Fürstenfeldbruck:"I am free, but I don't feel like I am really free!"

Flüchtlinge

Kaleem Tombo und Rajabu Madaki vor der Flüchtlingsunterkunft am Fliegerhorst in Fürstenfeldbruck.

(Foto: Lara Freiburger)

Kaleem Tombo und Rajabu Madaki sind aus Tansania geflohen. Als Homosexuelle droht ihnen dort Gefängnis. Doch auch hier dürfen sie sich nicht outen.

Von Vanessa Materla, Fürstenfeldbruck

"Eigentlich dürfen wir hier in unserer Freizeit nicht rein", sagt der Mann auf Englisch. Hastig dreht er alle Heizungen in dem kleinen Raum auf. Draußen auf dem Flur der Flüchtlingsunterkunft am Fliegerhorst hallen die Schritte des Wachmanns nach, der zuvor die Tür des Gemeinschaftsraums aufgeschlossen hat. Eigentlich bleibt dieser Raum mit seinen Holzstühlen und Tischreihen immer verschlossen. Niemand darf ihn unerlaubt nutzen. An diesem Tag gibt es eine Ausnahme. Der Mann, der Englisch spricht, heißt Kaleem Tombo. Er ist 35 Jahre alt. Mit vielen anderen Geflüchteten ist er vor zwei Jahren aus Tansania nach Deutschland gekommen. In seiner Heimat droht Tombo eine lange Gefängnisstrafe.

Er nimmt an einer Tischgruppe Platz. Ihm gegenüber lässt sich der 44-jährige Rajabu Madaki (beide Namen von der Redaktion geändert) auf einen der Stühle fallen. Auch er ist Tansanier. Seit zwei Jahren leben sie im Flüchtlingsheim. In Tansania wohnten sie in der selben Stadt, kennen gelernt haben sie sich erst in Deutschland. Ihre Asylgesuche wurden abgelehnt. Jetzt warten sie seit Monaten auf die Wiederaufnahme ihrer Verfahren. Die beiden verbindet eine ähnlich traurige Geschichte, doch auf den ersten Blick merkt man ihnen ihren Schmerz nicht an. Wenn der eine nicht lächelt, lächelt der andere. Will der eine erzählen, nickt ihm der andere unterstützend zu. Ihr Leben ist die perfekte Symbiose. Nur so schaffen es die beiden durch diese schwere Zeit.

Wer in Tansania versucht, eine homosexuelle Beziehung zu führen, geht ein hohes Risiko ein: Laut Human Rights Watch drohen Homosexuellen seit 2016 bis zu 30 Jahre Haft, wenn ihre sexuelle Neigung bekannt wird. Im Herbst 2018 hat der Gouverneur der ehemaligen Heimatstadt von Tombo und Madaki eine Liste erstellt: 200 Namen von angeblich homosexuellen Frauen und Männern stehen darauf. Er findet ihr Verhalten falsch. Deswegen lässt er sie verfolgen. In Dar-es-Salaam - im "Haus des Friedens", wie die Stadt auf Deutsch heißt - haben die beiden Männer alles andere als in Frieden gelebt.

Über 30 Jahre wahrt Tombo dort den Schein des heterosexuellen und erfolgreichen Familienvaters. Er hat eine Frau und eine kleine Tochter: Sharifa. Als Lastwagenfahrer und Seemann verdient er gutes Geld und kauft sich und seiner kleinen Familie ein Haus direkt am Strand. Er tut das alles, um seine Familie glücklich zu machen und vor allem: um nicht aufzufallen. Doch er selbst ist nicht glücklich. Heimlich trifft er sich mit seinem damaligen Partner. "Jeder in Tansania versucht sich zu verstecken. Doch irgendwann gibt es keine geheimen Orte mehr." Tombo senkt den Blick auf seine Finger, die fest ineinander verschränkt auf dem Linoleumtisch ruhen. Jemand hat mit schwarzem Stift ein Herz darauf gemalt - Tombos Mundwinkel ziehen sich nach oben. Man sieht ihm an: Eigentlich ist er ein fröhlicher Mensch. Wenn er lacht, dann lacht sein ganzer Körper: 1,78 Meter pure Freude. Doch wenn er jetzt erzählt, erreicht sein Lächeln nicht einmal seine Augen.

