Fürstenfeldbruck:Kunstgenuss im Eiltempo

Ein Spaziergang über die Kulturnacht zeigt: Wer möglichst viel erleben will, braucht Ausdauer und darf nicht zu lange an einem Ort verweilen. Denn geboten ist mehr als genug - nur die Weitläufigkeit und der enge Zeitplan bringen die Besucher in Entscheidungsnot

Von Florian J. Haamann, Fürstenfeldbruck

Eifrig blättern die Gäste im Haus 10 in ihren Programmheften und unterhalten sich über die weitere Abendgestaltung, noch bevor auf der Bühne die ersten Worte gelesen werden. Denn bei allem Kunstgenuss verursacht die Brucker Kulturnacht ein anhaltendes Stressgefühl. 15 Veranstalter in sechs Stunden - unmöglich, das alles zu sehen. Aber selbst wer nur ein paar ausgewählte Veranstaltungen besuchen möchte, braucht ein gutes Zeitmanagement.

Kulturnacht

Erste Station eines atemlosen Abends: das Improtheater in der Neuen Bühne Bruck.

(Foto: Günther Reger)

Zuerst einmal also ein Blick ins Haus 10, wo Mitglieder der IG Kultur Texte vorlesen, die ihnen anonym zugeschickt wurden. Aus den knapp 60 Einsendungen wurden 18 Texte ausgewählt, die nun an Fäden von der Decke hängen. Ein Besucher darf aus einem Glas eine Nummer ziehen, es ist Text 13. Die Vorleserin löst den Text von seiner Klammer, schnappt sich die Zettel und betritt die Bühne. Auch wenn sie über den Autor natürlich nichts sagen kann, wird schnell klar, dass es sich wohl um einen jungen Menschen, wahrscheinlich eine junge Frau handelt. Der Text beschreibt die Instagram-Kultur, den Drang, sich zu inszenieren und eine virtuelle Identität zu schaffen. Natürlich sieht der Autor das kritisch, gesteht sich ein, selbst nicht anders zu können, als sich zu beteiligen und endet mit dem Appell an seine Generation, doch wieder mal mehr Abenteuer in der echten Welt zu erleben. Von den vollbesetzten Stuhlreihen gibt es reichlich Applaus dafür. Und noch während sie Beifall spenden, müssen sich die Besucher entscheiden: Hier bleiben und weitere Texte hören oder aufbrechen, zurück ins Abenteuer Kulturnacht. Während die meisten erst einmal verweilen, brechen einige Besucher auf.

Kulturnacht

Mitglieder der IG Kultur lesen im Haus 10 Texte, die ihnen anonym zugeschickt wurden.

(Foto: Günther Reger)

Eine mögliche nächste Station ist die Bühne im Stadtpark, ein paar Hundert Meter weiter. Mit dem Shuttlebus erreicht man diese Station nicht, also heißt es flotten Schritts losmarschieren. Auf der Bühne moderiert die Poetryslammerin Fee sich gerade selbst an. Denn sie ist nicht nur Gastgeberin für ihre Mitslammer Dominik Erhard und Katrin Freiburghaus, sondern präsentiert auch eigene Texte. Ausgesucht hat sie sich eine aktuelle Geschichte über Martin Luther, in der Fee den Merchandise-Hype um den Reformator sanft kritisiert, um dann zu erklären, dass sie es dennoch schade fände, dass man sich gegen die Luther-Kondome entschieden habe. Denn der angeblich von ihm stammenden Ausspruch "Hier stehe ich und kann nicht anders" sei doch eine super Idee gewesen. Bei den etwa 70 Anwesenden kommt die gelungene Mischung aus Kritik und Kalauer bestens an.

Kulturnacht

Fee Brembeck beim Poetry-Slam auf der Bühne des Stadtparks.

(Foto: Günther Reger)

Wer nach diesen Zeilen - oder schon früher - seinen Glauben an Gott verloren hat, der könnte ihn nun in der Klosterkirche glatt wiederfinden. So eindrucksvoll das Gebäude schon am Tag ist, im abendlichen Dämmerlicht, erhellt nur vom warmen Licht einiger Kronleuchter und erfüllt von ruhiger Orgelmusik, entfaltet sie eine mystische Wirkung, der man sich nur schwerlich entziehen kann. Christoph Hauser an der Marienorgel und der Trompeter Hans Jürgen Huber erzeugen diese Stimmung mit Werken von Telemann, Grieg, Jollivet und Charpentier.

Kulturnacht

Blick nach vorn: Zahlreiche Besucher erkunden bei der Kulturnacht die verschiedenen Spielstätten, wie etwa die Neue Bühne Bruck.

(Foto: Günther Reger)

Während man also beseelt von diesen Klängen über das Klostergelände zum nächsten Act geht, hindurch zwischen lodernden Feuerschalen der Alleinunterhaltungskünstlern Ingrid Irrlicht, die gerade als "Mrs. Livingstone" mit einem großen Netz nach menschlichen Schmetterlingen jagt, drängt sich plötzlich ein Gedanke auf. Wäre es nicht schön, wenn man das Programm ein wenig ausdünnen und an einem Ort versammeln könnte? Nämlich hier auf dem Klostergelände, wo sowieso ein Großteil der Veranstaltungen und damit viele Besucher zu finden sind? Zehn statt 15 Veranstalter, dafür ein paar Gastrostände und eine bessere Terminabstimmung? Denn natürlich wäre es schön, jetzt das "Derabeudische Orkester Oberfranken zu hören. Aber dafür bis zum Jexhof fahren, wenn man in der gleichen Zeit mehrere Veranstaltungen hier sehen kann?

Während man also in Zukunftsvisionen für die Kulturnacht schwelgt, ruft das Hier und Jetzt zurück zur Ordnung. Denn am Rande des Klostergeländes wartet eine Attraktion, die zwar nur bedingt mit Kultur zu tun hat, die aber dennoch zahlreiche Besucher locht: Das Energiemuseum der Stadtwerke mit seiner historischen Turbine. Dicht gedrängt stehen die Besucher in dem kleinen Raum, um die Demonstration der alten Maschine zu sehen. Nach einer kurzen Einführung schaltet der Mitarbeiter das Gerät an. Im aufbrandenden Lärm versucht er seine Arbeitsschritte zu erklären, doch die meisten Gäste blicken sowieso nur voller Faszination auf die in Schwung kommende Turbine.

Noch während die Maschine dröhnt und vibriert, ist es Zeit aufzubrechen. Denn im Landratsamt bereiten sich gerade die Bluestrings auf ihren letzten Auftritt des Abends vor. Zweimal waren sie auf der Bühne, jedes Mal, wie ihr Leiter Frank Wunderer stolz betont, mit einem komplett neuen Programm. Nun also stehen die zwölf letzten Titel an. Los geht es mit einem Stück von Stevie Wonder. Wie gewohnt wechseln sich harmonische Ensemblepassagen mit eindrucksvollen Soloeinlagen ab, das Publikum ist begeistert. Ja, so schön kann ein Kulturabend sein, trotz aller gebotenen Hektik.

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