Fürstenfeldbruck:Gegen Prostitution

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Plädoyer für das schwedische Modell: Inge Kleine (mit Mikrofon) referiert im Landratsamt Fürstenfeldbruck. (Foto: Günther Reger)

Eine Ausstellung und ein Vortrag im Landratsamt befassen sich mit käuflichem Sex

Von Ingrid Hügenell, Fürstenfeldbruck

Seit die Prostitution in Deutschland 2001 von der rot-grünen Koalition weitgehend legalisiert worden ist, gibt es Organisationen, die gegen die Neuregelung ankämpfen. Viele sind von früheren Prostituierten ins Leben gerufen worden, die sich "Überlebende" nennen. Eine Ausstellung zum Thema ist derzeit im Landratsamt zu sehen. Kürzlich gab es dazu auch einen Vortrag. Unter dem Titel "Ware Frau" sprach Inge Kleine vom Netzwerk "Stop Sexkauf" vor rund 40 Zuhörern, darunter sieben oder acht Männer, über "Mythos und Wahrheit im Rotlichtmilieu". Ziel des Netzwerkes ist eine Gesellschaft ohne Prostitution. Dafür soll auch in Deutschland das schwedische Modell eingeführt werden. In dem skandinavischen Land ist Prostitution verboten. Bestraft werden nicht die Frauen, sondern die Freier. Dazu gibt es begleitende Maßnahmen für die Frauen: Ausstiegshilfen, Therapieangebote und berufliche Förderung für Prostituierte.

Begründet wird der Kampf gegen den Sex-Kauf damit, dass Prostitution an sich Gewalt gegen Frauen ist. "Prostitution ist kein Beruf, sondern eine hochriskante Tätigkeit mit gravierenden Folgen für die Prostituierten selbst, aber auch für die gesamte Gesellschaft", erklärt das Bündnis. Es werde ein falsches Bild von Frauen vermittelt - dass sie käuflich, also Objekte seien. Aber auch von Männern, dass sie ihren Trieben hilflos ausgeliefert seien und Prostitution brauchten, um nicht sexuell übergriffig zu werden. So sieht es auch Martina Drechsler (CSU), stellvertretende Landrätin, die vor Kleines Vortrag ein Grußwort sprach: "Es verletzt die Menschenwürde, wenn Frauen zum Objekt werden. Sexuelle Dienstleistungen sind keine Dienstleistungen wie alle anderen auch."

Kleine ging in ihrem Referat auf die enormen Auswirkungen ein, die Prostitution auf die Frauen habe, die fälschlicherweise als "Sexarbeiterinnen" bezeichnet würden. Denn sie übten keinen normalen Beruf aus, und auch von Sex könne man nicht wirklich sprechen, sagte sie. Viele der Frauen litten unter posttraumatischen Belastungsstörungen, sagte sie. Fast alle hätten Gewalt erfahren. Eine Mehrheit sei schon als Kind sexuell missbraucht worden, bis zu 75 Prozent seien in der Prostitution vergewaltigt worden. Dass die Frauen dem Gewerbe freiwillig nachgingen oder sogar Spaß dabei hätten, sei ein Mythos. Sie berichtete zudem von abstoßenden Angeboten wie einer "Gangbang"-Party für 14 Männer mit einer 19-jährigen Schwangeren. Der Begriff stand früher für Gruppenvergewaltigungen und wird jetzt verwendet für Gruppensex von einer oder wenigen Frauen mit vielen Männern. Auch gebe es "Verrichtungsboxen", in die Freier mit dem Auto hineinfahren. Die Frauen steigen zu, es kommt zu bezahltem Sex.

Die meisten Prostituierten in Deutschland kommen Kleine zufolge aus osteuropäischen Ländern wie Rumänien und Bulgarien. Die Frauen gälten als selbständig, verdienten aber sehr wenig und müssten davon die Miete für die Zimmer bezahlen, in denen sie die Freier bedienen, aber auch leben. Frauen, die aussteigen, verlieren also häufig nicht nur ihre Einnahmequelle, sondern auch die Wohnung. Außerdem hätten viele Angst vor dem Finanzamt - Prostituierte sind steuerpflichtig. Das bestätigte einer der Zuhörer, der zu dem Vortrag gekommen war, weil eine Bekannte sich in so einer misslichen Lage befinde, wie er auf Nachfrage sagte.

Durch die Legalisierung sei das Gewerbe explodiert, sagte Kleine weiter. "Man spricht von Deutschland als dem Bordell Europas." Reklame für einschlägige Etablissements auf öffentlichen Bussen, auf Taxen oder Autos erwecke den Anschein, Prostitution sei normal. Zudem gebe es Menschenhandel in großem Ausmaß. Eindringlich warnte Kleine vor "Loverboys", Männern, die jungen Mädchen vorgaukeln, in sie verliebt zu sein, sie aber nur in die Prostitution bringen wollten. In Internetforen machten sich diese angeblichen jungen Männer an Kinder und Jugendliche heran, spielten ihnen die große Liebe vor und erpressten sie schließlich mit einer "gemeinsamen Zukunft", für die die Mädchen dann das Geld heranschaffen müssten.

Die damalige Regierung hat 2001 den Prostituierten die Möglichkeit der Kranken- und Sozialversicherung geben wollen. Man habe die Prostitution aus dem Umfeld von Waffen- und Drogenhandel, dem kriminellen Milieu herausholen wollen. Aber auch ein Teil der Gewinne sollte abgeschöpft werden, sagte Kleine zu den neuen gesetzlichen Regelungen für die Prostitution.

Auf die "enorme Außenwirkung" von Prostitution und Pornografie wies Annemarie Fischer hin, Gleichstellungsbeauftragte des Landkreises. "Wir dürfen nicht zulassen, dass unsere Frauen, Schwestern und Töchter verkauft werden", sagte sie und kritisierte: "Es gibt Einstiegshilfen zur Prostitution, aber keine Ausstiegshilfen". Ein Plakat der Ausstellung umreißt eines der Probleme: "Nicht die Täter, die Opfer schämen sich", stand darauf.

Fischer sagte, zwar gebe es im Landkreis keine Prostitution, vermutlich aber eine Grauzone im Swinger- und im Pärchenklub. Sie rief dazu auf, die Würde der Frau auch im Alltag zu verteidigen und bei blöden Sprüchen im Wirtshaus oder im Bierzelt dagegen zu halten. "So brauchen Sie nicht zu reden über Frauen", könne man beispielsweise sagen, wenn sexistische Ausdrücke oder Sprüche geäußert würden. "Man muss das wahrnehmen und benennen."

"Stop Sexkauf", Ausstellung, Galerie des Landratsamts Fürstenfeldbruck, bis 25. Juni, Montag und Dienstag 8 bis 18 Uhr , Eintritt frei.

© SZ vom 22.06.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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