Fürstenfeldbruck:Helfen, wenn kein anderer hilft

Fußgängerwege bei Dunkelheit in Pasing, 2015

Allein durch die Nacht: Vor allem Frauen leben in steter Angst, wenn sie von ihren Ex-Partnern verfolgt und belästigt werden.

(Foto: Robert Haas)

Die Außenstelle des Weißen Rings kümmert sich seit 1996 um Opfer von Straftaten und unterstützt diese auch finanziell. In etwa der Hälfte der jährlich hundert Fälle geht es um Häusliche Gewalt

Von Franziska Stadlmayer, Fürstenfeldbruck

Die 34-Jährige ist am Ende ihrer Kräfte. Sechs Stunden Verhandlung vor dem Amtsgericht, fünf Stunden Warten, um eine Aussage gegen den gewalttätigen Ehemann zu machen - und das alles in der anonymen, kalten Atmosphäre des Gerichts. Zum Glück ist Klaus Frank dabei. Für den pensionierten früheren Germeringer Polizeichef ist so etwas Routine, er kann vorbereiten und beruhigen. Frank arbeitet seit fünf Jahren ehrenamtlich für den Weißen Ring in Fürstenfeldbruck, er begleitet Opfer zur Polizei oder steht ihnen mit Ratschlägen zur Seite. Der Weiße Ring, 1976 unter anderem vom Fernsehjournalisten Eduard Zimmermann gegründet, kümmert sich um die Opfer von Kriminalität und ihre Familien - auch finanziell.

Aktuell gibt es 420 Außenstellen des Weißen Rings, eine in jedem deutschen Landkreis. Seit 1996 existiert die Außenstelle der Opferhilfeorganisation im Landkreis Fürstenfeldbruck. Acht Mitarbeiter stehen hier Menschen bei, die in irgendeiner Form Opfer von Kriminalität geworden sind. Charlotte Hofmann leitet die Außenstelle Fürstenfeldbruck seit ihrer Gründung. In den 20 Jahren hat die pensionierte Kriminalpolizistin viel gesehen. Besonders nahe gehen ihr Fälle, in die Kinder involviert sind, denn: "Kinder sind uns Erwachsenen schutzlos ausgeliefert." Genauso wie Kinder werden auch Frauen oft Opfer von Missbrauch oder häuslicher Gewalt. Etwa die Hälfte der jährlich um die hundert Fälle, um die sich der Brucker Weiße Ring kümmert, entfällt auf den Bereich Häusliche Gewalt gegen Frauen. Hilfe suchende Frauen wenden sich entweder selbst an die Nummer des Weißen Rings oder sie werden von Polizei und Anwälten weitervermittelt. "Wenn ein Anwalt merkt, bei seinem Klienten gibt es Probleme mit der Aufarbeitung, dann wendet er sich meist an uns", erklärt Klaus Frank. Der Weiße Ring kann schnell helfen. Klaus nennt als Beispiel eine alte Dame mit geringer Rente. Nach einem Raubüberfall ist das Geld für den Monat weg und die Rentnerin weiß nicht, wovon sie die nächsten Wochen ihren Lebensunterhalt bestreiten soll. In solchen Fällen kann der Weiße Ring unbürokratisch mit bis zu 250 Euro helfen. Auch größere finanzielle Hilfen sind möglich und manchmal dringend nötig - etwa für einige Tage Urlaub im Inland, um Abstand von der belastenden Situation zu bekommen. Frank nennt auch das Beispiel von Kindesmissbrauch durch einen Nachbarn: "Wenn in einem solchen Fall ein Umzug dringend erforderlich ist, unterstützen wir finanziell."

Im vergangenen Jahr gewährte der Weiße Ring Fürstenfeldbruck 3781 Euro. Er selbst finanziert sich durch Spenden und Mitgliedsbeiträge. Staatliche Hilfen werden nicht in Anspruch genommen, nicht zuletzt wegen der Antrags- und Begründungspflichten. "Die Bürokratie frisst leider viel Zeit", so Hofmann. Eine weitere Belastung für die ehrenamtlichen Mitarbeiter, die große Teile ihrer Freizeit in die Betreuung Betroffener und Fortbildungen investieren. "Viele Menschen rufen an und suchen Rat, denen ist oft in einem Gespräch zu helfen", berichtet Frank.

