Fürstenfeldbruck:Ein Kartenhaus namens Ehe

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Norman Hacker als George und Bibiana Beglau als Martha sind die Gastgeber des entlarvenden bürgerlich-gesellschaftlichen Trauerspiels. (Foto: Carmen Voxbrunner)

Furioses Gastspiel des Burgtheaters in Fürstenfeld

Von Jörg Konrad, Fürstenfeldbruck

Das Stück selbst ist ein Klassiker. In ihm erscheint das Leben als Spiel, und als Spiegel der Gesellschaft. Wie Partner als Vertreter der Spezies Mensch miteinander umgehen ist schamlos, entwürdigend und dementsprechend entlarvend. Man verletzt und betrinkt sich bis zur Besinnungslosigkeit, man agiert hinter einem kommunikativen, apokalyptischen Scherbenhaufen und vermittelt, trotz all dem Schmutz, Schmerz und charakterliches Chaos, letztendlich aber eine Spur Hoffnung.

Edvard Albee hat "Wer hat Angst vor Virginia Woolf?" 1962 veröffentlicht. Das Drama zählt bis heute zu den bedeutendsten Theater-Vorlagen in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Nun wurde das Stück in einer Inszenierung von Martin Kušej mit dem Ensemble des Burgtheaters Wien als Gastspiel in Fürstenfeld aufgeführt.

Allein der Titel ist bis heute ein Mysterium geblieben. Albee bezieht sich hier auf das Kinderlied "Wer hat Angst vorm bösen Wolf". Noch weit vor der Fertigstellung des Stückes soll der Autor den Satz "Who 's afraid of Virginia Woolf?" an einer New Yorker Hauswand gelesen haben und war von dieser Metapher sofort ergriffen.

Die Handlung ist im Grunde einfach wiedergegeben: Der Geschichtsprofessor George und seine Frau Martha kommen von einer Party nach Hause. Martha offenbart George, dass sie in der Nacht noch Besuch haben werden. Nick und Honey lernten sie auf eben jener Party kennen. George ist über die fehlende Absprache ungehalten. Es ist der Beginn einer stark alkoholisierten Auseinandersetzung zwischen beiden, in die auch ihre Gäste Nick und Honey unfreiwillig einbezogen werden. Man beginnt sich voreinander zu demütigen, offenbart Geheimnisse, tauscht Bosheiten aus, erniedrigt sich martialisch, zerstört Lebenslügen, die die Aufgaben von Lebenshilfen haben und die wie schlecht gebaute Kartenhäuser in sich zusammenfallen. Das Ehedrama, als das Sinnbild einer defekten, einer toxischen Gesellschaft, die durch Illusionen und Trugbilder zusammengehalten wird.

Albee zeigt anhand des skrupellosen und ungehemmten Umgangs mit vertrauten Personen, wozu Menschen auch außerhalb kriegerischer Situationen in der Lage sind. Exzessiver Alkoholkonsum verhindert zudem jede Form eines Ausgleichs. Es geht in dieser schonungslosen Auseinandersetzung um alltägliche Dinge wie Ehe, Karriere, Kinderlosigkeit, die aber letztendlich für das gesamte Lebensglück innerhalb einer Gesellschaft stehen. Neid, Missgunst, Rivalität sind zusätzliche Eigenschaften, die zum Desillusionären, das in beißender Ironie verpackt ist, gezählt werden müssen.

George, bravourös und in all seinem verletzendem Zynismus von Norman Hacker auf den Punkt gebracht und Martha, als Zentrum der alkoholisierten Ehehölle, genial verkörpert von Bibiana Beglau, finden letztendlich aber einen Weg, ihr destruktives Miteinander zumindest in Frage zu stellen, und, ähnlich einer Analyse, nach dem Gang durch ihr Martyrium, einen Neuanfang zu wagen. Ob und wer auf der Strecke bleibt, ist trotzdem offen.

Bis heute fasziniert diese bitterböse Handlung, in der es eigentlich kaum Opfer, sondern durchweg Täter gibt und die so richtig am gesellschaftlichen Lack kratzt. Was darunter zum Vorschein kommt - das entscheidet letztendlich jeder für sich. Denn Dekadenz und Psychoterror unterliegen keiner genetischen Disposition.

© SZ vom 27.12.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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