Süddeutsche Zeitung

Fürstenfeldbruck/Germering:Zwischen Konsens und Konflikt

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Nur zehn Kilometer liegen Fürstenfeldbruck und Germering auseinander. Jenseits der Geografie aber scheinen sie Lichtjahre zu trennen: In der Kreisstadt wird regelmäßig stundenlang debattiert und heftig gestritten, während die Atmosphäre beim Nachbarn fast schon beängstigend harmonisch zu sein scheint

Von Andreas Ostermeier und Stefan Salger, Fürstenfeldbruck/Germering

Hier von Himmel und Hölle zu sprechen, wäre übertrieben. Germering ist ebenso wenig die Insel der Seligen wie Fürstenfeldbruck das Reich des Teufels. Aber die beiden Kreisstädte, in ihrer Größe vergleichbar und mit Stadträten von je 40 Mitgliedern, bieten sich doch an als konträre Beispiele beim Thema Stadtratsarbeit. In Germering scheint es weniger Konflikte zu geben: Entscheidungen im Stadtrat werden offenbar reibungslos getroffen, während im gut zehn Kilometer entfernten Fürstenfeldbruck oft die Fetzen fliegen. Und das, obwohl es in kommunalen Gremien eigentlich keine Opposition gibt und keinen Fraktionszwang. Die Frage, ob im Konsens und ohne viele Debatten gefasste Beschlüsse per se besser sind, wird sich allerdings kaum beantworten lassen. Die SZ blickt auf die Streitkultur und auf das, was die Gremien in ihren Städten in jüngster Zeit bewegt haben.

Fürstenfeldbruck

Die 38 000 Fürstenfeldbrucker - oder "Brucker", wie sie in Bezug auf den früheren Ortsnamen genannt werden - blicken zurück auf eine bewegte Geschichte, die bis in die Zeit der Wittelsbacher zurückreicht. Das Zisterzienserkloster wurde 1263 gegründet. Heute schauen die Brucker gerne etwas von oben herab auf Germering, die "Schlafstadt" im Südosten. Die 41 000 Germeringer mit ihrer Münchner Telefonvorwahl wiederum blicken aus ihrem hochmodernen Sitzungssaal im sechsten Stock auf die Brucker Politiker herunter, die noch in ihrem altbacken wirkenden, mit dunklem Holz getäfelten Sitzungssaal tagen müssen, bis der neue Rathausanbau fertig ist. Das könnte aber noch einige Jahre dauern, obwohl die grundsätzliche Entscheidung für einen Neubau bereits gefallen ist. Da wären wir auch schon bei einem zentralen Punkt: In Fürstenfeldbruck gibt es ebenso viele Baustellen wie Hängepartien. Viele Projekte kommen nicht recht voran. Sie werden in den Fachausschüssen und im Stadtrat wieder und wieder besprochen, abgewogen, verworfen, nachgebessert, wieder verschoben und landen dann nicht selten in der Schublade. Das wohl prominenteste Beispiel ist der Viehmarktplatz.

Dass die dortige Parkplatzwüste in den Untergrund verschwinden soll, ist seit vielen Jahren Konsens. Sonst aber ist nichts gewiss. Im März 2012 wurde per Bürgerentscheid die Bebauung des nördlichen Teils mit einem als zu massiv empfundenen Wohn- und Geschäftshaus abgelehnt. Da lagen hinter den Politikern viele Jahre voller Debatten. CSU, Freie Wähler und SPD hatten sich auf ein Konzept geeinigt, das von den Bürgern sehr deutlich wieder kassiert wurde. Der damalige Oberbürgermeister Sepp Kellerer (CSU) unterstützte das Projekt. Die Weichenstellung hätte so etwas wie die Krönung seiner bis 2014 währenden Amtszeit sein können. Unter seinem Nachfolger Klaus Pleil (BBV), einem der führenden Köpfe des ablehnenden Lagers, folgten Workshops, Bürgerbeteiligungen - und die Idee, auf dem nördlichen Platz eine luftige Markthalle zu errichten. Unter Pleils Nachfolger Erich Raff (CSU) kam die nächste Wende: Zu teuer und wegen unzureichender Verkaufsflächen nicht rentabel, hieß es. Also wurde nachgebessert. Und weil die Stadt tief in den roten Zahlen steckt, wird das Projekt Viehmarktplatz immer weiter Richtung Sankt-Nimmerleinstag verschoben.

