Süddeutsche Zeitung

Fürstenfeldbruck:Es fehlt an Dolmetschern

Immer mehr Geflüchtete aus Afghanistan und Jemen kommen derzeit ins Ankerzentrum in Fürstenfeldbruck. Eine ideale Betreuung scheitert allerdings oft an der Sprachbarriere

Von Peter Bierl, Fürstenfeldbruck

Etwa 600 Geflüchtete leben derzeit im Ankerzentrum auf dem ehemaligen Fliegerhorst von Fürstenfeldbruck, zwei Drittel von ihnen stammen aus Afghanistan und Jemen. Aber es fehlt an Dolmetschern, kritisieren sowohl der Bayerische Flüchtlingsrat als auch die Brucker Caritas. Als "Blüte des Bürokratismus", rügt Katharina Grote vom Bayerischen Flüchtlingsrat, dass die Menschen zu Behördengängen nach Ingolstadt fahren müssen. Wenn sich die Unterkunft wieder füllt, sei das gerade in Zeiten von Corona "nicht optimal", sagt außerdem Willi Dräxler (BBV), der Integrationsreferent des Brucker Stadtrates.

Allein in der vorvergangenen Woche kamen 36 Personen neu in die Dependance. Derzeit sind in der Unterkunft 215 Geflüchtete aus Afghanistan und 211 aus Jemen untergebracht. Aus dem Irak sind es 20 Personen, neun aus der Türkei, aber nur noch zwei Menschen aus Nigeria, die bis vor kurzem noch das größte Kontingent stellten. Die meisten von ihnen seien "einer Anschlussunterbringung zugewiesen worden", sagt der Sprecher der Regierung von Oberbayern.

Unter den afghanischen Flüchtlingen befinden sich nach Angaben der Regierung keine sogenannten Ortskräfte, die für westliche Truppen oder Einrichtungen gearbeitet haben. Solche Personen haben Anspruch auf eine Aufenthaltserlaubnis und seien in sogenannten Übergangswohnheimen in München untergebracht. Die Brucker CSU hatte sich dafür eingesetzt, dass die Stadt eine Wohnung für Ortskräfte zur Verfügung stellt, was bisher jedoch noch nicht geschehen ist.

Große Probleme haben diejenigen Geflüchteten, die aus Griechenland eingereist sind, berichtete Dräxler. Dort hätten sie keine Chance ihren Lebensunterhalt zu bestreiten und bekämen wegen des Spardiktats der EU auch keine Sozialleistungen. Als Asylbewerber werden sie nicht anerkannt, weil sie aus einem sicheren Drittstaat kommen, manche hingen in "aussichtslosen Verfahren" fest.

Viele seien durch Krieg und Flucht traumatisiert. Manche hätten Folter und sexuellen Missbrauch erlitten. Einige haben die katastrophalen Verhältnisse und den Brand im Lager von Moria auf Lesbos erlebt, die illegalen Pushbacks an der EU-Grenze in Kroatien und Polen oder hätten monatelang in der Kälte in Wäldern gehaust, berichten Mitarbeiter der Caritas. Manche wurden vom Flughafen in Kabul evakuiert und haben die Bombenanschläge überlebt. Fast alle haben Angehörige, die von den Taliban bedroht, misshandelt oder getötet wurden und bekämen fast täglich schlechte Nachrichten von Menschen, die sie zurücklassen mussten, erzählt Marion Henne, die Teamleiterin der Caritas. Familien wurden getrennt: Eine Frau mit zwei Kindern durfte Griechenland verlassen, der Mann mit zwei weiteren Kindern sitzt weiter dort fest, berichtet Henne. Viele Kinder hätten während der Flucht "funktioniert", jetzt machen sich die Traumata bemerkbar, in Albträumen, durch Haarausfall oder Verhaltensauffälligkeit.

Sie kritisierte wie der Flüchtlingsrat, dass vor Ort Dolmetscher für Darsi und Farsi fehlen, die Sprachen der Afghanen. Über einen kirchlichen Fonds würde die Aufwandsentschädigung für einen Kulturdolmetscher, einen Migranten mit guten Deutschkenntnissen, bestritten, der einmal in der Woche kommt. Die Sprachbarriere sei ein Problem auch bei der medizinischen Behandlung, bei der Anerkennung der Schutzbedürftigkeit oder um die psychische Verfassung einzuschätzen, sagt Grote. "Mit Händen und Füßen über Traumata reden, das geht nicht", sagt Dieter Pimiskern, der bis vor kurzem den Fachbereich Asyl und Migration der Caritas leitete.

Der Pressesprecher der Regierung erklärt, Dolmetscher würden regelmäßig angefordert, wenn die Verständigung auf Englisch nicht ausreiche oder wichtige Angelegenheiten geklärt werden müssten. Im übrigen würde das Unterkunftspersonal alle Bewohner bei der Verständigung unterstützen, in der Regel geschehe das auf Englisch. Grote berichtet, dass manchmal Geflüchtete untereinander dolmetschen, was allerdings problematisch sei, weil es sich um persönliche Angelegenheiten handelt.

Dass Flüchtlinge zur Zentralen Ausländerbehörde in Ingolstadt fahren müssen, kritisiert Grote als "Behördenirrsinn". Die Regierung rechtfertigt das durch eine "zunehmende Auslastung der Dienststelle in München". Um eine "effiziente Fallbearbeitung" sicherzustellen, habe man die Zuständigkeit auf Ingolstadt übertragen, auch wenn dies "leider" mit längeren Fahr- und Wegezeiten für die Bewohner aus Bruck einhergehe.

Wegen der Pandemie sind die Möglichkeiten in der Unterkunft eingeschränkt. Die Sporträume seien geschlossen, Deutschkurse durch Ehrenamtlichen fänden bis auf vereinzelte Stunden nicht statt, berichtet Andrea Gummert, Koordination der Ehrenamtlichen bei der Caritas. Die freiwilligen Helfer seien noch in der Kleiderkammer und bei der Spielzeugausgabe aktiv. Weil Behörden coronabedingt geschlossen seien, kämen viele Geflüchtete mit Briefen in deutscher Sprache in die Beratung. "Wir übernehmen die Arbeit der Ämter", sagt Gummert. Manche stünden deshalb zweieinhalb Stunden in der Warteschlange vor der Beratungsstelle, teilweise in Flipflops oder barfuß. Der einzige Lichtblick sei, dass die Asylbewerber derzeit "relativ schnell anerkennt" werden, weshalb die Fluktuation hoch sei.

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Quelle:
SZ vom 23.12.2021
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