Fürstenfeldbruck:Grün-schwarzer Flirt, rote Standpauke

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Beate Walter-Rosenheimer macht auf der Wahlparty im Landratsamt der CDU/CSU Avancen und erntet dafür prompt Widerspruch von der Grünen Jugend. Michael Schrodi rechnet derweil mit seiner SPD ab

Von Stefan Salger, Fürstenfeldbruck

Es ist ein Tag der Kontraste. Aber auch ein Tag bleierner Ungewissheit, an dem zwar die Weichen für die Zukunft gestellt werden, niemand sich aber so recht zu sagen traut, wie diese Zukunft aussehen könnte. Gegen 20 Uhr wird eine Siegerin strahlen über ihren Erfolg - bevor ihr das Lächeln buchstäblich gefriert, als sie auf die Schattenseiten des Wahltags zu sprechen kommt. Ihr Konkurrent wird sich in Fatalismus üben und mit der eigenen Partei abrechnen.

Glaubt man an himmlische Signale, passt das Ambiente am Sonntagabend. Im Westen nähert sich eine strahlende Sonne dem Horizont, über der Stadt aber hängen graue Regenwolken. Ein paar Gäste sitzen in den Cafés, ein Pärchen in Tracht schlendert, mit Eiswaffeln in den Händen Richtung Rathaus. Ansonsten: Stille. Um kurz vor 18 Uhr, noch vor Schließung der Wahllokale, verfolgen ein paar Gäste im Foyer des Landratsamts die Prognosen. Auf den Bistrotischchen liegen schwarz-rot-goldene Servietten, darauf Salzstangen. Später werden sich an die 150 Menschen im Foyer drängen, darunter viele Vertreter der Parteien - die Direktkandidaten von AfD und Die Linke lassen sich allerdings nicht blicken. Zunächst verlieren sich noch sieben Gäste vor dem Fernseher und hören AfD-Chef Alexander Gauland sagen: "Wir werden Merkel jagen." Ein Mann im Trachtenjanker schüttelt den Kopf: "Ganz schlimm, dieses braune Gesockse." David, 8, Helena, 5 und der vier Monate alte Levi schütteln nicht den Kopf, sind aber augenscheinlich bei der Sache. Sie sind gemeinsam mit ihren Eltern Melanie und Daniel Dinkel zu ihrer ersten Wahlparty gekommen. Interessant, wie so was abläuft, findet Melanie Dinkel. Die Kinder waren sofort einverstanden mit der Abendgestaltung. David hatte sich bereits bei der Kommunalwahl vor drei Jahren für die Politiker interessiert, die ihm da von den Wahlplakaten mal ernst, mal optimistisch entgegenblickten. Die Eltern haben sich diesmal besonders lange den Kopf zerbrochen, wem sie die Erst- und wem die Zweitstimme geben sollten. Vor allem Familienpolitik und Umweltschutz spielten eine große Rolle. Schon um kurz nach 18 Uhr zeichnet sich ab, dass die AfD sehr erfolgreich abschneiden wird. "Das macht mir schon Angst", räumt Melanie Dinkel ein, "damit muss Deutschland jetzt umgehen."

Betretene Gesichter bei der SPD: Peter Falk, Philipp Heimerl und Michael Schrodi (von links). (Foto: Günther Reger)

Der Brucker FDP-Stadtrat Klaus Wollenberg ist einer der wenigen an diesem Tag, der solche Ängste für unbegründet hält. Schon wahr, natürlich genießt er den Höhenflug seiner Liberalen, die bei der letzten Wahl grandios gescheitert waren und diesmal den ersten Prognosen zufolge sogar die Grünen überholen. Wollenberg steht im blauen Pullover neben dem ebenfalls sehr leger gekleideten Brucker Oberbürgermeister Erich Raff und sieht das mit der AfD ziemlich nüchtern und unaufgeregt. Deren Erfolg sei eine Quittung für die Arbeit der großen Koalition und dafür, dass es fast keine nennenswerte Opposition mehr gegeben habe. Un nun? "Das halten wir aus", sagt Wollenberg und gratuliert erst mal dem FDP-Direktkandidaten Andreas Schwarzer zum tollen Wahlkampf. Schwarzer ist zwar eigentlich ziemlich sauer, dass die FDP ihn auf einen aussichtslosen Listenplatz gesetzt hat, aber irgendwie überwiegt mittlerweile doch die Freude über den Erfolg der Liberalen. In den kommenden zwei oder drei Wochen werde er sich entscheiden, ob der den Hut als Landtagskandidat in den Ring wirft. Wollenberg wird ihm da aller Voraussicht nach nicht Konkurrenz machen: "Wir haben genügend gute Kandidaten". Er selbst hofft eher, dass die FDP weiter auf der Erfolgswelle reitet und er bei den nächsten Stadtratswahlen nicht mehr Einzelkämpfer ist, sondern dann ein oder zwei liberale Mitstreiter zur Seite gestellt bekommt. Ginge es nach Schwarzer, dann könnte bei den nächsten Wahlen in Bayern die FDP im Bund schon in der Regierung sitzen. Die Jamaika-Koalition lässt grüßen, mögen sich die Verhandlungen dafür "auch bis Weihnachten hinziehen". Macht nichts. "Es gibt gar nicht so wenig Berührungspunkte zwischen FDP und Grünen", sinniert Schwarzer. Und die Grünen hätten ja auch in der rot-grünen Koalition durchaus Flexibilität bewiesen. Gleichwohl steht Schwarzer erst mal mit den Roten am Bistrotisch und unterhält sich angeregt mit Puchheims Bürgermeister Norbert Seidl, mit dem SPD-Landtagsabgeordneten Herbert Kränzlein und Peter Falk, der 2009 vergeblich für die Bundestagswahl kandidiert hatte.