Andere Fälle ziehen sich über Jahre hin, bis es zur Gerichtsverhandlung kommt. Dementsprechend hält Hofmann die Zahlen der Statistik für nicht sehr aussagekräftig: "Hinter jeder Zahl stehen die verschiedensten Schicksale." Im Schnitt rufe jeden Tag jemand in der Brucker Außenstelle an. Die Mitarbeiter in den Außenstellen meistern eine schwierige Aufgabe: es geht darum, zuzuhören und Empathie zu zeigen, gleichzeitig die richtigen Maßnahmen zu ergreifen und sich selbst emotional nicht in die Einzelschicksale zu involvieren. Für Hofmann und Frank als erfahrene Polizeibeamte ein Teil ihres Alltags, zusätzlich bietet der Weiße Ring seinen Mitarbeitern regelmäßig Schulungen zu verschiedenen Einsatzfeldern an.

Aktuell liegt das Augenmerk auf dem Thema Stalking. "Die Täter stammen meist aus dem Umfeld des Opfers", erklärt Frank. Gerade bei Stalking sind die Grenzen zwischen legalem und strafrechtlich verfolgbarem Verhalten oft fließend. "Für das Opfer ist es eine Zumutung, wenn der Täter jeden Abend vor dem Haus steht", erklärt Frank. Doch bei einem solchen Fall ist es oft schwer nachzuweisen, dass es sich um ein strafbares Verhalten handelt. Für die Opfer ist die Situation psychisch belastend, bis hin zu Arbeitsunfähigkeit und Selbstmordgedanken. "Wenn man sich gestalkt fühlt, ist es gut, bei uns nach Hilfe zu fragen", betont Frank. Die Mitarbeiter informieren über die rechtlichen Möglichkeiten, wie beispielsweise die Erwirkung eines Kontaktverbots beim Amtsgericht, und begleiten die Person auf Wunsch zum Anwalt. "Wenn die finanzielle Situation dem Anwaltsbesuch im Wege steht, haben wir Beratungsgutscheine", erklärt Hofmann. Mit dem Gutschein wird die Erstberatung bei einem Anwalt über die Zentrale in Mainz abgerechnet und der Anwalt hat die Möglichkeit, eine Prozesskostenbeihilfe zu prüfen.

Während Frauen meist wegen Gewalt oder Stalking Hilfe suchen, sind Männer vor allem von Prügeleien und Überfällen betroffen. "Hier haben wir oft das Problem, dass Krankenkassen eine Behandlung bei Gewalttaten nicht übernehmen", berichtet Hofmann. In einem solchen Fall kann der Weiße Ring beim Antrag nach dem Opferentschädigungsgesetz helfen und die psychische Verarbeitung des Erlebten mit Gesprächen unterstützen. "Wir sind allerdings keine Psychologen", betont sie. Bei schweren psychischen Folgen verweist der Weiße Ring auf Psychologen. Ähnlich wie häusliche Gewalt kann auch eine Prügelei finanzielle Folgen nach sich ziehen: "Wir hatten einen jungen Mann, der nach einer Schlägerei lange in Behandlung war", erzählt Hofmann. Der Selbständige konnte mehrere Monate nicht arbeiten und war nicht mehr in der Lage, seine Miete zu zahlen. Hier sprang der Weiße Ring ein und übernahm die Zahlung für einen Monat. Auf den ersten Blick eine einfache Geste, doch für den jungen Mann die Chance, sein Leben ohne die drohende Obdachlosigkeit neu zu ordnen.

Helfen, wenn kein anderer hilft, ein offenes Ohr haben, wenn niemand da ist, um über das Erlebte zu sprechen: Mehr braucht es oft nicht, um denen zu helfen, die unverschuldet Opfer von Kriminalität wurden. Die Frau, die Klaus Frank zu ihrer Aussage vor Gericht begleitet, hat auf dem Heimweg wieder Tränen in den Augen. Dieses Mal allerdings aus Dankbarkeit darüber, dass Klaus Frank einfach nur da ist.

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