Zweiter Weltkrieg:Wie es Zwangsarbeitern in Fürstenfeldbruck erging

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Immer wieder flüchteten Zwangsarbeiter und die Deutschen veranstalteten regelrechte Treibjagden auch im Landkreis. Zu Fahndungszwecken ließ der Leiter der Papierfabrik in Olching Gruppenfotos der Kriegsgefangenen anfertigen. (Foto: Archiv Klaus Wollenberg)

Ein Historiker hat dazu Unterlagen ausgewertet. Die Arbeitssklaven wurden im Zweiten Weltkrieg schon für geringe Vergehen hart bestraft.

Von Peter Bierl, Fürstenfeldbruck

Tausende von Zwangsarbeitern wurden während des Zweiten Weltkriegs in den Betrieben und auf Bauernhöfen im Landkreis eingesetzt, einige waren fast noch Kinder. Manche Bauern und Unternehmer behandelten sie einigermaßen gut und liefen Gefahr, von Nachbarn denunziert und bestraft zu werden. Aber die meisten Zwangsarbeiter traf ein hartes Los. Ihr Schicksal ist anhand von Akten von Polizei, Arbeitsamt und Kreisbehörden sowie einer Aufstellung der amerikanischen Militärregierung einigermaßen gut nachzuvollziehen. Erhalten geblieben ist insbesondere eine Sammlung von Karteikarten mit persönlichen Angaben und Fotos, so dass sich die schiere Zahl in Einzelschicksale auflösen lässt und die Opfer Namen und Gesichter bekommen.

Der Brucker Wirtschaftshistoriker Klaus Wollenberg hat die Unterlagen recherchiert und ausgewertet und die Ergebnisse unlängst bei einer Veranstaltung des Museums Fürstenfeldbruck vorgestellt, die im Rahmen der Ausstellung über die Geschichte der Polizeischule während der NS-Herrschaft stattfand. Für ihn besonders bedrückend seien die Fälle von Jugendlichen und Kindern gewesen, die geschlagen wurden, sagte Wollenberg.

Erhängt

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(Foto: Staatsarchiv München)

Der 23-jährige katholische Bauer Franiszek Glisserjinski aus Zentralpolen war seit November 1939 bei einem Bauern in Ramertshofen als Landarbeiter beschäftigt. Er wurde am 10. Februar 1944 auf Veranlassung der Gestapo und der NSDAP-Kreisleitung im Pfaffenholz bei Malching erhängt. Ein SS-Mann zwang zwei KZ-Häftlinge dazu, die Tat auszuführen. Dabei soll beim ersten Versuch das Seil gerissen sein. Glisserjinski wurden vorgeworfen, mehrere Einbrüche begangen zu haben und aus dem Gefängnis Stadelheim geflohen zu sein. Die Polizei trieb männliche polnische Zwangsarbeiter aus den umliegenden Gemeinden zusammen, die bei dem Mord zuschauen mussten, "um sich ein abschreckendes Beispiel zu nehmen", wie es in dem Gendarmeriebericht heißt.

Ins Straflager

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(Foto: Staatsarchiv München)

Die 17-jährige Maria Ljepenj aus Sahpilki bei Minsk in Weißrußland war ab Anfang August 1942 auf einem Hof in Längenmoos als Landarbeiterin eingesetzt. Nach eineinhalb Jahren, im Frühjahr 1944, beschwerte sich die Bäuerin darüber, dass die Polin immer schlechter arbeite, aufsässig sei und Vieh mit einer Heugabel gestochen habe. Die Nachricht von einem Luftangriff auf Augsburg habe sie mit schadenfrohem Lachen quittiert. "Zuzutrauen wäre dieser zuletzt jede Straftat", soll die Bäuerin geäußert haben. Die Polizei ermahnte die junge Frau und drohte sogar, sie ins Konzentrationslager zu stecken. "Dachau scheiß ich an", soll die Frau geantwortet haben. Sie wurde der Gestapo übergeben und angeblich in ein Straflager gesteckt. Ihr weiteres Schicksal ist unbekannt.

Unterernährt

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(Foto: Staatsarchiv München)

Jan Koranetz stammte aus Zabierzow bei Krakau. Er war 16 Jahre alt, als er im April 1941 mit einem Transport in München ankam. Er wurde einem Hof in Dünzelbach zugewiesen. Die Witwe des Bauern entließ ihn nach etwas mehr als einem Jahr im Juni 1942 wieder, weil "seine Arbeitsleistung nicht mehr befriedigte". Er wurde von einem Vertrauensarzt des Arbeitsamtes untersucht, der feststellte, dass der Junge "wegen Unterernährung" und allgemeiner Körperschwäche nicht mehr tauglich für die Arbeit sei. Um Kosten für die Sozialversicherung und die Arbeitseinsatzverwaltung zu sparen, solle man ihn deshalb zurück nach Hause nach Polen schicken. Man solle ihm eine Fahrkarte nach Krakau bezahlen und die Kosten der Witwe in Rechnung stellen, empfahl der Arzt.

Tobias Weger hat 1998 als erster eine Studie über Zwangsarbeiter in Olching publiziert. Wollenberg hielt damals, als bundesweit über eine Entschädigung der Überlebenden diskutiert wurde, erste Vorträge zum Thema. Weiteres Material tauchte in Entnazifizierungsakten auf. Kurt Lehnstaedt berichtet in einer Studie über die NS-Zeit in Gröbenzell, wie der Chef einer Plattenfirma seine Arbeiter gedemütigt, geschlagen und ausgepeitscht hat.

