Süddeutsche Zeitung

Fürstenfeldbruck/Grafrath:Immer flussabwärts

Bootstouren auf der Amper sind beliebt. Doch über die meist gemächlichen Abschnitte darf man die Gefahren durch Stromschnellen nicht aus dem Auge verlieren. Gute Ausrüstung und kundige Führer sollten deshalb mit an Bord sein

Von Stefan Salger, Fürstenfeldbruck/Grafrath

Dutzende Menschen in roten Booten, mit leuchtend hellroten Schwimmwesten, roten Paddeln und roten Helmen. Eine Expedition? Aber das wären schon sehr junge Nachwuchswissenschaftler. Also eher die Jugendorganisation der SPD, die mal so richtig baden geht? Natürlich auch nicht! Die Besatzungen der drei großen Schlauchboote, die da an jenem schönen Sommertag in Grafrath kurz vor der Amperbrücke angelegt haben, sind in parteiübergreifender Mission unterwegs und nur dem gemeinsamen Team-Erlebnis verpflichtet: Begleitet werden die Kinder bei diesem Kurs des Ferienprogramms von Betreuern der Wasserwacht. Grafrath, das muss man wissen, ist so etwas wie das Mekka der Schlauchbootfahrer. Viele vertrauen sich dort an der ausgewiesenen Anlegestelle den Wellen der Amper an, um sich dem Zielhafen Fürstenfeldbruck entgegentreiben zu lassen.

Es herrschen beste Bedingungen: Sonnenschein und vor allem ein Fluss, der kein Hochwasser führt und an der Stelle nahe der Wallfahrtskirche Sankt Rasso genau 1,50 Meter tief ist. Denn bei Hochwasser ist auch die ansonsten lammfromme Amper tabu. Die Entourage ist professionell ausgerüstet und hat kundige Kapitäne an Bord. Sie ist bereits am Morgen bei Stegen am Ammersee in See gestochen. Dann kommt aber auch gleich das erste Hindernis, das der ganzen Sache einen gewissen Expeditionscharakter verleiht: Ein Baum liegt quer. Jetzt sind die Steuermänner gefragt, die in diesem Fall aber keineswegs erhaben an einem Steuerrad stehen. Ihre Schlüsselqualifikation ist eine kräftige Stimme. Gelenkt werden die Schlauchboote lediglich mit einem längeren Ruder am Heck und zudem durch den jeweils synchronen Rudereinsatz auf beiden Seiten. Backbord und steuerbord heißen die im Seemannsfachjargon. Den Baumstamm bei Stegen umschiffen die Boote gekonnt. Und um kurz nach 13 Uhr erreichen sie Grafrath, wo auf dem Grill die Mittagsverpflegung liegt.

Dort heftet sich der Reporter mit einem eher familientauglichen Dreisitzer-Kanu an die Fersen der roten Armada. Bis Schöngeising läuft alles ziemlich glatt, ein paar Mal geraten die Schlauchboote unter überhängende Zweige und die Ruderer müssen die Köpfe einziehen. Auch auf diesem Streckenabschnitt gibt es "eine ordentliche Strömung", so ein Freizeitkapitän, der in einem der Boote den Ton angibt. Einige Passagen sind aber auch so flach, dass die Boote von den Kieselsteinen auf dem Grund gebremst werden. Es geht vorbei an einem von Schilf, Bäumen, Büschen und Privatstegen gesäumten Ufer. Irgendwann taucht an Steuerbord ein kleines Zeltlager auf. "Werdet ihr heute noch kentern?", ruft ein Dreikäsehoch herüber. Nix da. Wir gehen lieber freiwillig baden. Die Kinder auf den drei Booten erledigen diese sommerliche Pflichtaufgabe unterwegs in Bereichen mit wenig Strömung, wir aber wählen hierfür die Badestelle in Schöngeising. Betontreppen und ein Geländer führen dort von einer Liegewiese nebst Kiosk in den Fluss.

Etwas weiter flussaufwärts musste das Boot vor dem Erreichen des Schöngeisinger Wasserkraftwerks, das 1891 nach den Plänen von Oskar von Miller errichtet worden ist, zunächst aber noch ein paar Meter über eine schmale Landzunge getragen und wieder ins Wasser eingesetzt werden. Auf einem Feldweg zu Fuß "umschifft" werden muss auch eine Staustufe kurz hinter Schöngeising.

