Süddeutsche Zeitung

Fürstenfeldbruck:Helfer in der Not

Der neue Brucker Militärdekan Andreas Vogelmeier war in Irak und Afghanistan. Soldaten in Krisensituationen versucht er Halt zu geben

Von Stefan Salger, Fürstenfeldbruck

Der Mann hat gelernt, den Ton anzugeben. Und er kann ordentlich Gas geben. Eines aber kann er besonders gut: zuhören. Andreas Vogelmeier ist mit einem feierlichen Gottesdienst auf dem Fliegerhorst in sein Amt als Militärdekan eingeführt worden. Der 48-jährige ehemalige Profi-Trompeter und passionierte Motorradfahrer ist Nachfolger von Alfons Maria Hutter, der in Ruhestand gegangen ist.

Vor allem in Auslandseinsätzen trägt Vogelmeier oft Tarnfleck - nur ein Kreuz auf der Schulterklappe weist ihn dann als Seelsorger aus. Auf dem Fliegerhorst trägt er die klassische Albe und etwas später einen schwarzen Trachtenjanker. Am häufigsten aber ist er in "Zivilkleidung" unterwegs. Mit seinem Stiftenkopf, der modischen Brille und seiner umgänglichen, fast hemdsärmeligen Art würde er auch als Jungunternehmer oder Lehrer durchgehen. Bei seinem Besuch in der SZ-Redaktion am Mittwoch kommt er in der Tat gerade vom Unterricht: In Sankt Ottilien leitet er drei Tage lang ein Seminar, in dem sich Gruppen von jeweils etwa 20 Soldaten mit den Themen Menschenbild und Grundgesetz beschäftigten. "Das ist weltanschaulich neutral, also kein Religionsunterricht", betont er. Teilnehmen können auch Soldaten, die sich zu einem anderen oder gar keinem Glauben bekennen. Vogelmeier ist kein Missionar, mag die Arbeit für ihn selbst auch Berufung sein.

Seit 2008 ist er Militärpfarrer, in den zurückliegenden fünf Jahren war er in der Hochstaufen-Kaserne in Bad Reichenhall und bei den Gebirgsjägern in Bischofswiesen stationiert. Die Versetzung nach Fürstenfeldbruck ebnete ihm den Weg zum Amt des stellvertretenden Militärdekans für den Bereich Bayern.

Die Gegend rund um Fürstenfeldbruck kennt Andreas Vogelmeier gut: Er wächst in Dachau auf und besucht dort das Gymnasium. Dass der Sohn eines Offiziers einmal Pfarrer werden würde, ist damals überhaupt nicht abzusehen, auch wenn er viele Jahre Ministrant ist. Früher habe er mit Blick auf die Berufswahl "viele Träume" gehabt. Er kann sich damals vorstellen, Polizist oder Feuerwehrmann oder Sanitäter, aber eben auch Soldat zu werden. Zunächst studiert er aber in München und Berlin etwas ganz anderes: Musik mit den Schwerpunkten Trompete und Klavier. Anschließend nimmt er das Angebot für ein Engagement an der Staatsoper Hamburg an. Die 90-Grad-Kurve in der Biografie wird ausgelöst durch ein Gespräch in seiner Heimatstadt. Dort kommt der Musiker am Rande eines Kranken- und Seniorengottesdienstes ins Gespräch mit einem Pfarrer. Es beeindruckte ihn und lässt ihn nicht mehr los. Ein halbes Jahr später tritt Vogelmeier ins Priesterseminar ein, 2005 wird er zum Priester geweiht, ist bis 2008 Kaplan in Mittenwald. Über die dortige Kaserne kommt er mit der Bundeswehr in Kontakt. Das ist keine fremde Welt für den Pfarrer, hat er doch mit 18 Jahren seinen zwölfmonatigen Grundwehrdienst in Pöcking am Starnberger See abgeleistet, beim Luftlande-Fernmeldelehrbataillon. Vogelmeier verabschiedet sich damit von der gesicherten und vorhersehbaren Welt eines "normalen" Seelsorgers. Denn Militärpfarrer müssen dorthin gehen, wo sie gebraucht werden und wo die Gefahr ein täglicher Begleiter ist. Er geht in den Kosovo, nach Afghanistan und im vergangenen Jahr im Sommer drei Monate ins irakische Erbil. Das Testament zu machen, sich von den Eltern zu verabschieden - für ihn beinahe schon Routine. Überschattet wird der Einsatz von einer Tragödie: Der Militärpfarrer, den Vogelmeier ablöst, stirbt kurze Zeit später in Deutschland bei einem Verkehrsunfall. Dem ganze "Kontingent" im Irak sei das sehr nahe gegangen.

12 Jahre

So lange stellt die Heimatdiözese in der Regel einen Militärpfarrer vom "zivilen Dienst" frei. Dieser bleibt Zivilist, auch wenn er in manchen Einsätzen Uniform trägt. Für Andreas Vogelmeier würde dies bedeuten, dass er im November 2020 wieder den Fliegerhorst und Bruck verlässt und ihm dann vermutlich eine Pfarrei zugewiesen wird. Gleichwohl hofft der 47-Jährige, dass seine Dienstzeit noch um drei weitere Jahre verlängert werden kann.

Der Tod ist allgegenwärtig, "mit der Spannung lebt man immer". Dabei hat Vogelmeier Glück: Er selbst muss nie mit den Kameraden oder Angehörigen den Tod eines Soldaten betrauern. Aber er redet viel mit den Einsatzkräften. Auch darüber, wie sie mit der Situation umgehen können, selbst in letzter Instanz töten zu müssen. Darüber, wie sie damit umgehen können, dass es im fünften Gebot heißt: "Du sollst nicht töten". Andreas Vogelmeier hat da keine einfachen Lösungen und Botschaften. In einem Interview sagte er einmal: "Mit jedem Töten splittert ein Teil der Seele ab. Das kann keiner vergessen, aber er muss lernen, damit umzugehen."

In Erbil trägt er meistens Zivil, aber natürlich keine Waffe. Wenn er in die Stadt fährt, um fürs Bibelfrühstück einzukaufen, wird er von Personenschützern begleitet. Es gibt auch Lichtblicke im Einsatz. So ist das, als er 2011 im afghanischen Baglan einen jungen Soldaten tauft, der nach seiner Rückkehr kirchlich heiraten will.

Im Januar ist Andreas Vogelmeier nach Fürstenfeldbruck gezogen, die Lockerheit und Freundlichkeit, mit der er im Fliegerhorst aufgenommen wurde, sei sehr angenehm. Hier herrsche kein so rauer Ton wie bei der Truppe, sagt er lachend. Ausgleich findet der "Neu-Brucker" bei seinen Hobbys. Selbst vorgeben, wohin die Reise geht, kann er am Steuerpult seiner Modelleisenbahn, mit der Trompete bei Klassik oder Jazz - und am Lenker seiner Motorräder: einer 1200-er BMW und einem Supersportbike MV Agusta 800. Moderne Pfarrer schweben nicht über den Dingen und wollen auch mal ordentlich Gas geben.

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Quelle:
SZ vom 20.07.2019
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