Süddeutsche Zeitung

Fürstenfeldbruck:Erinnerungen ans DDR-Gefängnis

Michael Gleau erzählt Schülern von seiner gescheiterten Flucht

Von Isolde Ruhdorfer, Fürstenfeldbruck

Elf Monate. So lange saß Michael Gleau wegen eines missglückten Fluchtversuchs in der DDR im Gefängnis. Seine damalige Zellentür ist heute in seinem Besitz. "Sie steht gerade neben der Sauna", sagt er lachend. Den gelegentlich etwas schwarzen Humor hat sich der 67-Jährige jedenfalls nicht nehmen lassen. Eine Stunde lang erzählt er Schülern der Berufsschule von der DDR, seinem Fluchtversuch und dem Gefängnisaufenthalt.

Auf den Vortrag von Fakten und Daten legt der Zahnarzt, der heute in München lebt, keinen großen Wert. Vielmehr geht es um seine persönlichen Erlebnisse und kleine, aber vielleicht gerade deswegen so eindrückliche, Anekdoten. So erfährt man, dass Gleau die DDR als "graue Einöde" empfand. "Formlos und wenig bunt", so beschreibt er seine Heimatstadt Leipzig. Die verwandelte sich aber zweimal im Jahr bei einer Messe in eine fast westliche Stadt. Es war diese Anziehungskraft, die auch das westliche Fernsehen auf ihn ausübte und ihn deshalb zur Flucht bewog. Mit nur 19 Jahren wollten er und seine Freundin, die heute seine Frau ist, über die ungarische Grenze ins damalige Jugoslawien. Von dort aus sollte es einfacher sein, in die BRD einzureisen. "Der Fluchtversuch war leider saublöd", sagt er heute. In der ungarischen Stadt Szeged wollten sie nämlich erst mal bis zur Grenze fahren und sich dort "ein bisschen umschauen". Doch der Bus fuhr einfach in die Grenzstation. Es war klar, was die beiden, die keine Papiere bei sich trugen, vor hatten. Also wurden sie verhaftet. Gleaus Freundin, die Tochter eines hohen SED-Funktionärs, kam gleich nach dem Prozess frei. Er aber wurde im April 1970 zu einem Jahr und drei Monaten Freiheitsstrafe verurteilt.

Die Strafe verbüßte er erst in Hohenschönhausen, später wurde er ins "Zuchthaus Cottbus" verlegt. Dass er sich wieder in der Nähe seiner Heimatstadt befinden musste, merkte er nur am starken Sächsisch der Wärter. Kontakt zu den Mitgefangenen oder gar nach draußen war tabu. Die einzigen Personen, die in den ersten Monaten mit ihm sprachen, waren der Wärter und der Vernehmer. "Die Wärter waren auf Hass trainiert", erzählt er. "Für die waren wir schlimmer als Mörder." Die soziale Isolation war für den ihn das Schlimmste.

Nach elf Monaten wurde Gleau entlassen. Er stellte verschiedene Ausreiseanträge und durfte 1975 mit seiner Freundin in die BRD übersiedeln. Diese Zeit interessiert die Schüler bei der anschließenden Fragerunde besonders. Was sagte die Familie zur Ausreise? Wie war es, plötzlich im anderen Teil Deutschlands zu leben? Und vor allem, wie nahm er den Fall der Mauer wahr? Da sei er beim Italiener gewesen, erzählt Gleau. "Und als ich abends die Tagesschau gesehen habe, dachte ich, mich trifft der Schlag". Mit dem Mauerfall begann eine andere Zeit. Gemeinsam mit anderen ehemaligen Häftlingen kaufte Gleau das "Zuchthaus Cottbus" und verwandelte es in das "Menschenrechtszentrum Cottbus". Es ist jetzt eine Gedenkstätte. Die Zellentür, hinter der er so viele Monate saß, hat er sich, wie viele andere ehemalige Häftlinge auch, gekauft. "Ich dachte, jetzt mach ich mir einen Spaß", sagt Gleau amüsiert. "Das Lustigste war, dass viele ehemalige Wärter da waren", erinnert er sich. Sogar die hätten Scherze gemacht. Er könne heute auch "ohne Hass" über die Zeit berichten, die vermutlich die schwerste seines Lebens war. "Eines möchte er den Schülern deshalb unbedingt noch mitgeben. "Demokratie ist schwierig", meint er. "Aber es ist immer noch die beste Form des Zusammenlebens."

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Quelle:
SZ vom 24.05.2018
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