Süddeutsche Zeitung

Das Gedächtnis des Landkreises:Die Schatzsucherin

Anna Ulrike Bergheim gibt den Vorsitz beim Historischen Verein ab. Sie hat Archive erschlossen und den Verein thematisch breit aufgestellt. Ein Nachfolger steht bereit.

Von Peter Bierl, Fürstenfeldbruck

Nach acht Jahren als Vorsitzende wird Anna Ulrike Bergheim den Vorsitz des Historischen Vereins Fürstenfeldbruck im Frühjahr abgeben. Einen Nachfolger gibt es, allerdings mag Bergheim den Namen nicht verraten, bevor die Mitglieder wissen, wer es machen möchte. Unter ihrer Federführung hat sich der Verein thematisch breiter aufgestellt, die NS-Zeit wurde endgültig aus der Tabuzone geholt. Der Arbeitskreis Mahnmal, der die Gedenkveranstaltung am Mahnmal für den Todesmarsch in Bruck organisiert, wird Teil des Vereins und sich vermutlich unter der neuen Bezeichnung "Gedenken" auch anderen Ereignissen widmen.

Bergheim selbst zieht eine gemischte Bilanz. Aktuell zählt der Historische Verein etwa 630 Mitglieder, darunter berufsbedingt einige Archivare, Historiker und die Kreisheimatpfleger. Die Zahl sei einigermaßen konstant, aber die Mitglieder sehr alt. Sie bedauert, dass es ihr nicht gelungen ist, den Verein zu verjüngen. "Wenn ich die Jugend verkörpere, läuft was schief", sagt die heute 67-Jährige dazu. Allerdings ist das ein strukturelles Problem, das ein Vorstand nur begrenzt lösen kann. "Geschichte ist nichts, wofür sich junge Leute interessieren, und das Bildungsbürgertum stirbt aus", sagt Bergheim dazu. Die Altersgruppe zwischen 30 und 50 sei ohnehin mit Beruf und Familie voll beschäftigt. Klar könnte man junge Menschen für Geschichte begeistern, aber das brauche Zeit und in der Schule werde das Interesse kaum geweckt. Dafür sei der Unterricht zu begrenzt angelegt.

Der Landkreis sei gespickt mit Hinterlassenschaften etwa aus der Steinzeit, der Arbeitskreis Archäologie hat mit seinen Grabungen und Feldbegehungen vieles zu Tage gefördert, was die frühere Auffassung, der Raum zwischen Donau und Alpen sei vor den Kelten fast menschenleer gewesen, widerlegt hat. Bei den meisten Lehrern sei das Wissen darum gering ausgeprägt, und in den Unterricht örtlicher Schulen fließt die regionale Geschichte, die etwa in den Museen in Bruck und Germering oder auf dem Jexhof aufgearbeitet wird, nur ausnahmsweise ein. In der Maisacher Grundschule hat Bergheim mal eine Doppelstunde über lokale Geschichte gehalten, "das ist im Lehrplan nicht vorgesehen", kritisiert sie.

Bergheim erinnert daran, dass die bayerische Regierung die Fächer Geschichte, Sozialkunde und Wirtschaft zusammenlegen und auf drei Wochenstunden schrumpfen wollte. Der Historiker Manfred Treml, damals Leiter des Verbands der Geschichtsvereine, initiierte eine Unterschriftensammlung dagegen, der Historische Verein unterstützte die Aktion und wandte sich an den damaligen Landtagsabgeordneten Thomas Goppel (CSU), der wiederum erfolgreich im Kultusministerium interveniert habe, erzählt Bergheim.

Im vergangenen Jahr hat sich der Historische Verein vor allem dem Gedenken an das Olympiaattentat gewidmet; besonders stolz ist Bergheim, dass die israelische Generalkonsulin fast zu jeder Veranstaltung anreiste. Für Bergheim ist das ein persönliches Thema. Im Sommer seien nochmal Akten im Keller des bayerischen Innenministeriums aufgetaucht, erzählt sie. Derzeit transkribiert sie im Bayerischen Hauptstaatsarchiv in München Tonbänder, die aus dem damaligen Lagezentrum des Innenministeriums stammen. Insgesamt sind vier Stunden aufgezeichnet, teilweise nur Ausschnitte und Gesprächsfetzen, man hört Hans-Dietrich Genscher (FDP), den damaligen Bundesinnenminister, erzählt sie. Bergheim liebt die Recherche im Archiv.

2015 hat sich der Verein anlässlich des 175. Jubiläums mit der Geschichte der Eisenbahn München-Augsburg und seiner Bedeutung für den Landkreis beschäftigt. Bergheim entdeckte alte Ratsprotokolle aus Überacker und Rottbach, in denen die Zustimmung zum Bau einer Querverbindung von Bruck über Maisach nach Odelzhausen dokumentiert ist. In einer Ausstellung in Maisach wurden erstmals Fotos von der Fliegerbeobachtungsschule der Fliegerdivision des bayerischen Heeres aus der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg gezeigt. Die angehenden Flugbeobachter machten von ihren Zweisitzern aus zu Übungszwecken 160 Fotos von der Strecke München-Augsburg. Die Bilder hatte Bergheim im Bayerischen Kriegsarchiv aufgestöbert.

Bergheim ist gelernte Juristin und hat als Anwältin gearbeitet, was ihr bei der Vorstandsarbeit zugutekam, der administrative und juristische Aufwand sei enorm. Sie hat die Werbung um Drittmittel verstärkt; das zusätzliche Geld ist schon deshalb notwendig, um die vereinseigene Zeitschrift, die "Brucker Blätter", zu erhalten, deren Druckpreis enorm gestiegen ist.

Bergheim stammt aus dem Schwarzwald und ist 2003 nach Maisach gezogen. Das Interesse für Geschichte und Politik sei bei ihr schon in der Familie geweckt worden. "Ich habe einen bildungsbürgerlichen Hintergrund, aber es hat auch mit gesellschaftspolitischem Verantwortungsbewusstsein zu tun", sagt sie. Deshalb war Bergheim immer wieder auch auf Kundgebungen gegen Auftritte der extremen Rechten im Landkreis zu sehen. Die Kenntnis der Geschichte hat für sie eine zentrale Bedeutung: "Wie soll man Menschen zur Achtsamkeit erziehen, wenn sie nicht wissen, wofür sie achtsam sein sollen."

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