Süddeutsche Zeitung

Kinderbetreuung:Eltern verärgert über Kita-Absagen

Hunderte von Plätzen in Kindergärten und Krippen im Landkreis können nicht besetzt werden, weil es an Erzieherinnen fehlt. Mütter und Väter stehen deshalb vor Problemen, in ihren Beruf zurückzukehren.

Von Florian J. Haamann, Andreas Ostermeier und Stefan Salger, Fürstenfeldbruck

Nach den vielen Belastungen für die Familien durch Corona gibt es neue Hiobsbotschaften für die Eltern: Etliche Buben und Mädchen im Alter von einem Jahr an werden im Herbst keinen Platz in einer Krippe oder einem Kindergarten erhalten. Das wird in diesen Tagen deutlich, denn die Kommunen versenden die Mitteilungen an die Eltern, ob deren Söhne und Töchter in einer Kita aufgenommen werden oder nicht. In Fürstenfeldbruck bekommen momentan 142 Kinder im Kindergarten- und 138 Kinder im Krippenalter keinen Platz. Auch in Germering gibt es viele Absagen. 168 Kinder, die für einen Krippenplatz, und 147, die für einen Kindergartenplatz angemeldet werden sollten, erhalten keinen Platz. In Gröbenzell fehlen insgesamt 67 Plätze in Krippen und Kindergärten.

Der Grund: Es gibt zu wenig Erzieherinnen und Erzieher. Kommunen, Kirchen, Sozialverbände und freie Träger finden nicht genug pädagogische Fachkräfte. Gröbenzells Bürgermeister Martin Schäfer spricht von einem "systemischen Personalmangel", eine Sprecherin der Stadt Fürstenfeldbruck spricht von einer denkbar geringen Resonanz auf die regelmäßigen Inserate mit Stellenangeboten der Stadt. Da hilft es offensichtlich auch wenig, dass Fürstenfeldbruck, wie andere Kommunen im Landkreis auch, den Erzieherinnen und Erziehern Zulagen zum Lohn bezahlen.

Der Personalmangel verhindert zudem, dass sich die Investitionen in die Kinderbetreuung voll rechnen, die sämtliche Städte und Gemeinden in den vergangenen Jahren gemacht haben. Für etliche Millionen sind Kitas gebaut und erneuert worden. Doch jetzt stehen Gruppenräume leer, weil das Personal fehlt. In Germering zum Beispiel können momentan 221 Plätze in Kindergärten und 69 in Krippen nicht besetzt werden, weil es kein Betreuungspersonal gibt.

"Eigentlich wollte ich wieder zurück in den Schuldienst", sagt eine Mutter

Die Eltern in Gröbenzell sind gelinge gesagt genervt, einige von ihnen müssen quasi ihr Leben neu planen. So auch Mirja Stern, Berufsschullehrerin in Elternzeit. "Eigentlich wollte ich wieder zurück in den Schuldienst". Weil sie aber für ihren dreieinhalb Jahre alten Sohn keinen Kindergartenplatz und für ihren eineinhalbjährigen Sohn keinen Platz in der Krippe bekommen hat, wird sie ihre Rückkehr in den Beruf wohl mindestens um ein Jahr verschieben müssen. Von der Entscheidung ist also nicht nur Stern persönlich betroffen, sondern auch die Schule, die so mit einer Lehrkraft weniger planen muss.

Um auf ihre Situation aufmerksam zu machen und anderen Eltern eine Plattform zu geben, hat sie in einer Gröbenzeller Facebook-Gruppe eine Diskussion gestartet. "Dort hat sich eine Kindergärtnerin gemeldet, die eigentlich im September zurück in die Arbeit wollte, die aber für ihren Sohn keinen Platz bekommt hat. Da fasst man sich doch wirklich an den Kopf. Man muss doch auch schauen, was die Eltern so machen, wer hat einen systemrelevanten Beruf? Natürlich sind auch andere Berufe wichtig, aber Kindergärtnerinnen, Erzieherinnen und Lehrerinnen werden dringend gebraucht."