Als er und sein Partner entdeckt werden, nimmt die Polizei Tombos Freund sofort fest. Ihm selbst gelingt es, sich zu verstecken. Sechs oder sieben Monate lang sind die Behörden und Tombos Eltern auf der Suche nach ihm. Um auch ihn hinter Gitter zu bringen, veranstalten sie eine Hetzjagd: Ständig muss er umziehen, das eigene Haus vermieten. Er hat kein Geld mehr. Seine einzige Hilfe zu der Zeit: die Mutter seiner kleinen Tochter. Freilich sei sie zuerst böse gewesen, erzählt Tombo. Sein Blick senkt sich. Er fährt sich mit seinen Handflächen über den Kopf. Letztlich sei es seiner Frau aber wichtiger gewesen, dass es dem Vater ihres Kindes gut geht. Und, dass er nicht im Gefängnis landet. Von dort könnte er schließlich nicht dabei helfen, die Tochter zu versorgen.

Als sie ihn das letzte Mal warnt, dass ihm die Gruppe immer noch auf den Fersen sei, ist Tombo am Ende seiner Kraft. Er hat alles, was er besitzt, verkauft. Es bleiben zwei Möglichkeiten: Flucht oder Gefängnis. Zu dem Zeitpunkt steht seine Entscheidung schon fest: "I am done here!". Am nächsten Tag bucht er sich mit seinem letzten Geld einen Flug nach Warschau.

Ungefähr zur gleichen Zeit liegt Madaki in einem Krankenhaus in Dar-es-Salaam. Er hat versucht, sich mit Tabletten das Leben zu nehmen. Auch seine Familie hatte ihn verstoßen - schlimmer noch: Als sie herausfanden, dass Madaki Männer liebt, haben sie ihn bei der Polizei angezeigt. Damit er sich bessern könne, sagten sie, solle er ins Gefängnis gehen. Zwei Tage hielt er es dort aus, dann kaufte ihn ein Freund frei. Eigentlich gibt es in Tansania keine Möglichkeit für einen Homosexuellen, auf Kaution frei zu kommen. Doch in dem Land zählt Korruption mehr als das Gesetz. Ab diesem Zeitpunkt muss er sich vor seiner Familie verstecken. Jeder auf der Straße weiß, was passiert war. Ihm ist klar: Sie werden ihn jagen. Sein Ausweg: Selbstmord.

Während Madaki erzählt, gerät sein Suaheli immer wieder in Stocken. Seine Sätze sind kurz. Er spricht kein Englisch, doch manchmal wirkt es so, als könne Tombo auch seine Gedanken übersetzen. So stark ist ihre Freundschaft. Von dem zu erzählen, was er erlebt hat, fällt ihm aber offensichtlich auch in seiner Muttersprache schwer. Tombo hält den Blick, nickt, sagt ihm, dass er weitersprechen darf.

Eat, sleep, repeat

Die Tabletten bekommt man in Tansania in jeder Apotheke. Madaki lächelt vorsichtig. Er versucht sich an einem Scherz: "Da kann man wirklich alles kaufen! Nicht wie hier in Deutschland, wo man für alles eine Bescheinigung vom Arzt braucht." Dass er schwul ist, wusste er schon lange. Auch seine Frau muss es geahnt haben. Zu lange hat er versucht, im falschen Leben glücklich zu werden. Zurück in die Lüge ist für ihn nach dem Trauma seines unfreiwilligen Outings keine Option mehr.

Er hätte an den Tabletten sterben können. doch Madakis Frau kommt früher als erwartet nach Hause. Sie bringt ihn ins Krankenhaus. Vier Tage bleibt er dort, dann lernt er einen Mann kennen, der ihm helfen will, nach Deutschland zu kommen. Madaki kauft für sich und seine neue Bekanntschaft zwei Flugtickets von Tansania über Abu Dhabi nach Berlin. In Deutschland angekommen will der Mann noch mehr Geld. Doch Madaki hat all sein Erspartes ausgegeben. Dann ist der Freund weg - mit Madakis Papieren. Es ist August 2016. Willkommen in Deutschland.