Durch die üppige Vegetation der Amper-aue geht es weiter. Von Grafrath aus nach insgesamt knapp sechs Stunden erreicht man eine Wiese in der Buchenau, die als Hafen dienen kann. Wir aber lassen uns noch ein Stückchen weiter treiben, ziehen unter der Brücke hinter dem Amperstausee die Köpfe ein und legen schließlich an der eigens dafür vorgesehenen Stelle vor der Heubrücke und damit nahe dem Parkplatz des Familienbads Amperoase am linken Ufer an.

Bei Hochwasser tabu

Die Amper ist auf weiten Strecken für das Befahren mit Kajak, Kanu oder stabilem Rafting-Schlauchboot geeignet - nicht aber mit Badeinseln oder kaum steuerbaren Billigschlauchbooten aus dem Supermarkt. Nicht nur die Stromschnellen sollte man buchstäblich umgehen, sondern sich auch vor tückischen Unterströmungen in den bewachsenen Uferbereichen in Acht nehmen - vor allem bei Hochwasser sei es besser, auf eine Tour lieber ganz zu verzichten, so Jakob Winterstein, der technische Leiter der Wasserwacht Grafrath. Denn immer wieder kommt es zu Unfällen wie jenen im August 2020, als der Pegelstand der Amper nach ergiebigen Regenfällen deutlich über dem normalen Niveau lag: Bei Schöngeising fiel eine Jugendliche aus einem Schlauchboot. Und etwas weiter, an der Sohlschwelle, kenterte ein weiteres Schlauchboot. Verletzt wurde dabei niemand. Viel schlimmer erwischte es eine junge Frau, die auf einem Stand-up-Paddleboard unterwegs war. Die 18-Jährige, die mit einer Leine mit dem Board verbunden war, wurde nahe der Sohlschwelle bei Grafrath unter Wasser gedrückt und buchstäblich in letzter Sekunde gerettet und reanimiert. Die Polizei warnt eindringlich davor, die Gefahren zu unterschätzen. Manchmal sinkt die Hemmschwelle auch noch durch den Genuss von Alkohol. Gänzlich tabu ist die Amper für Bootsfahrer jedes Jahr in der Schonzeit vom 1. März bis einschließlich 15. Juli in den beiden Naturschutzgebieten "Ampermoos" und "Amperauen mit Leitenwäldern" zwischen Fürstenfeldbruck und Schöngeising. Das bedeutet, dass von Eching/Stegen bis Grafrath und von Schöngeising bis zum Stausee in Fürstenfeldbruck die Amper für Boot oder Floß gesperrt ist. slg

Wem so eine Tour auf eigene Faust zu abenteuerlich ist oder es an einem tauglichen Boot, ausreichend Erfahrung oder den obligatorischen Schwimmwesten fehlt, der kann auch bei Anbietern wie den in München ansässigen "Waldmeistern" buchen - und erfährt von den routinierten Bootsmännern und -frauen dabei viel über den Fluss sowie die Flora und Fauna. Auch diese erfahrenen Seebären sind vor Überraschungen freilich nicht ganz gefeit: Ihre wohl exotischsten Fahrgäste auf einer Kanutour war vor einigen Jahren die mosambikanische Fußballnationalmannschaft. "Die Jungs waren sehr lustig, haben aber kein Wort Deutsch oder Englisch gesprochen. Sie konnten auch nicht schwimmen und paddeln", erzählt Sabine Schmithäuser. Für das Team sei es "sehr anstrengend, aber auch lustig" gewesen. Die Waldmeister-Leiterin empfiehlt übrigens Paaren so eine Bootstour, die sich noch nicht ganz im Klaren darüber sind, ob sie in den Hafen der Ehe einlaufen wollen: "Wenn man zusammen paddeln kann, dann passt man auch zusammen."

Der Pegelstand der Amper bei Grafrath lag am Sonntagnachmittag nahezu unverändert bei 148 Zentimetern und damit noch sehr weit entfernt von historischen Höchstmarken (24. Mai 1999: 378 Zentimeter; 12. Juni 1965: 346 Zentimeter; 5. Juni 2013: 264 Zentimeter).

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Quelle:
SZ vom 19.07.2021
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