Fürstenfeldbruck:Lyrischer Sprachunterricht

Lesezeit: 2 min

Julian Heidenreich (links) singt, sein Vater Gert übersetzt die Texte. (Foto: Reger)

Gert und Julian Heidenreich in Fürstenfeld

Von Florian J. Haamann, Fürstenfeldbruck

Die "Literatur in Fürstenfeld" ist aktuell die wohl innovativste und mutigste Veranstaltungsreihe im Landkreis. Dieses Fazit darf man ein Jahr nach Einführung der Reihe getrost ziehen. Interessant sind die gemütlichen, fast familiären Termine im Säulensaal nicht nur wegen der großen Namen, die die Besucher in dieser Zeit bereits erleben durften, wie etwa Wladimir Kaminer oder Denis Scheck. Sondern auch wegen des Konzepts, das nicht nur klassische Lesungen bietet. Vielmehr schafft es Thomas Kraft, der die Reihe verantwortet, immer wieder spannende Projekte nach Fürstenfeld zu locken, beispielsweise den Leonard Cohen Abend mit Thomas Kraft und Albert Ostermaier oder Rafik Schami, dessen Literatur von seiner Ehefrau, der Künstlerin Root Leeb illustriert worden ist.

Den bisherigen Höhepunkt in dieser Liste durften die Besucher aber bei der vergangenen Veranstaltung erleben: Gert Heidenreich, eine der literarischen Stimmen der Achtundsechziger, trat gemeinsam mit seinem Sohn Julian auf, einem jungen Singer/Songwriter. Die beiden präsentierten dabei kein Programm, mit dem sie Abend für Abend von Halle zu Halle ziehen. Im Gegenteil, es war das erste und vielleicht einzige Mal, dass Vater und Sohn in dieser Konstellation aufgetreten sind. Das Konzept: Der Vater übersetzt die Songtexte des Sohnes vom Englischen ins Deutsche, danach singt Julian Heidenreich das Lied. Dazwischen liest Gert Heidenreich dazu passende eigene Gedichte.

"Der Versuch die Texte zu übersetzen ist riskant, weil das Englische so lakonisch und kurz sein kann. Aber ich habe versucht, die Stimmung rüber zu bringen", sagt Gert Heidenreich zum Einstieg. Und tatsächlich, eine Erkenntnis des Abend ist, wie unterschiedlich ein Text wirken kann, je nachdem ob er auf Deutsch oder Englisch, gesungen oder gelesen, vorgetragen wird. Deutlich wird das etwa am Lied "Their favorite Song" - Ihr Lieblingssong. Im Original ein melancholisch-dramatisches Lied über ein junges Paar, das offenbar nach einem Streit die Nacht getrennt verbringt, er in der Wohnung, sie schlaflos durch die Nacht spazierend. In dem Moment in dem sich beide dazu entscheiden, einander zu vergeben, erfasst ein Auto die junge Frau tödlich. Die träumerisch-bereuende Zeile "You've had better lived it all" bekommt im Deutschen einen (selbst-)anklagenden Unterton alla "Hättest du das mal anders gemacht". Verstärkt wird dieser Effekt natürlich auch durch die unterschiedlichen Charaktere auf der Bühne: Der streng und entschlossen wirkende Gert Heidenreich mit seiner erfahrenen, tiefen Sprecherstimme einerseits, der introvertierte Julian mit seiner hellen, manchmal verletzlich wirkenden Stimme andererseits. Dennoch erschafft natürlich auch Gert Heidenreich in den Übersetzungen zutiefst lyrische Momente. "Nach den vielen Tagen ohne Licht, nahm sie jetzt den Mond in ihre Hand", heißt es im gleichen Titel.

Wie wortgewaltig und dann wieder zutiefst hingebend er formulieren kann, wird aber vor allem in den vorgetragenen Gedichten klar. In "Istanbul" beschreibt er die Tauben als: "grünhälsig mit blauem Glanz auf den Federn, als hätten sie sich soeben heraus gehoben aus den Kacheln der Yeni-Moschee" und ein paar Zeilen weiter dann über ein Schaf in einer Armenküche: "auf den Boden geworfen und mit einem entschlossenen Schnitt zu Fleisch gemacht".

Endgültig intim, den Besucher fast unangenehm bewegend, weil er so tief in die Seelen der beiden Männer auf die Bühne eintaucht, unvorbereitet quasi für einen Moment Teil des Familienlebens wird, wird es, mit den Songs "Lake A" und "A Lullaby to Your Ghost", die an den tödlichen Bootsunfall des jüngeren Bruders erinnern. Mehrere Gedichte von Gert Heidenreich erzählen von der Trauer und Hilflosigkeit des Vaters.

© SZ vom 13.10.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: