Süddeutsche Zeitung

SZ-Serie: Tatort Region, Folge 8:Wo sind die Millionen geblieben?

Ein Geldtransportfahrer aus München stiehlt 3,6 Millionen Euro. Seine Flucht geht um die halbe Welt und endet in einem Regionalzug nach Nürnberg.

Von Erich C. Setzwein, Fürstenfeldbruck

3,6 Millionen Euro sind verschwunden. Nein, nicht ganz, denn die Geldbündel, die der 33 Jahre alte Sven K. bei sich hat, als ihn Schleierfahnder in einem Zug entdecken und als Millionendieb entlarven, könnten aus seiner Beute stammen. Und der Rest? Hat das Geld eine ominöse Georgierin, hat es der Dieb vergraben, oder sind die Millionen vielleicht irgendwo gut angelegt worden?

Die Planung

Was sich Menschen schon ausgedacht haben, um mal richtig Kohle zu machen - all diese Pläne aufgeschrieben würden ein dickes Buch ergeben. Aber: Die Gelegenheit macht einen Menschen zum Dieb. Da liegen schlappe 4,1 Millionen in bunten Euroscheinen im Auto, und man müsste sie nur mitnehmen. Das denkt sich auch Sven K., 31, seit 2000 Fahrer eines Werttransporters der Firma G4S. K. hat viel Zeit zum Träumen, wenn er nicht den blauen Transporter lenkt. Der Mann aus Thüringen hat keine Freundin, lebt bescheiden und zurückgezogen in einer Ledigenunterkunft in München. Er fasst einen Entschluss, plant den Diebstahl des ihm als Kurier anvertrauten Geldes. Er weiß zwar noch nicht, wie hoch die Beute ausfallen wird, doch mehr als die Miete des Leihwagens wird es sicher sein. Mit diesem Wagen wird K. bald flüchten.

Die Tat

Sven K. hat an diesem Samstag seinen Kumpel Hans B. (Name geändert) mit an Bord, er, K. fährt den Mercedes Sprinter, B. sitzt auf dem Beifahrersitz. An Samstagen, das weiß der Fahrer, der gleich zum Täter werden wird, ist aus Sparmaßnahmen die Alarmzentrale der Firma in Kassel nicht besetzt. Die Satellitenüberwachung ist auch nicht möglich, denn K. verfügt über einen Schlüssel, den er nicht haben dürfte, der es ihm aber ermöglicht, das GPS-Signal auszuschalten. Es ist der 20. Januar 2007 gegen 19 Uhr, als K. das blaue Fahrzeug auf einen aufgelassenen Parkplatz an der A 8 lenkt, damit beide austreten können. Sie haben zwischendurch immer wieder italienischen Weißwein getrunken, müssen ja noch in den Abendverkehr in München, da wäre es gut, wenn man sich vorher noch erleichtert. Es muss auch nicht schnell gehen, es liegt kein Schnee, und die Wettermessstation im wenige Kilometer entfernten Maisach-Galgen zeichnet eine Temperatur von zehn Grad auf. K. weiß nun, worauf es ankommt. Das Vertrauen seines Kollegen auszunutzen, und sich von ihm das Mobiltelefon zu leihen, um angeblich bei der Stiefmutter anzurufen, ist leicht. Wenn K. das Handy erst hat, ist der Kollege mitten in der Sulzemooser Pampa aufgeschmissen, er kann also spontan keinen Alarm auslösen. Und so geht B. austreten, und K. braust los. In diesem Moment begeht er die Tat, derer ihn später vor Gericht der Staatsanwalt anklagen wird: Diebstahl mit Waffen. Denn K. trägt als Geldkurier einen Revolver am Gürtel. Bevor B. in der Dunkelheit ein Anwesen findet, um zu telefonieren, ist K. schon an seinem ersten Wendepunkt angekommen. Am Abstellplatz seines Fluchtwagens bei der Autobahnausfahrt Dachau-Fürstenfeldbruck.

Die Flucht

Alle Geldsäcke zusammen wiegen fast drei Zentner, K. muss sie aus dem G4S-Wagen in den silbernen Ford Focus Turnier der Autovermietung schaffen. Fast alles hat er verladen, doch lässt er etwa 600 000 Euro zurück. Das Timing stimmt. K. will nach Westen, schnell ist er wieder auf der Stuttgarter Autobahn, diesmal in anderer Richtung, schnell aus Bayern heraus. Die Polizei, deren Ermittlungen gerade erst anlaufen, muss ihn überall vermuten. Derweil rollt K. durch Kehl, überquert den Rhein und kommt in Straßburg an. Gehalten hat er nicht, jetzt ist der Tank bald leer, und der Dieb steuert eine Tankstelle in Mulhouse an. Dort bezahlt er den Sprit und kauft zwei Paar Nylonstrümpfe. Für wen oder was? Hat er jene Frau dabei, die mit ihm zusammen den Plan ausgeheckt haben soll? Oder braucht er die extrem haltbaren Strümpfe, um in diese das Geld zu stecken und zu vergraben? Als er verhaftet wird, hat er Scheine dabei, an denen Erde klebt. Kommt es aus einem Erddepot im Elsass? K. s Flucht aber geht weiter, sein Ziel ist der Hafen von Marseille. Dort wartet ein Schiff, das ihn nach Algier bringen soll. Als K. an Bord geht, weiß er noch nicht, dass er auf einen zweiten Wendepunkt zusteuern wird. Denn für Algerien benötigt er ein Visum, das er nicht hat. Er bleibt auf dem Schiff, kehrt zurück nach Europa und landet im spanischen Alicante. Von dort geht es nach Madrid, er besteigt ein Flugzeug, das ihn in die Dominikanische Republik bringt. Wieder ein Wendepunkt in der Fluchtgeschichte des Millionendiebs. Er kehrt schon nach drei Wochen zurück nach Europa, versteckt sich in Tschechien. Sein letzter Wendepunkt soll ein Jahr später Karlsruhe sein, wo er wegen angeblicher Rückenschmerzen zum Arzt will. Er fährt zurück nach Zwickau - mit dem Zug.

Die Fahndung

Für die Kriminalbeamten in der Polizeidirektion Fürstenfeldbruck ist es bereits der dritte Millionendieb innerhalb von zwei Jahren, mit dem sie es zu tun haben. 2005 hat ein Geldkurier 7,2 Millionen Euro in Fürstenfeldbruck entwendet und es ausgerechnet in Brucks Partnerstadt Zadar gebunkert, ehe ihn Zielfahnder aufspürten. Im selben Jahr nahm ein Geldbote in Karlsfeld (Kreis Dachau) zwei Millionen Euro mit, landete in Rumänien und wurde aufgespürt. Nach K. läuft zunächst eine bundesweite Fahndung, dann ergeht sogar ein weltweiter Haftbefehl. Informationen gibt es schon, aber keine belastbaren. Im ersten Jahr nach dem Diebstahl gehen bei der Ermittlungsgruppe "Sven" in Fürstenfeldbruck rund 1200 Hinweise ein. So zum Beispiel die Aussage eines in Spanien lebenden Deutschen, der K. in Marbella gesehen haben will. Europäische Behördenmühlen mahlen langsam, also erreicht die Nachricht aus Spanien vom Juli 2007 die Kripo in Bruck erst im September. Viel Zeit, in der der Dieb schon viel weiter weg sein könnte. Ist er ja auch.

Alle warten darauf, dass K. einen Fehler begeht. Dann wird im April der in München gemietete Ford in einer Lagerhalle in Marseille entdeckt. Abgestellt war er dort seit dem 22. Januar. Aufgefallen ist er nur, weil so viele Werbeprospekte unter den Scheibenwischern klemmen. Doch die Zielfahnder können nicht in Marsch gesetzt werden, weil K. seit der Kontrolle im Hafen von Algier nicht mehr erkannt worden ist. K. s Geschichte wird für die Fahndungssendung "Aktenzeichen XY" im ZDF filmisch aufbereitet - ohne Erfolg.

Die Festnahme

Manche nennen so etwas "Kommissar Zufall", andere eine "gute Spürnase", und wieder andere, die viel Erfahrung und einen Blick für alles Verdächtige habe, sprechen einfach von "Glück". Es ist dieses Quäntchen Glück, die Erfahrung, der Blick der beiden Polizeibeamten der bayerischen Grenzpolizei aus Hof, die am 23. April 2008 mit dem Zug zunächst nach Nürnberg fahren und dort in den Regionalexpress nach Dresden steigen. Kaum ein Fahrgast nimmt sie als das wahr, was sie sind: Schleierfahnder in Zivil. Sie überprüfen, was ihnen "kontrollwürdig" erscheint, wie einer der Beamten es ausdrückt. Und das sind zwei Personen, die mitten im Großraumabteil sitzen. Einer der beiden zeigt auf Aufforderung seinen Ausweis, in dem der Name steht, den er seit 33 Jahren trägt: Sven K. Erst eine Fahndungsabfrage bestätigt den Beamten, dass sie den Millionendieb vor sich haben. K. lässt sich widerstandslos festnehmen, damit es aber nicht so auffällt, sind es Fesseln aus Klettband und nicht aus Stahl. K. hat Geld im Wert von etwa 34 000 Euro, in Euro, Dollar und tschechischen Kronen, dabei. Ein wenig vermodert, so als ob die Scheine länger vergraben waren.

Der Prozess

Am 25. August 2008 hat das Landgericht München II das Verfahren gegen K. eröffnet. Es ist nicht so, dass da ein reuiger Angeklagter den Saal betritt, sondern ein eher fröhlicher Mensch, der vermutlich jede Freiheitsstrafe annehmen würde. Das Gericht baut ihm Brücken, wenn er denn sagen würde, wo das Geld ist, drei Jahre weniger Haft werden in Aussicht gestellt. K. räumt die Vorwürfe ein, und gut ist's. Die 3,6 Millionen wird er nach seiner Entlassung an den Staat zahlen müssen, kurz darauf wird er zu Schadenersatz in Höhe von 600 000 Euro an die Sicherheitsfirma verurteilt, bei der er angestellt war.

Das Urteil

Sieben Jahre Haft lautet das Urteil gegen Sven K., doch der eben Verurteilte scheint sich nichts draus zu machen. Der Richter empfindet das nicht so lustig und spricht K. direkt an. "Sie haben gelächelt, aber Sie sollten sich nicht zu früh freuen. Sie werden keine Freude an dem Geld haben."

Alle Folgen der Serie "Tatort Region" finden Sie auch online unter sz.de/tatort.

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Quelle:
SZ vom 06.08.2019/vün
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