Fürstenfeldbruck:Ein Gewinn an Muße

Fahrrad-Familie

Jedes Familienmitglied hat ein Rad, die Familie aber hat kein Auto: Sabine MacWilliams (rechts) mit ihren Töchtern Grace, Audrey und Victoria.

(Foto: Günther Reger)

Wie eine Familie mit drei kleinen Kindern in Bruck ohne eigenes Auto auskommt

Von Peter Bierl, Fürstenfeldbruck

Die MacWilliams sind umweltbewusst, aber keine Ökofreaks. Sie fahren gerne mit dem Rad, sind aber keine Kilometerfresser. Asa und Sabine MacWilliams haben abgewogen und finden, dass ihr Leben ohne eigenes Auto gehaltvoller ist. "Wir genießen die Zeit mit den Kindern, wenn wir zu Fuß oder mit dem Fahrrad unterwegs sind. Das wollen wir uns nicht nehmen lassen. Im Auto muss man sich auf den Verkehr konzentrieren, während die Kinder auf dem Rücksitz angeschnallt sind", sagt Sabine MacWilliams. Der Verzicht auf die individuelle motorisierte Fortbewegung bedeutet für sie einen Gewinn an Muße.

Die Familie mit den drei kleinen Kindern wohnt im Brucker Westen in einem Reihenhaus aus den Siebzigerjahren, das sie geschmackvoll modernisiert hat, mit neuen Fenstern, Türen, Rollläden und Farbe. In dem kleinen Garten rund ums Haus blühen Blumen und Sträucher, hinten in einer Ecke liegt abgeschnittenes Geäst auf einem großen Haufen, ein Paradies für Igel. Sperrmüll und Gartenabfälle sind ein Problem, wenn man kein Auto hat, sagt MacWilliams.

Einmal im Monat kommt ein Lieferant aus München, der Ökoprodukte in großen Gebinden bringt, etwa Getreide, Polenta oder Milch. Der Gast bekommt ein Glas Leitungswasser vorgesetzt, denn Kisten mit Mineralwasserflaschen sind zu schwer. Alle anderen Einkäufe erledigt die Familie mit dem Fahrrad oder zu Fuß, die Geschäfte sind ja in der Nähe. Die älteren Töchter Grace und Audrey besuchen Grundschule und Kindergarten, die fußläufig erreichbar sind. "Wenn wir mit den Kindern unterwegs sind, gibt es für sie immer etwas zu entdecken, und wir können miteinander reden", sagt Sabine MacWilliams. Wenn Freunde ihrer Kinder dabei sind, stöhnten die allerdings öfter über die ungewohnte Anstrengung.

Bevor die Kinder zur Welt kamen, verreiste das Paar immer mit dem Rad, mal entlang des Rheins und der Mosel nach Trier oder von München über Passau und dann donauabwärts bis Wien. Eine große Tour an die Nordsee brachen sie in Donauwörth wegen eines Orkans ab. Die Kinder sind zwar noch zu klein für größere Touren, aber Grace und Audrey radeln schon gerne und die zweijährige Victoria sitzt in einem großen, stabilen Fahrradanhänger, sobald es für das Laufrad zu viel wird.

Im vergangenen Jahr erwog die Familie eine Englandreise mit Flugzeug und Mietwagen, stieg dann jedoch auf Bahn und Bus um. "Es war ein Super-Urlaub, weil dort Busse in jedes Kaff fahren und es war deutlich billiger", erzählen sie. Von London ging es nach Exeter und Cornwall, durch das Dartmoor und wieder zurück in die britische Hauptstadt. Sie hatten Zeit, die Landschaft zu genießen, statt sich mit den Tücken des Linksverkehrs abzumühen. Das Gepäck transportierte die Familie im Kinderwagen. Der halte mehr Zuladung aus, als vom Hersteller angegeben, und Victoria passt auch noch rein.

Sie könnten sich zwar ein eigenes Auto leisten, finden aber, das wäre rausgeschmissenes Geld. Denn die meiste Zeit würde das Auto rumstehen. Bevor sie nach Bruck zogen, lebten sie in München nahe dem Rosenheimer Platz und bewegten sich zu Fuß oder mit den öffentlichen Verkehrsmitteln. Jetzt wohnen sie nicht weit entfernt vom Bahnhof Buchenau. Er arbeitet bei einem großen Konzern im Münchner Osten und pendelt mit der S-Bahn. Sie beginnt nach der Elternzeit wieder als Assistenzärztin in einer Brucker Praxis, wo sie hinradeln kann.

Es gibt ein paar Gelegenheiten, wo ein Auto unumgänglich oder doch bequemer ist. In München hatten sie überlegt, beim Car-Sharing mitzumachen. Nun in Bruck leihen sie sich den Wagen ihrer Eltern, die nur ein paar Straßen entfernt wohnen. Es ist sozusagen Car-Sharing in der Großfamilie, etwa um Freunden einen kurzen Besuch abzustatten, die zu weit weg für das Rad oder zu ungünstig für Bahn und Bus wohnen oder um mal eine große Fuhre Müll wegzubringen.

Auch für die Arbeit muss Sabine MacWilliams Kompromisse machen. Früher hatte sie im Bereitschaftsdienst einen Wagen zur Verfügung, in Zukunft wird sie Hausbesuche im westlichen Landkreis machen und kann dafür das Auto ihres Chefs benutzen. Sie musste dafür aber vor ein paar Tagen ein Sicherheitstraining für Frauen beim ADAC absolvieren.

Sabine MacWilliams stammt aus Bruck und hat mit 19 Jahren den Führerschein gemacht, ist aber seitdem nur selten gefahren, einmal in den USA, ein paar hundert Kilometer auf endlosen, fast leeren Highways durch die Wüsten von Arizona. "Ich fahre extrem ungern mit dem Auto", sagt sie. Ihr Mann ist gebürtiger Amerikaner, kam aber mit sechs Jahren nach Deutschland, ist in Oberschweinbach aufgewachsen und hat sich als Jugendlicher meist mit dem Rad fortbewegt. Nach Fürstenfeldbruck und nicht in den ländlichen Westen zu ziehen, war eine bewusste Entscheidung, denn in ländlichen Gemeinden ginge es ohne eigenes Auto kaum.

Die meisten ihrer Freunde und Bekannten haben einen Wagen, die meisten finden ihre Entscheidung exotisch. "Einige haben ein schlechtes Gewissen, wegen der Umwelt, meinen aber, sie könnten es ohne Auto nicht schaffen, andere finden es überhaupt nicht nachvollziehbar und sagen, da kommt man ja nirgendwo mehr hin", erzählt Sabine MacWilliams. Das stimmt so natürlich nicht, es geht bloß manchmal nicht so schnell, was die Familie MacWilliams nicht stört. Im Zug kann man lesen, zu Fuß und mit dem Rad lässt sich sportliche Betätigung in den Alltag integrieren. Verloren sei nur die Zeit, die man am Steuer im Auto verbringt.

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