Keine zehn Meter weiter kommt um kurz nach sieben Beate Walter-Rosenheimer etwas atemlos durch die von zwei Sicherheitsleuten flankierte Drehtür. Eigentlich hatte sie um 18 Uhr, von ihren Kindern begleitet, zunächst das Dachauer Landratsamt und dann erst das Brucker Pendant besuchen wollen. Die Rechnung hatte sie ohne ihren 15 Jahre alten "Karren" gemacht. Irgendwann brachte ein freundlicher gelber Engel vom ADAC die Sache dann doch ins Rollen. Dachau lässt die Bundestagsabgeordnete der Grünen deshalb erst mal aus. Mit dem Grünen-Ergebnis auf Bundesebene ist sie recht zufrieden, auch wenn es, wie sich längst abzeichnet, nicht so wie erhofft zweistellig werden wird. Was aber tun, hat doch die SPD gerade eine weitere große Koalition ausgeschlossen? Die Grünen also in die Regierung? "Wir reden mit allen, außer der AfD", sagt die 52-jährige Germeringerin", "wir müssten es eigentlich schaffen". Da gibt es gleich mal Widerspruch von Gina Merkl, der Kreissprecherin der Grünen Jugend. Mit Seehofer in der Regierung? "Das lassen wir mal lieber." Spätestens im Oktober würde die Basis solche Pläne kassieren, davon ist sie überzeugt. "Dann lieber Opposition."

Gekommen ist auch die Familie Dinkel aus Bruck - für die Kinder ist es die erste Wahlparty. (Foto: Günther Reger)

Michael Schrodi könnte sich mit der Opposition wohl abfinden, aber um kurz nach sieben sieht es schlecht aus. Rein rechnerisch gebe es noch eine Chance, über die Liste in den Bundestag zu kommen, sagt Falk. Endgültig werde man das wegen der komplizierten Berechnung wohl erst am nächsten Tag wissen. Schrodi hat da mit Blick auf den recht mickrigen roten Balken in den Hochrechnungen wenig Hoffnung. Ähnlich sieht es Philipp Heimerl. Der als SPD-Shootingstar gehandelte 28-Jährige hatte bei den diesjährigen Brucker OB-Wahlen das Los vieler anderer Sozialdemokraten geteilt. Er war gescheitert. "Ich geh' jetzt mal eine rauchen, ich glaube nicht, dass ich viel verpasse." Schrodi zeigt sich derweil unbeirrt - "so was wirft mich nicht um." Ungeschönt spricht er von einer "existenziellen Krise" seiner Partei und geißelt "das Rumgeeiere in großen Koalitionen". Die SPD müsse endlich wieder "für eine Politik der klaren Positionen stehen" und sich deutlich von der Agendapolitik distanzieren - sonst werde es gewiss nichts mit einem Comeback.

Es ist halb acht, als die Hochrechnungen Fahrt aufnehmen. Jesenwang grüßt mit einem mächtigen schwarzen Balken. 54 Prozent für Katrin Staffler. Es gibt verhaltenen Applaus. Der wird deutlicher, als die 35-jährige Türkenfelderin, aus Dachau kommend, eintrifft. Sie spricht von einem schönen Tag und einem Erfolg, den sie noch gar nicht so recht fassen könne und der nur vom Erfolg der AfD getrübt werde. Bedarf für einen Rechtsruck der CSU sieht sie nicht - und warnt "vor Schnellschüssen". Es gibt Glückwünsche vom Landtagsabgeordneten Reinhold Bocklet und Umarmungen von Landrat Thomas Karmasin, seiner Stellvertreterin Martina Drechsler und vom Brucker CSU-Chef Andreas Lohde.

Im Foyer des Landratsamtes werden die Wahlergebnisse mit Spannung erwartet. (Foto: Günther Reger)

The Winner takes it all. Irgendwo steht ÖDP-Direktkandidat Jürgen Loos und ärgert sich. Erst als er interveniert, werden auch die "weiteren Kandidaten" einzeln namentlich eingeblendet. Etwas mehr als ein Prozent. "Mit 1,5 Prozent wäre ich zufrieden gewesen." Komplett auf sich allein gestellt im Wahlkampf war der parteilose Hansjörg Tschan. Über 0,5 Prozent kommt er nicht hinaus. Und das nach einem Wahlkampf seit Juli, der ein Kraftakt war. 50 Plakate aufstellen. Flyer verteilen. Reden. Teure Inserate in Anzeigenblättern schalten, die am Ende wirkungslos verpuffen. Ein paar Lichtblicke gab es dennoch: "In Sulzemoos im Landkreis Dachau habe ich mich mit neun Leuten unterhalten. Und da haben mich dann auch neun Leute gewählt. Auch das ist ja so etwas wie ein Erfolg. Tschan verbucht den Wahlkampf 2017 als "super Erfahrung". Aber noch mal antreten? Lieber nicht. Wahlparty? Naja.

© SZ vom 25.09.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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