Süddeutsche Zeitung

Fürstenfeldbruck/Gröbenzell:Gegen Vergessen und Fremdenhass

Hunderte Bürger beteiligen sich am Gedenken zum 75. Jahrestag der Befreiung des KZ Auschwitz. Schüler lesen aus Briefen und Gedichten von Opfern des Faschismus

Von Peter Bierl, Fürstenfeldbruck/Gröbenzell

Mehr als 200 Menschen haben am Montag an den Mahnmalen in Bruck und Gröbenzell der Opfer des Nationalsozialismus gedacht. Dabei trugen Schüler Gedichte und Briefe von KZ-Gefangenen sowie von Lion Feuchtwanger vor und musizierten. Nach jüdischem Brauch legten die Teilnehmer in Bruck Steine auf den Sockel des Todesmarsch-Mahnmals. In Gröbenzell rief Bürgermeister Martin Schäfer (UWG) dazu auf, "keinen weiteren Rechtsruck zuzulassen". Das Gedenken richte sich nicht nur gegen das Vergessen der Vergangenheit, sondern gegen "neuen Fremdenhass".

Vor 75 Jahren, am 27. Januar 1945, befreite die Rote Armee die letzten überlebenden Gefangenen des KZ Auschwitz nach heftigen Kämpfen gegen die Wehrmacht. Seit 1996 ist dieses Datum ein Gedenktag in der Bundesrepublik. In Bruck veranstaltet der Arbeitskreis Mahnmal deshalb Gedenkminuten am Todesmarsch-Mahnmal an der Augsburger Straße. Von der Realschule Puchheim sangen Schülerinnen der Musikklassen 5e und 6e sowie als Solistin Naures Sliti unter Leitung von Günter Hartmann das Gospelstück "Little light of mine" und "Heal the world" von Michael Jackson. "Macht aus der Welt einen besseren Ort für die Menschheit", heißt es in dem Stück des amerikanischen Sängers.

Sliti, Paula Seeliger und Nils Herrmann hatten außerdem zwei Gedichte aus dem Buch "Mein Schatten in Dachau" ausgewählt, das Gedichte und Biografien von Menschen enthält, die zwischen 1933 und 1945 im KZ Dachau eingesperrt waren. Dorothea Heiser vom Internationalen Dachau-Komitee hatte die Stücke zusammengestellt. Sie handeln vom Leid der Opfer, von gemarterten Körpern, von Verzweifelten, die der Qual durch den Tod entgehen wollen. Das zweite Gedicht berichtet von einem Kapo, einem Aufseher, der strotzend vor Lebenskraft, wohlgenährt und obszön, seinem Geschäft als Kollaborateur nachgeht und Häftlinge quält. "Wir haben diese Stücke ausgewählt, weil sie einen Eindruck vermitteln, wie es war", erklärten Seeliger und Sliti. "Sie sind bewegend", meinte Herrmann, der Schülersprecher der Realschule Puchheim.

Julia Zieglmeier vom Arbeitskreis Mahnmal hatte die Gedenkveranstaltung eröffnet. Im vergangenen Jahr hatte sie sich gegen die Ausgrenzung von Migranten und Flüchtlingen und die Verharmlosung der deutschen Verbrechen als "Vogelschiss" gewandt. Dieses Mal begann Zieglmeier damit, dass sie anwesende Politiker namentlich begrüßte sowie die Angehörigen der Offizierschule der Luftwaffe. Anschließend verwies sie auf den Juristen Fritz Bauer, einen sozialdemokratischen Antifaschisten, auf dessen Einsatz die sogenannten Auschwitz-Prozesse gegen Angehörige der Wachmannschaften ab 1963 zurückgingen. Der hessische Generalstaatsanwalt durchbrach damit den Unwillen der deutschen Justiz, solche Verbrechen zu ahnden. Im Ausland waren faschistische Täter bereits seit Kriegsende vor Gericht gestellt und verurteilt worden. Viele konnten sich allerdings der gerechten Strafe entziehen und in der Bundesrepublik ihrer Karriere fortsetzen oder die Rente genießen. Bereits 1961 wurde Adolf Eichmann, einer der Hauptorganisatoren der Shoah, in Jerusalem der Prozess gemacht. Zieglmeier erinnerte außerdem an die KZ-Außenlager bei Landsberg und Kaufering, in denen jüdische Häftlinge für die Flugzeugproduktion etwa von Messerschmitt Bunker bauen mussten und dabei zu Tausenden starben. Im April 1945 wurden die Überlebenden in Todesmärschen quer durch den Landkreis Fürstenfeldbruck getrieben. Das Mahnmal stammt von dem Künstler Hubertus von Pilgrim und wurde 1994 aufgestellt.

In Gröbenzell legte Bürgermeister Schäfer am Nachmittag einen Kranz am Mahnmal für die Opfer der NS-Herrschaft vor der Post nieder. Mit Blick auf die Kommunalwahlen im März warnte er vor rechten Tendenzen. Bei dem Gedenken vor einem Jahr habe er sich gegen Ausländerfeindlichkeit gewandt, erinnerte Schäfer, aber die Situation sei "nicht besser geworden".

Die drei Schülersprecher des Gymnasiums Gröbenzell, Adrian Heckenberger, Lucia Loibl und Rosa Meyer, trugen Auszüge aus Briefen des Schriftstellers Lion Feuchtwanger sowie von Solms Heymann und von Emilie Schloß aus Kissingen vor. Feuchtwanger hatte sich aus dem Exil an den neuen Eigentümer seines Hauses gewandt, das die Nationalsozialisten ihm gestohlen hatten. Er fragte ironisch, ob der schöne Teppich unter den Stiefeln der SA gelitten habe. Der damals 84 Jahre alte Kaufmann Heymann bat für sich und seine Frau um Aufschub vor der Deportation. Schloß war die einzige Überlebende der jüdischen Gemeinde des Ortes. Sie wurde nicht vom KZ Theresienstadt in die Vernichtungslager gebracht, weil man vergessen hatte, ihr eine Nummer zu geben.

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SZ vom 28.01.2020
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