Woran aber liegt es, dass sie in Bruck scheinbar nichts auf die Reihe bekommen und nur streiten? Die Hauptverantwortung weisen vor allem Stadträte von SPD, BBV, Grünen und ÖDP gerne Oberbürgermeister Erich Raff (CSU) zu. Der könne es halt nicht, heißt es schon mal. Raff umgibt in der Tat nicht die Aura des fachkundigen Machers und Entscheiders und charismatischen Begeisterers, die seinen Vorgänger Klaus Pleil und teils auch dessen Vorgänger Sepp Kellerer auszeichnete. Er kämpft bis heute mit dem Makel, unter Pleil nur als Kompromisskandidat ins Amt des Zweiten Bürgermeisters gekommen zu sein und dann auf den Chefsessel, weil CSU-Chef Andreas Lohde bei der OB-Wahl nicht selbst gegen Martin Runge antreten wollte. Er habe seine Verwaltung nicht im Griff, übergehe die zuständigen Gremien und schaffe es nicht, Anträge in der vorgeschriebenen Viermonatsfrist in den Ausschüssen sowie im Stadtrat behandeln zu lassen, so die üblichen Vorwürfe. Jüngst wurde im Stadtrat eine Liste mit 181 Anträgen vorgelegt, die in Einzelfällen seit mehr als fünf Jahren auf Bearbeitung oder Umsetzung warten. Ein Höhepunkt der Entfremdung war im Frühjahr 2018 erreicht: Es ging um die Genehmigung für die damalige Asyl-Erstaufnahmestelle am Fliegerhorst. In einer denkwürdigen Sitzung stimmte Raff gegen die Vorlage der eigenen Verwaltung und gegen den kompletten Stadtrat inklusive CSU-Fraktion. Dieser hatte eine von Raff mit dem Innenministerium vereinbarte Regelung abgelehnt. Letztlich führte CSU-Fraktionschef Andreas Lohde die Verhandlungen über Raffs Kopf hinweg zum Erfolg.

Mittlerweile häufen sich Stimmen, die davor warnen, es sich zu leicht zu machen und einfach dem OB den Schwarzen Peter zuzuschieben. Woran es liegt, dass die großen Projekte oft jahrelang in der Warteschleife hängen, kann sich auch Willi Dräxler nicht so recht erklären. Er sei "ratlos". So führte der BBV-Politiker jüngst die schleppende Behandlung und den folgenden Stillstand in vielen Bereichen auf "eine gewisse Haltung hier" zurück. Das heißt wohl, dass man sich auch an die eigene Nase fassen sollte. In eine ähnliche Richtung zielten auch Appelle von Klaus Wollenberg (FDP) und Rolf Eissele (CSU), die eine Rückkehr zur Sacharbeit anmahnten und dabei mitnichten nur den OB meinten. In der Tat fühlt sich Raff mittlerweile nicht mehr ganz so häufig provoziert und vermeidet längere Wortgefechte mit Alexa Zierl (ÖDP), Jan Halbauer und Karin Geißler (beide Grüne) oder Walter Schwarz (SPD) weitgehend. Und er lässt seine Hauptkontrahenten Zierl und Schwarz fast immer ausreden. Die Beiträge der promovierten Ingenieurin Zierl sind meist fundiert. Allerdings kommt es vor, dass sie sich zwei- oder dreimal zu einem Thema meldet. Gäbe es 40 Zierls im Stadtrat, müsste jede Woche eine Stadtratssitzung einberufen werden, ätzt mancher Politiker. So ähnlich sehen es einige Kollegen der politisch nahestehenden BBV-Fraktion, allen voran Zweiter Bürgermeister Christian Götz und BBV-Chef Klaus Quinten. Niemand kann dem OB also vorwerfen, er lasse sie oder ihn trotz aller Animositäten und verbaler Scharmützel nicht ausreden. Und weil es üblich ist, dass sich zu halbwegs bedeutsamen Themen aus jeder Fraktion mindestens ein Vertreter mindestens einmal zu Wort meldet (und sei es nur, um sich gegen persönliche Attacken zu wehren oder zu sagen: "Nur ganz kurz, weil mein Vorredner schon fast alles gesagt hat...), müssen Sitzungen häufig nach der auf drei Stunden festgelegten Höchstdauer abgebrochen und vertagt werden. Der Stau wird dadurch immer größer.