Heute reisen Tombo und Madaki nur noch in ihren Träumen. In Gedanken sind sie häufig am Strand von Dar-es-Salaam: den weißen Sand zwischen den Zehen, die Hitze Afrikas auf der Haut. Würden sie an der Küste stehen, würden sie nichts sehen außer azurblaues Wasser, vielleicht ein Fischerboot. Zurück in der Wirklichkeit sieht der Alltag von Tombo und Madaki jedoch ganz anders aus: Knapp 10 000 Kilometer von den Traumstränden Tansanias entfernt blicken sie auf trostlose Containerwände. Statt Sand spüren sie nur den kalten PVC-Boden unter den Füßen.

Zu ihrer gewonnenen Freiheit haben die beiden ein ambivalentes Verhältnis. Immerhin müssen sie in Deutschland nicht fürchten, ins Gefängnis zu kommen. Wirklich frei fühlen sie sich hier aber trotzdem nicht: "I am free, but I don't feel like I am really free!" Tombo gestikuliert, fasst sich immer wieder an die Brust - dahin wo sein Herz schlägt. So frei, wie er in Deutschland sein könnte, so unfrei ist sein Herz. Denn Madaki und er leben im Asylheim mit vielen Geflüchteten aus arabischen und afrikanischen Staaten zusammen, mit Muslimen und Nichtmuslimen. Und wie in ihrem Heimatland Tansania sind sich auch hier die meisten einig: Homosexualität ist falsch. Also müssen sie sich wieder verstecken und erneut ein Leben im Verborgenen führen.

Ihre Hoffnung auf die Liebe haben die beiden trotz allem nicht verloren. Madaki hat einen Mann kennen gelernt. Obwohl sie ihre gemeinsame Zeit nur wie Freunde verbringen können, ist Madaki glücklich. Er ist der einzige, der weiß, dass auch Tombo wieder verliebt ist: in einen Mann aus dem Nebenzimmer. Tombos Blick wird weich, wenn er an seine neue Liebe denkt. Würde im Asylheim jemand merken, dass Tombo seinen Mitbewohner tatsächlich so ansieht, würde die Hetzjagd auf ihn von Neuem beginnen. Ein falsches Wort oder eine liebevolle Umarmung wären das Ende seiner Freiheit in Fürstenfeldbruck.

Nur 25 Kilometer entfernt könnten sie schon offener leben: München bedeutet für Tombo und Madaki mehr Leute, alternative Viertel, mehr Platz, um ungestört zu sein. Doch ohne Papiere ist ein Umzug unmöglich. Allein der Weg in die Großstadt ist für sie schon eine Herausforderung: Ein Tagesticket für S-Bahn und Tram kostet 6,70 Euro - zu viel für die beiden. Also verbringen sie die meiste Zeit im Asylheim. Tombo kümmert sich um die dreckige Wäsche, Madaki schneidet das Gemüse in der Küche der Caritas. Beide bekommen 90 Cent pro Stunde. Mehr dürfen sie ohne eine Arbeitserlaubnis vom Landratsamt nicht verdienen - und ohne Papiere oder Aufenthaltsgenehmigung werden sie die auch nicht bekommen.

Madakis Blick schweift durch den Raum und bleibt für einige Sekunden an einer grünen Schultafel an der Wand hängen. Jemand hat darauf das Alphabet in Schreibschrift geübt. Bis zum K reicht der Platz. Im Gegensatz zu Tombo durfte Madaki kein Deutsch lernen, schließlich hat er keine Papiere mehr. Nicht arbeiten, nicht lernen, nichts zu tun. Eat, sleep, repeat - ein Rhythmus, der das Leben der beiden und das der meisten anderen Asylbewerber in der Unterkunft bestimmt. "Brain torture", nennt es Tombo. Madaki zuckt nur mit den Schultern. Er ist einfach froh, hier sein zu dürfen. Er ist glücklich und so frei, wie er eben sein darf. Nur eben nicht im Herzen.

Als der Wachmann kommt, um den Gemeinschaftsraum wieder zu versperren, wirkt das Klirren seines großen Schlüsselbundes fast provokant. Jeder Schlüssel gehört zu einem Raum in der Flüchtlingsunterkunft, den man verschließen kann. In dem man allein sein könnte. Jeder Schlüssel steht für ein kleines Stück potenzieller Freiheit. Tombo denkt an seinen Mitbewohner, in den er sich verliebt hat. Wenn er sich später in seinem Fünf-Mann-Zimmer in sein Stockbett zurückzieht, dann liegen sie fast nebeneinander, getrennt nur durch die Wand des Containers.

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