Wie groß der Unmut unter den Eltern ist, erkennt man auch daran, dass innerhalb eines Tages knapp 80 Kommentare unter Sterns Post zu finden sind. Viele der Eltern beschweren sich nicht nur über die Absage, sondern auch über den Ton im Rathaus. "Sehr unfreundlich" sei das entsprechende Telefonat gewesen, sagt ein Elternteil, das seinen Namen nicht in der Zeitung lesen möchte.

"Entweder man geht arbeiten oder man kümmert sich um die Kinder, beides geht nicht"

Betroffen von den Absagen ist auch die fünfköpfige Familie Sailer. "Eines unserer Kinder ist zwei Jahre und sieben Monate, das zweite ein Jahr und fünf Monate. Das größere haben wir von der Kita in den Kindergarten angemeldet, das kleinere für die Kita, beides hat nicht geklappt, obwohl meines Erachtens alle Voraussetzungen gegeben sind. Meine Frau wollte demnächst aus der Elternzeit mit dem dritten Kind zurück in den Beruf", erzählt Vater Manu Sailer. "Das geht natürlich jetzt nicht und das beeinflusst den ganzen Lebensalltag. Entweder man geht arbeiten oder man kümmert sich um die Kinder, beides geht nicht. Dadurch fällt uns jetzt zumindest ein Teilzeitgehalt weg".

Er sei in Gröbenzell aufgewachsen und nach dem Studium in München vor einigen Jahren wieder zurückgekommen. "Da ist man natürlich schon verärgert. Gerade weil man ja auch weiß, dass in der Gemeinde viel Geld für andere Sachen ausgegeben worden ist, Millionen für einen Rathausbau und sonstige Immobilienkäufe, bei denen man nicht weiß wofür." Zufällig sei er gerade auf einen Zeitungsartikel aus dem vergangenen Jahr gestoßen, in dem es heißt, der Gemeinderat plane bis 2022, zur "kinderfreundlichen Kommune" zu werden. "Da ist es dann doppelt grotesk, wenn ein Jahr später 60 bis 70 Kitaplätze fehlen, obwohl man weiß, dass 160 gebraucht werden. Das ist doch eine absolute Fehlplanung. Und dann schiebt es einer auf den anderen." In ihrer Verzweiflung hat die Familie schon mit der Suche nach einer Tagesmutter begonnen. Aber auch da sei kaum etwas zu machen, es gebe nicht genug Kapazitäten. Etwas Hoffnung habe er noch, dass es vielleicht über die Warteliste klappt.

Mirja Sterns Mann hat bereits mit einem Anwalt gesprochen

Ganz so einfach will sich Mirja Stern nicht zufrieden geben. Ihr Mann habe bereits mit einem Anwalt gesprochen. "Ich glaube tatsächlich, dass man es sich einklagen muss, es sagt ja keiner, wir zahlen freiwillig deinen Verdienstausfall. Das Geld könnte man aber vielleicht besser gleich für Erzieherinnen ausgeben", sagt sie mit Blick auf den seit 2013 geltenden Rechtsanspruch auf einen Platz für Kinder ab dem vollendeten ersten Lebensjahr. Eine angemessene Bezahlung sei das Mindeste, um etwas gegen den Mangel an Erzieherinnen und Erziehern zu tun. Als Berufsschullehrerin bekomme sie mit, wie hoch die Anforderungen sind, wie lange die Ausbildung mit fünf Jahren dauert. Dazu komme, dass es in diesem Bereich eine sehr geringe Zahl an Plätzen gebe, im Gegensatz zu anderen Ausbildungszweigen, in denen alle einen Platz bekommen, die wollen. "Es braucht mehr Plätze und eine bessere Bezahlung, damit der Beruf attraktiv für junge Menschen wird."

Wenn Eltern für ihre Kinder keine Betreuungsmöglichkeiten bekommen, stärke das zudem überkommene Rollenbilder. "Damit schickt man die Frauen quasi wieder nach Hause hinter den Herd und macht sie abhängig vom Mann. Gerade so soll es ja nicht sein", sagt Stern.

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