Im Lauf der Jahre hat Wollenberg nicht nur weiteres Material gesammelt, sondern in seinem aktuellen Beitrag erstmals die wirtschaftliche Bedeutung des sogenannten Fremdarbeitereinsatzes herausgearbeitet. Sein Ausgangspunkt ist die Situation in den 1920er-Jahre, als es um die Landwirtschaft in der Region schlecht stand. Es mangelte an Arbeitskräften, längst hatte die Landflucht eingesetzt. Daran änderte selbst die Weltwirtschaftskrise von 1929 nichts. In den Städten herrschte Massenerwerbslosigkeit, aber zurück aufs Land wollte kaum einer, weil die Arbeit hart und der Verdienst bescheiden war. Selbst die NS-Diktatur änderte daran wenig. Wollenberg zitierte einschlägige Anordnungen, die wohl wenig fruchteten, darunter die Weisung an Unternehmer, Arbeiter zu entlassen, die vorher auf Bauernhöfen beschäftigt waren.

Der deutsche Eroberungskrieg verschärfte den Mangel. Im Mai 1940 klagte Landrat Karl Sepp, er habe 2000 polnische Arbeitskräfte beantragt, aber nur 264 zugeteilt bekommen. Außer Polen wurden anfangs vor allem französische Kriegsgefangene eingesetzt. Nach dem deutschen Überfall auf die Sowjetunion im Sommer 1941 folgten deren Staatsangehörige. Insgesamt wurden mehr als 6200 Zwangsarbeiter im Landkreis eingesetzt, die meisten stammten aus Frankreich, Polen und der Sowjetunion. Deutlich mehr als die Hälfte der Zwangsarbeiter waren in Gewerbebetrieben untergebracht, die demnach überproportional profitierten.

In der Land- und Forstwirtschaft in Fürstenfeldbruck waren vor Kriegsbeginn 1939 mehr als 9200 Einheimische beschäftigt, in Handel, Handwerk, Industrie und Behörden zusammen knapp 8000 Personen. Berücksichtigt man, dass nicht alle Zwangsarbeiter die ganzen Kriegsjahre im Landkreis im Einsatz waren, während ein Teil der deutschen Arbeitskräfte zur Wehrmacht einrückte, machten die Zwangsarbeiter vermutlich zwischen zehn und zwanzig Prozent der Beschäftigten aus. Allerdings erfasst die schiere Zahl nicht die Bedeutung, wie Wollenberg betonte.

Auf dem Bau und in der Industrie hätten manche Firmen und in der Landwirtschaft die großen Güter ohne diese Arbeitskräfte dicht machen können. Die Betriebe mit den meisten Zwangsarbeitern im Landkreis waren die Reichsbahn (990 Menschen), die Baufirma Moll in Olching (405), die Holzstofffabrik in Olching (242), das Betonwerk Hebel in Emmering (200), die Baufirma Hoch in Bruck (72), die Hausmüllfabrik von Harbeck in Puchheim (64), die Brauerei Maisach (46) sowie Gut Roggenstein (85), die Lotzbeckschen Gutsverwaltung Weyhern und das Versuchsgut Puch (je 76) sowie die Güter in Geiselbullach (68) und Graßlfing (61).

Der Wirtschaftshistoriker bevorzugte in seinem Vortrag den Begriff Fremdarbeiter, weil dieser in Deutschland seit dem Kaiserreich üblich war und erst in der Bundesrepublik durch die Bezeichnung Gastarbeiter abgelöst wurde, und auch, weil ein Teil der Arbeitskräfte sich tatsächlich zunächst freiwillig meldete. Wobei Freiwilligkeit ein relativer Begriff ist, wenn die Chancen schlecht stehen, anderweitig den Unterhalt zu sichern.

Obendrein wurden alle in Deutschland einem strikten Reglement unterworfen und diskriminiert, so dass man insgesamt durchaus von Zwangsarbeit sprechen kann. Darauf verweisen die fast 1200 Vergehen, die Polizei und Behörden registrierten. Das Verlassen einer Gemeinde ohne Genehmigung (404 Fälle) und Fluchtversuche machen das Gros der Fälle aus. Besonders drastisch bestraft wurden unterstellte oder reale intime Beziehungen zwischen Ausländern und Deutschen. Deutsche Frauen wurden von den Behörden in Merkblättern davor gewarnt, ihre "Ehre" zu verlieren. Eine Bruckerin landete im KZ Dachau wegen "verbotenen Umgangs" mit einem Franzosen, drei Frauen wurden öffentlich gedemütigt, indem man ihnen den Kopf schor.

Das Landratsamt war möglicherweise an zwei Morden beteiligt. Die Vormundschaftsstelle ließ 1943 die Gendarmerie in Egenhofen hartnäckig gegen eine ledige Bauerntochter ermitteln, die ein Kind entbunden hatte. Sie gestand schließlich, dass es sich bei dem Vater um einen Polen handelte. Der Mann wurde, so vermutet Wollenberg, hingerichtet, die Bäuerin ins KZ Ravensbrück gesperrt, wo sie im Mai 1944 an Lungentuberkulose starb.

Ein nicht aufgearbeitetes und möglicherweise dunkles Kapitel sei ein Entbindungsheim für "Ostarbeiterinnen" in Gernlinden unter Leitung der NSDAP, berichtete Wollenberg. Die Nazis vernichteten die Akten, bevor die US-Truppen anrückten. Von einer ähnlichen Einrichtung in Indersdorf wisse man aber, das dort Babys getötet wurden. Insgesamt wurden im Landkreis zehn Zwangsarbeiter ermordet, entweder in Konzentrationslagern, von der Gestapo oder von der Polizei exekutiert oder "auf der Flucht erschossen", zehn weitere Menschen begingen Selbstmord.

© SZ vom 06.07.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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