steht Verena Bauer künftig den Interessenten im Landkreis zur Verfügung.

Die Fachstelle Wohnen für Hilfe im Landratsamt Fürstenfeldbruck ist telefonisch unter 08141/519 5632 und via E-Mail unter wohnen-fuer-hilfe@lra-ffb.de erreichbar.

© SZ vom 10.06.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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