Doch selbst die CSU ist nicht wirklich glücklich über die Amtsführung Raffs. Das wurde deutlich beim Thema SCF. Raff hatte einen Pflegevertrag mit dem Sportverein abgeschlossen und dann eigenmächtig wieder gekündigt, ohne zuvor die obligatorische Zustimmung des Stadtrats einzuholen. Das schlug hohe Wellen, und bis heute erheben vor allem Zierl und Schwarz schwerwiegende Vorwürfe gegen den OB. Sie sehen Klärungsbedarf. Es räche sich eben jetzt, dass Lohde 2017 nicht zur außerplanmäßigen OB-Wahl angetreten sei, heißt es. Lohde kann zwar sehr dünnhäutig sein, hat aber einen guten Draht zu den Vorderen von SPD und BBV - und ist in der CSU nahezu unangefochten.

Gerade in Fürstenfeldbruck benötigt ein Oberbürgermeister nicht nur die entsprechende Autorität, sondern vor allem Qualitäten als Brückenbauer. Denn über eine eigene Hausmacht verfügt nicht einmal mehr ein CSU-Oberbürgermeister. Dies ist einer der Gründe für die bisweilen exzessiven und hitzig geführten, langatmigen und parteipolitisch gefärbten Debatten. 2002 stellte die CSU noch 19 Stadträte. Und weil man gemeinsam mit den drei Freien Wählern einen bürgerlichen Block bilden konnte - teils noch ergänzt um die FDP, konnte man Entscheidungen auch gegen Widerstand einfach durchwinken. 2014 aber errangen die Christsozialen lediglich 14 Mandate und die Freien Wähler zwei. Deutlich zugelegt hat vor allem die Brucker Bürgervereinigung mit einem Sprung von fünf auf elf Sitze - ein Effekt, der dem Bürgerbegehren und der Galionsfigur Klaus Pleil zu verdanken war.

Die Kräfteverhältnisse haben sich also grundlegend geändert. Wenn die beiden Schwergewichte CSU und BBV nicht auf der selben Linie liegen, wird es schwierig. Dann müssen sich wechselnde Mehrheiten mit mindestens drei Partnern zusammenraufen. Bei strittigen Themen kann das langwierig sein. Denn mittlerweile ist der Stadtrat der Kreisstadt ziemlich bunt. Neben CSU und Freien Wählern gibt es FDP, ÖDP, Die Partei, Grüne, BBV und SPD. Wenig spricht dafür, dass sich an dem grundsätzlichen Dilemma des vielstimmigen und bisweilen auf Krawall gebürsteten Stadtrats im März viel ändern wird. Es wird möglicherweise erneut zum Stühlerücken kommen und die Fragmentierung ihren Lauf nehmen: Denn es strebt auch die Linke in den Stadtrat. Durchaus denkbar, dass der frühere SPD-Politiker Axel Lämmle für sie ein Mandat erobert. Er zählt zu den wortgewaltigsten Gegnern des amtierenden Oberbürgermeisters.

Germering

Verglichen mit Bruck geht es den Christsozialen in Germering hervorragend. Sie verfügen mitsamt der Stimme von Oberbürgermeister Andreas Haas über eine absolute Mehrheit im Stadtrat. Doch daran liegt es nicht, dass es in der einwohnerstärksten Kommune im Landkreis weniger politische Hängepartien gibt als in Fürstenfeldbruck. Die CSU-Fraktion ist nämlich nicht der monolithische Block, wie das in anderen Kommunen oftmals immer noch der Fall ist. Im Gegenteil: Bei der momentan größten Auseinandersetzung im kommunalpolitischen Spitzengremium, dem Bau eines Briefzentrums im Gewerbegebiet, stimmten etliche CSU-Stadträte gegen eine Ansiedlung der Deutschen Post und damit gegen die Mehrheit der Fraktion. Gleich zu Anfang der Amtsperiode, im Mai 2014, hat Haas ohnehin betont, dass er den Kompromiss suchen wolle und nicht daran denke, die absolute Mehrheit auszunutzen.

Vielleicht ist genau dies ein wichtiger Baustein für die meist konsensuale Arbeit des Germeringer Stadtrats: Die Stadträte sprechen viel miteinander und hören sich zu, parteipolitische Zugehörigkeiten spielen hingegen eine untergeordnete Rolle. Als SPD-Sprecher Robert Baumgartner ziemlich zu Beginn der Diskussionen über ein Briefzentrum sagte, seine Fraktion habe sich bereits ein Urteil gebildet und stimme zur Gänze gegen das Projekt, wirkte das deplatziert, ja richtig un-germeringerisch. Denn Diskussionen mit wenig Voreingenommenheit und Festlegungen sind typisch für den Politikstil in der Großen Kreisstadt. Vor allem gilt dies für den Oberbürgermeister selbst. Als Sitzungsleiter hält er sich mit Meinungsäußerungen lange zurück. Meist erst kurz vor Abstimmungen legt er seine Position dar. Gegnern von Vorschlägen oder Projekten baut er Brücken, keine Stimme gibt er achselzuckend verloren. Eine möglichst große Mehrheit zu erreichen, das ist sein Ziel.

Getragen wird Haas von einer breiten Zustimmung in der Bevölkerung. Mehr als 70 Prozent der Wähler haben ihm 2014 ihre Stimme gegeben, also auch viele Wähler, die bei der Stadtratswahl nicht für die CSU, sondern für SPD, Grüne, FDP, ÖDP oder die freie Wählergruppierung FWG/UBG gestimmt haben. Ein solches Ergebnis verleiht Autorität. Haas kommt außerdem zugute, dass er schon seit langer Zeit Kommunalpolitik in Germering macht. Vor der ersten Wahl zum Bürgermeister im Jahr 2008 war er viele Jahre Stadtrat. Er kennt die handelnden Personen der anderen Fraktionen und er kann mit allen.

Haas' pragmatischer Stil ist auch in den Fraktionen zu Hause. Deren Vertreter diskutieren meist sehr sachbezogen. Auch deshalb dauern öffentliche Sitzungen im Germeringer Rathaus meist nicht länger als eine halbe Stunde. Benötigen die Stadtpolitiker mehr Zeit, liegt das an der Komplexität oder dem Streitpotenzial von Themen wie dem Bau eines Briefzentrums oder einer neuen Wohnsiedlung. Doch umstrittene Entscheidungen sind selten. Auch weil die Arbeit der Verwaltung von allen Fraktionen anerkannt wird. Dass die Rathausmitarbeiter dem Bürgermeister zuarbeiten und den Stadtratsmitgliedern Informationen vorenthalten, diese Situation mag es in anderen Kommunen geben, in Germering ist sie unbekannt.

Einige wenige Themen haben sich dennoch über recht lange Zeit hingezogen oder tun dies noch. Zu diesen gehört die Bebauung und Umgestaltung der Innenstadt. Am Stadtrat liegt das aber nur zu einem geringen Teil, der hat bereits ein Konzept verabschiedet, das die meisten Kommunalpolitiker mittragen. Doch viele Grundstücksbesitzer wollen nicht neu bauen. Über Jahrzehnte beschäftigte auch der Umbau des Kleinen Stachus die Germeringer Politik. Etliche Planungen wurden verworfen, mehrere Amtsperioden begannen und gingen zu Ende, der Widerspruch zwischen einem Platz mit Aufenthaltsqualität und einem leistungsfähigen Verkehrsknoten schien unauflösbar. Doch es ist gelungen. Zugegeben nach vielen Sitzungen und Diskussionen. Auch die Einwohnerschaft wurde beteiligt. Wer wollte, der konnte sich an Workshops beteiligen und seine Ideen einbringen. Politik und Verwaltung bewiesen in einem mehrstufigen Prozess mit Bürgern, Planern und Fachleuten einen langen Atem. Schließlich rückten die Baumaschinen an, die Neugestaltung nahm Formen an. Inzwischen wird auch am letzten Eck des Platzes gebaut. Das Richtfest für das entstehende Bürogebäude hat bereits stattgefunden. Vielleicht gefällt das Ergebnis nicht jedem Germeringer. Aber Stadtrat und Verwaltung haben bewiesen, dass sie ein lang diskutiertes Projekt umsetzen können - und das auch mit großen Mehrheiten in einem Ratsgremium, in dem sechs Gruppierungen vertreten sind.

Das Vorhaben der Deutschen Post wird die konsensuale Politik weiterhin auf die Probe stellen. Die Grünen möchten erreichen, dass der Stadtrat einem Ratsbegehren über das Briefzentrum zustimmt. In diesem Fall könnte die Bevölkerung über das Projekt abstimmen. Die Wähler aber wollen nicht immer so, wie die Mehrheit im Stadtrat will. Die Ansiedlung des Briefzentrums könnte scheitern. So wie vor etlichen Jahren der Bau eines Turms neben der Stadthalle gescheitert ist. Für dessen Errichtung hatte sich eine große Mehrheit im Stadtrat ausgesprochen. Die Bürger aber waren dagegen.

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Quelle:
SZ vom 07.01.2020
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